Der Ukraine-Krieg und die Raumfahrt
von
Stefan Deiters astronews.com
28. Februar 2022
Die Zusammenarbeit im All zwischen den USA, Europa und
Russland wurde in den vergangenen Jahren kaum von politischen Spannungen
zwischen den Partnern beeinflusst. Durch den Krieg, den Russland jetzt in der
Ukraine führt, dürfte sich dies dramatisch ändern: Erste Kooperationen wurden
gestoppt, der Start des europäischen Marsrovers erscheint ungewiss.
Die Internationale Raumstation ISS fotografiert aus einer
SpaceX Crew Dragon im November 2021.
Foto: NASA [Großansicht] |
Nach dem Wettstreit um die Vorherrschaft im All zwischen den beiden
Supermächten USA und UdSSR in den 1960er Jahren setzte im Laufe der 1970er auch
im Erdorbit eine gewisse Entspannung ein: 1975 etwa kam es mit dem
Apollo-Sojus-Test-Projekt zu einer ersten US-amerikanisch-sowjetischen
Kooperation in der Raumfahrt. Später baute und betrieb man - gemeinsam mit
Kanada und der ESA - die Internationale
Raumstation ISS. Mehrere Jahre lang waren Amerikaner und Europäer dabei auf
russische Sojus-Raumkapseln angewiesen, um die Raumstation zu erreichen. Die Space Shuttle
der NASA waren eingemottet worden, bevor ein adäquater Ersatz für den
ISS-Besatzungswechsel zur Verfügung stand.
Auch Europa kooperierte immer wieder mit der russischen Raumfahrt: Sojus-Raketen
starten seit einigen Jahren auch vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou, bei
der Marsmission ExoMars setzte man auf eine weitreichende Zusammenarbeit mit der
russischen Raumfahrtagentur, die für den europäischen Marsrover Rosalind
Franklin die Landeplattform liefern und auch die Rakete für den Start
bereitstellen soll.
Trotz zahlreicher Spannungen zwischen den USA, Europa und Russland in den
vergangenen Jahren wurden diese Kooperationen mit Russland nie ernsthaft infrage
gestellt - im All herrschte "Business as usual". Das ist insofern bemerkenswert,
als dass die Raumfahrtindustrie ja nicht nur durch ihre Verbindungen zur
Luftfahrtindustrie durchaus zu den auch militärisch relevanten
Wirtschaftsbereichen gezählt werden kann.
Doch zahlreiche Kooperationen dürften durch den Überfall der russischen Armee
auf die Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen der westlichen
Industrieländer infrage stehen. Als Reaktion auf die angekündigten Sanktionen
gab der Leiter der russischen Raumfahrtagentur Roscosmos Dmitri Rogosin bekannt,
dass Starts von Sojus-Trägerraketen von Kourou aus zunächst ausgesetzt werden.
Das russische Personal dort würde abgezogen.
Bei Twitter äußerte sich Rogosin auch allgemeiner zur Zukunft der
Zusammenarbeit auf der Internationalen Raumstation ISS und wies darauf hin, dass
die russischen Sojus-Raumschiffe derzeit benötigt würden, um den Orbit der
Station regelmäßig anzuheben. Ohne diese Manöver würde die ISS zu weit absinken
und schließlich in die Atmosphäre eintreten. Außerdem kündigte Rogosin an, dass
man die Zusammenarbeit mit der NASA für die Venusmission Venera-D beenden würde.
Unklar ist aktuell, welche Folgen der Ukraine-Krieg für ExoMars hat: Der Start
des Rovers ist für die zweite Jahreshälfte vorgesehen und muss dabei
innerhalb von zwei zehntägigen Perioden erfolgen, um den Mars erreichen zu
können. Derzeit scheint es schwer vorstellbar, dass die Arbeit an dieser
russisch-europäischen Mission einfach so weitergeht, als wäre nichts passiert.
In Deutschland beendeten die ersten Universitäten ihre Zusammenarbeit mit
Russland: So gab die Technischen Universität Berlin bekannt, "die langjährigen,
vielfältigen und intensiven Kooperationen mit Russland ab sofort auszusetzen".
Das umfasse auch "sämtliche Forschungskooperationen mit russischen
Partnerinnen und Partnern bis auf Weiteres". Das Team des europäischen
Röntgenteleskops eROSITA, das Teil des russischen Weltraumteleskops
Spektr-RG ist, musste ihr Teleskop auf Anweisung des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung bereits abschalten.
Doch auch Raumfahrtunternehmen, die auf den ersten Blick nicht vom
Ukraine-Krieg betroffen sein sollten, könnten die Konsequenzen bald zu spüren
bekommen: So handelt es sich beispielsweise bei den Antares-Trägerraketen, mit
denen das US-Unternehmen Northrop Grumman regelmäßig Cygnus-Raumfrachter zur
Internationalen Raumstation ISS startet, um eine Gemeinschaftsentwicklung mit
dem ukrainischen Unternehmen KB Juschnoje, das auch wichtige Komponenten für die
Raketen liefert.
Der Ukraine-Krieg könnte somit auch in der Raumfahrt eine Zeitenwende
bedeuten und die immer wieder geforderte größere Unabhängigkeit Europas in
Sachen Raumfahrt noch wichtiger machen.
Update (28. Februar 2022, 17 Uhr): In einer Stellungnahme
hat die europäische Raumfahrtagentur ESA einen Start der Mission ExoMars
in diesem Jahr als "sehr unwahrscheinlich" bezeichnet. Es würden nun alle
Optionen geprüft und eine Entscheidung der ESA-Mitgliedsstaaten vorbereitet.
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