Aus dem All das Waldsterben im Blick
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
10. Februar 2022
Die Baumverluste in Deutschland sind erheblich höher als
angenommen. Das ergab nun eine Auswertung von Daten der Satelliten
Sentinel-2 und Landsat-8, die das Ausmaß der Schäden erstmals
sichtbar gemacht haben. Nadelwälder in der Mitte Deutschlands sind dabei am
stärksten betroffen. Auch die Stürme der vergangenen Wochen dürfte den
Baumbestand weiter reduziert haben.

Mit schwerer Technik werden von Borkenkäfern
befallene Wälder abgeholzt und den Käfern so die
Nahrungsgrundlage entzogen. Das Bild zeigt eine
betroffene Region in Steinach in Thüringen.
Foto: DLR / Thonfeld [Großansicht] |
Gesunde Bäume tragen eine satte dichte Krone. Beim Spazierengehen durch den
Wald fällt jedoch auf, dass die grünen Dächer insgesamt recht licht sind. In den
letzten Jahren zeigen sich auch vermehrt kahlgeschlagene Flächen. Wälder sind
unsere grüne Lunge, bilden Lebensraum für eine reiche Tier- und Pflanzenwelt,
liefern Nutzholz und schützen vor Überflutungen und Hangrutschungen. Wie groß
ist also der Verlust durch abgestorbene und entnommene Bäume?
Forschende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) sind dieser
Frage mithilfe von satellitengestützten Erdbeobachtungsdaten nachgegangen. Sie
machten zum ersten Mal deutschlandweit sichtbar, wie viel Baumbestand verloren
gegangen ist. Die Ergebnisse sind alarmierend: Von Januar 2018 bis
einschließlich April 2021 wurden in Deutschland auf rund 501.000 Hektar Fläche
Baumverluste verzeichnet. Der Verlust entspricht fast fünf Prozent der gesamten
Waldfläche und ist damit erheblich höher als bisher angenommen. Als Auslöser
gelten vor allem die ungewöhnlich starken Hitze- und Dürreperioden in diesen
Jahren, die wiederum den Befall durch Schadinsekten begünstigt haben.
Für die Forstwirtschaft sind umfassende Waldinformationen wichtig, um
Baumarten zu kartieren, Schadursachen zu differenzieren oder negative
Entwicklungen durch Früherkennung zu verhindern. Erdbeobachtungssatelliten
bieten die dafür notwendige räumliche und zeitliche Auflösung. Das Potenzial von
Satellitenaufnahmen wird von den Behörden aber noch nicht voll ausgeschöpft. Die
DLR-Forschungsgruppe des Earth Observation Center (EOC) brachte hier
ihre Expertise ein. Um den Baumverlust genau zu beziffern, nutzten sie den
Satelliten Sentinel-2 des europäischen Erdbeobachtungsprogramms
Copernicus sowie den US-amerikanischen Satelliten Landsat-8 als
Datenquelle.
Die gegenwärtig verfügbaren Satellitendaten sind in der Lage, großflächige
Verluste im Oberstand von Wäldern genau zu erfassen. Die Aufnahmen machen auch
drastische Schäden wie zum Beispiel komplett abgestorbene Bestände sehr gut
sichtbar. Ein weiterer Vorteil liegt in der Häufigkeit der Aktualisierungen. Die
Satelliten können Daten in hoher zeitlicher Dichte liefern.
Der Blick aus dem All zeigt, dass überwiegend die Mitte Deutschlands mit
ihren Nadelwäldern betroffen ist – von der Eifel, über Sauerland, Harz und
Thüringer Wald, bis in die Sächsische Schweiz. Allein Nordrhein-Westfalen verlor
innerhalb von drei Jahren mehr als ein Viertel seiner Fichtenwälder, in einigen
Landkreisen waren es sogar mehr als zwei Drittel. Die Bäume starben ab oder
fielen großflächigen Notfällungen zum Opfer. Kahlschläge sind oft die letzte
Maßnahme bei massivem Schädlingsbefall, um – im Fall von Fichten – dem
Borkenkäfer die Nahrung zu entziehen und dadurch seine weitere Ausbreitung zu
verhindern.
Während sich Laubbäume wie die Eiche nach einem Insektenbefall wieder erholen
können, gilt dies häufig nicht für Nadelbäume. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden
in Deutschland vorrangig Fichten als wichtigster Holzlieferant aufgeforstet,
nicht selten standortfremd. Diese Wälder haben eine entsprechend ähnliche
Alters- und Wuchsstruktur und sind als Monokultur weniger widerstandsfähig.
