Suche nach Wildnis auf der Erde
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität der Bundeswehr astronews.com
26. Januar 2022
Veränderungen auf der Erde können heute nahezu in Echtzeit
beobachtet werden, denn viele Satelliten im Weltall sind mit Kameras und
Sensoren genau dafür ausgestattet. Im Rahmen eines neuen Forschungsprojekts wird
nun versucht, aus den Satellitendaten mithilfe Künstlicher Intelligenz
abzuleiten, wie natürlich ein bestimmter Landstrich noch ist.

Blick von Sentinel-2 auf Usedom und Teile
Mecklenburg-Vorpommerns. Der Peenestrom und das
Stettiner Haff sind auf dieser Aufnahme aus dem
Februar 2021 zugefroren.
Bild: Basierend auf Copernicus-Sentinel-Daten
erstellt von der ESA, CC BY-SA 3.0 IGO [Großansicht] |
Seit September 2021 gibt es an der Universität der Bundeswehr München eine
neue Professur am Institut für Raumfahrttechnik und Weltraumnutzung (ISTA), die
Professur für Erdbeobachtung. Prof. Michael Schmitt beschäftigt sich hier mit
der Auswertung von Erdbeobachtungsdaten zur Gewinnung von Geoinformationen. Die
Erdbeobachtung liefert Informationen darüber, welche Art der Landbedeckung wo
vorliegt, sie dient der geometrischen und topografischen Erkundung der Erde.
Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die satelliten- und
flugzeuggestützte Erdbeobachtung, die Bildverarbeitung, Signalverarbeitung und
maschinelles Lernen zur Informationsextraktion sowie die Fusion
unterschiedlicher Erdbeobachtungsdaten. Diese Schwerpunkte werden in einem
aktuellen Forschungsprojekt verbunden und angewandt. Das durch die Deutsche
Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt "Kartierung und Interpretation von
Wildnis aus dem Weltraum / MapInWild" startete Ende 2021 und soll bis 2024 eine
Karte über die "Natürlichkeit" der Erde bereitstellen.
Mit Blick auf das 50-jährige Bestehen des Nationalparks Bayerischer Wald
forderten die Grünen und die SPD im Bayerischen Landtag 2020 einen neuen,
dritten Nationalpark für Bayern. Das Interesse des Naturschutzes steht dem der
Bevölkerung oft entgegen, würde ein Nationalpark doch starke Einschränkungen im
Ausbau der Infrastruktur und der Bebauung bedeuten. Um zu entscheiden, wo ein
neuer Nationalpark überhaupt sinnvollerweise geschaffen werden könnte, müssten
erst einmal Daten über die Beschaffenheit der Gebiete, die Bevölkerungsdichte
und den bisherigen Einfluss des Menschen auf die Natürlichkeit der Umgebung
erhoben werden, meint Schmitt.
Dass der dritte Nationalpark wohl so schnell nicht realisiert werden wird,
sei an dieser Stelle vorweggenommen, doch die Idee, eine Methode zu entwickeln,
mit der die Natürlichkeit eines beliebigen Ortes auf der Welt datenbasiert
beurteilt werden kann, blieb dem Professor für Erdbeobachtung. Das Ziel des
Projektes MapInWild ist es, eine Natürlichkeitskarte der Erdoberfläche zu
erstellen. Anhand eines Index wird die Erde bewertet und in Kategorien von sehr
natürlich bis kaum natürlich unterteilt.
Als ersten Schritt auf dem Weg zu dieser Karte führen Schmitt und sein Team
verschiedene Daten, die es bereits gibt, zusammen - wie z. B. von Satelliten,
aus dem freien Kartendienst "OpenStreetMap" oder der Landbedeckungskarte der
ESA. Die Definition von Natürlichkeit mag teilweise unterschiedlich gesehen
werden, doch im Falle des Forschungsprojektes bedeutet Natürlichkeit die
Abwesenheit von menschlichen Einflüssen. Im Natürlichkeitsindex wird
klassifiziert nach Art der Landbedeckung (z. B. Wald oder Stadt), Nähe zur
nächstgelegenen Straße, bzw. Zeit bis man diese erreichen würde, Licht aus
künstlichen Lichtquellen und Bevölkerungsdichte. Diese Daten werden zunächst aus
bereits vorhandenen Karten und Beobachtungen zusammengetragen.
Bisher wurde der Natürlichkeitsindex exemplarisch für drei europäische
Regionen erstellt: Bayern als Beispiel für eine dicht besiedelte Region mit nur
wenigen ausgewiesenen Schutzgebieten, Schottland als Region mit mittlerer
Bevölkerungsdichte und einer größeren Anzahl an abgelegenen Gebieten und die
finnische Region Lappland als Beispiel für eine dünn besiedelte Region mit
vielen Schutzgebieten.
Im Projekt soll nun eine neue Methode mithilfe von Künstlicher Intelligenz
(KI) entwickelt werden, die aus Satellitendaten direkt den Natürlichkeitsindex
erstellen kann. Diese Methode wird zu viel schnelleren Ergebnissen führen als
bisherige Techniken, da nur noch ein einziges aktuelles Bild benötigt wird.
Damit wäre es jederzeit möglich, aktuelle Aussagen über die Natürlichkeit eines
bestimmten Ortes auf der Welt zu treffen. Dies kann besonders bei Beobachtungen
zum Klimawandel hilfreich sein. Durch die Beobachtung aus dem All könnten
beispielsweise der Rückgang von Eisflächen oder die Vergrößerung von
Wüstengebieten genau und in Echtzeit aufgezeichnet werden. Oder es könnten
Flächen ausgemacht werden, die einen zukünftigen Nationalpark bilden können.
Neben der Entwicklung der Methode zum satellitenbildgestützten
Natürlichkeitsindex steht das Projekt noch auf einem zweiten Pfeiler, der in
Kooperation mit Prof. Ribana Roscher von der Universität Bonn umgesetzt wird. Es
soll nachvollziehbar gemacht werden, wie die KI ihre Entscheidungen trifft. KI
kommt bereits in vielen Projekten zum Einsatz, doch meist wissen die
Benutzerinnen und Benutzer nur, welche Daten sie zur Verfügung stellen, nicht
was die KI mit ihnen macht und wie sie sie beurteilt. Das soll bei MapInWild
anders sein. Die Forschenden wollen herausfinden, warum die gelernten
Wildniskartierungs-Modelle zu spezifischen Entscheidungen kommen. Das Projekt
trägt damit zur methodischen Weiterentwicklung von übertragbaren Verfahren des
maschinellen Lernens mit wenigen und fehlerbehafteten Trainingsdaten und deren
Interpretierbarkeit bei.
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