Der Kaon-Zerfall und das Standardmodell
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bonn astronews.com
20. September 2021
Mit dem Standardmodell der Teilchenphysik lassen sich nicht
alle physikalischen Phänomene erklären, etwa die Dunkle Materie und die Dunkle
Energie. So sucht man gezielt nach Abweichungen von diesem Modell, etwa durch
das Studium bestimmter Zerfallsprozesse. Dabei könnten Forschende nun eine
spannende Entdeckung gemacht haben.
Supernova-Explosionen, durch die einst auch
der bekannte Krebsnebel entstand, gelten als
Quellen der kosmischen Strahlung.
Bild: NASA, ESA und Allison Loll / Jeff
Hester (Arizona State University) / Davide De
Martin (ESA/Hubble) [Großansicht] |
Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt die Bausteine, aus denen die
Welt zusammengesetzt ist - wir Menschen, die Sandkörner am Strand, das
Meereswasser, in dem wir uns abkühlen, aber auch die Sonne, die auf uns
niederbrennt. Außerdem erklärt das Modell, welche Kräfte zwischen diesen
Elementarteilchen wirken, und erlaubt es, viele physikalische Phänomene zu
verstehen. "Es gibt allerdings auch Fragen, die diese Theorie nicht beantworten
kann", erklärt Dr. Chien-Yeah Seng, Postdoktorand am Helmholtz-Institut für
Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn. "So gehen die meisten
Forscherinnen und Forscher davon aus, dass 95 Prozent unseres Universums aus
Dunkler Materie und Dunkler Energie bestehen, die wir mit unseren
Messinstrumenten nicht direkt nachweisen können. Aus dem Standardmodell lässt
sich die Existenz dieser mysteriösen Komponenten aber nicht herleiten."
Viele Forschende gehen daher davon aus, dass das Standardmodell noch nicht
der Weisheit letzter Schluss ist, sondern ergänzt oder sogar grundlegend
verändert werden muss. In diese Richtung deuten auch immer mehr experimentelle
Befunde, etwa die zum Zerfall der sogenannten Kaonen. Diese Teilchen sind ein
Bestandteil der kosmischen Strahlung, die von Sternen und Galaxien ausgeht. Sie
sind nicht stabil, sondern zerfallen im Schnitt nach wenigen Milliardstel
Sekunden.
Ein Parameter des Standardmodells namens Vus beschreibt diesen
Zerfall. Sein Wert lässt sich aus den Messdaten von Experimenten rechnerisch
extrahieren. Wenn man das jedoch für verschiedene Zerfallswege von Kaonen macht,
so erhält man unterschiedliche Ergebnisse für Vus. "Das könnte ein
Hinweis von Physik jenseits des Standardmodells sein", führt Seng aus. Ganz
sicher ist es aber nicht. Denn grundsätzlich gibt es drei mögliche Gründe für
diese Diskrepanz: Ersten können die Messungen in den Experimenten falsch oder zu
ungenau sein. Zweitens ist vielleicht die Berechnung der relevanten Zerfälle im
Rahmen des Standardmodells nicht präzise genug. Oder, drittens, das
Standardmodell ist an diesem Punkt tatsächlich unzutreffend. "Die erste
Erklärung gilt inzwischen als unwahrscheinlich", betont Prof. Dr. Ulf Meißner
vom Helmholtz-Institut. "Zum einen ist es heute immer exakter möglich, Vus
experimentell zu bestimmen. Zum anderen wurden diese Messungen inzwischen schon
viele Male wiederholt."
Unklar ist bislang aber noch, ob die Berechnungen der Zerfälle im Rahmen des
Standardmodelles zur Extraktion von Vus präzise genug sind. Denn
diese zu kalkulieren, ist nur näherungsweise möglich, und das auch nur unter
Einsatz extrem leistungsfähiger Supercomputer. Selbst die schnellsten Rechner
wären momentan zudem Jahrzehnte beschäftigt, um eine genügend hohe
Rechengenauigkeit zu erzielen. "Wir benötigen aber eine hohe Genauigkeit, um
ausreichend sicher sein zu können, dass die Diskrepanz zwischen den Vus-Werten
tatsächlich auf einen Fehler im Standardmodell hindeutet", betont Seng.
Der Nachwuchswissenschaftler aus Malaysia hat nun zusammen mit Kollegen eine
Methode entwickelt, durch die sich die Rechenzeit entscheidend verkürzen lässt.
"Dazu haben wir das Problem - die genaue Extraktion von Vus - in
viele einfacherer Teilprobleme zerlegt", sagt er. "Dadurch war es möglich, den
Wert von Vus erheblich schneller und exakter als bislang aus Kaon-Zerfällen
zu bestimmen."
Die Ergebnisse bestätigen die Diskrepanz zwischen den Vus-Werten.
Die Hinweise auf eine "neue Physik" jenseits des Standardmodells haben sich
daher verdichtet. "Ganz sicher können wir allerdings noch nicht sein", sagt
Seng, der seine Ergebnisse Mitte Oktober auf der Herbsttagung der
US-amerikanischen Physikalischen Gesellschaft präsentieren wird. "Dazu müssen
unsere Berechnungen noch etwas genauer werden. Wenn sich unsere Ergebnisse aber
bestätigen, wäre das sicher einer der wichtigsten Befunde der letzten Jahre in
der Teilchenphysik."
Über die Ergebnisse berichtet der Wissenschaftler auch in einem Fachartikel,
der in der Zeitschrift Physics Letters B erschienen ist.
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