Zwischen 2018 und 2020 wurde ganz Mitteleuropa von mehreren ungewöhnlich starken
Dürre- und Hitzeperioden heimgesucht. Dies schwächte die grünen Riesen – die
Defizite in der Bodenfeuchte sind bis heute messbar.
Gleichzeitig schuf die trockene Hitze ideale Bedingungen für den Borkenkäfer,
sodass sich die Populationen explosionsartig vermehrten. Von den Folgen der
Dürre sind nicht nur Fichtenwälder betroffen: "Unsere Analysen zeigen, dass auch
Eiche, Buche und Kiefer – neben der Fichte die häufigsten Baumarten in
Deutschland – starke Schäden aufweisen. Dasselbe gilt für seltenere Arten wie
Bergahorn oder Lärche", sagt Dr. Frank Thonfeld vom EOC des DLR. "Die jährlichen
Waldzustandsberichte der Behörden machen bereits deutlich, dass sich der Zustand
der deutschen Wälder schon seit längerer Zeit kontinuierlich verschlechtert.
Aber die Schäden der letzten wenigen Jahre sind beispiellos".
Neben dem Schädlingsbefall erlitt der deutsche Wald auch Verluste durch
Windwurf. Das DLR-Forschungsteam identifizierte diese Flächen dank der
hochgenauen Satellitenaufnahmen von Sentinel-2 und Landsat-8. Die Auswertungen
offenbaren unter anderem das Ausmaß von Sturmereignissen in Ostbayern,
Sachsen-Anhalt und Sachsen. Die Sturmlage der vergangenen Wochen über ganz
Deutschland wird voraussichtlich wieder dazu führen, dass vielerorts Schadholz
entfernt werden muss.
Die Fernerkundungsexperten aus Oberpfaffenhofen werteten insgesamt mehr als
20.000 Datensätze aus. Auf diese Weise konnten sie die abgestorbenen und neu
eingeschlagenen Waldflächen im Monatsrhythmus erfassen. Entstanden ist ein
differenziertes Waldbild für ganz Deutschland mit einer Auflösung von zehn
Metern. Die Verarbeitung der Datenarchive von Sentinel-2 und
Landsat-8 erfolgte vollautomatisch. Das hochkomplexe Verfahren wurde am EOC
entwickelt und wird für weitere Anwendungen optimiert.
Die Auswertungsmethode für den Waldbestand lässt sich auch für andere Länder
und Regionen anwenden. Denn großflächige Waldschäden sind nicht nur ein
deutsches, sondern ein europäisches Thema. Nachbarländer wie Tschechien oder
Österreich stehen ähnlichen Herausforderungen gegenüber. Mittelfristig setzt
sich voraussichtlich die Tendenz fort, dass noch weitere Bestände verloren
gehen. Es wird Jahrzehnte dauern, bis die wirtschaftlichen Schäden eingeholt
sind. Bis sich das Ökosystem Wald erholt, kann es noch länger dauern.
Für Deutschland und Europa ist es daher dringend notwendig, schnell
effiziente Maßnahmen zum Schutz der Wälder zu ergreifen. Satellitengestützte
Erdbeobachtung kann Forschenden und Entscheidungstragenden hierzu eine
Datengrundlage bereitstellen. So wie das neue Verfahren nutzerspezifisch
angepasst werden kann, lässt sich auch die neue Waldkartierung jederzeit
aktualisieren. Künftig könnte das DLR-Forschungsteam Forstbehörden im
monatlichen Rhythmus Satellitendaten zu Waldgebieten liefern und damit den
operationellen Forstbetrieb in allen Regionen nachhaltig unterstützen.
Der Wald steht in Deutschland seit 1984 unter Beobachtung, als die
Befürchtungen für ein Waldsterben um sich griffen. Der jährliche
"Waldzustandsbericht" des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft
(BMEL) dokumentiert den Kronenzustand der Hauptbaumarten Fichte, Kiefer, Buche
und Eiche. Dies erfolgt stichprobenartig auf Basis festgelegter
Beobachtungsflächen. Es sind somit Momentaufnahmen für eine überschaubare Anzahl
an Beobachtungspunkten. Die Berichte weisen bei den Verlusten dabei nur die
Flächen aus, die wieder bewaldet werden müssen. Zahlen über die tatsächlich von
Baumverlusten betroffenen Flächen findet man darin üblicherweise nicht.
Erdbeobachtungssatelliten können hier ergänzende Daten liefern.
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