Neue Methode zur Berechnung der Phasenkurven von Planeten
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bern astronews.com
1. September 2021
Wie lassen sich die Phasenkurven von Planeten und Monden,
also die Menge des Sonnenlichts, die von einem Objekt wieder reflektiert wird,
möglichst einfach berechnen? Ein Berner Astrophysiker hat für dieses alte
mathematische Problem neue Formeln entwickelt, die die Dateninterpretation
erheblich vereinfachen sollten. Dies könnte auch für die Exoplanetenforschung
von Bedeutung sein.

Der Planet Kepler-7b in einer künstlerischen
Darstellung.
Bild: NASA / JPL-Caltech / MIT [Großansicht] |
Seit Jahrtausenden beobachtet die Menschheit die wechselnden Phasen des
Mondes. Dabei handelt es sich um das Sonnenlicht, das vom Mond reflektiert wird,
während er uns seine verschiedenen "Gesichter" zeigt. Diese Wechsel werden als
"Phasenkurve" bezeichnet. Die Messung der Phasenkurven des Mondes und der
Planeten des Sonnensystems ist ein alter Zweig der Astronomie, der mindestens
ein Jahrhundert zurückreicht. Die Formen der Phasenkurven liefern unter anderem
Informationen über die Oberflächen und Atmosphären dieser Himmelskörper, und in
der Neuzeit werden die Phasenkurven von Exoplaneten mit Weltraumteleskopen wie
Hubble, Spitzer, TESS und CHEOPS gemessen. Diese Beobachtungen
werden jeweils mit den theoretischen Vorhersagen abgeglichen.
Für diesen Abgleich braucht man eine Möglichkeit, die Phasenkurven zu
berechnen, was bedeutet, dass ein schwieriges mathematisches Problem gelöst
werden muss. Lösungsansätze zur Berechnung von Phasenkurven gibt es bereits seit
dem 18. Jahrhundert. Der älteste bekannte Lösungsansatz geht auf den Schweizer
Mathematiker, Physiker und Astronomen Johann Heinrich Lambert zurück, der das
sogenannte "Lambertsche Reflexionsgesetz" verfasste.
Das Problem der Berechnung des von den Planeten des Sonnensystems
reflektierten Lichts wurde auch vom amerikanischen Astronomen Henry Norris
Russell in einer einflussreichen Arbeit von 1916 aufgeworfen. Ein weiterer
bekannter Ansatz aus dem Jahr 1981 stammt vom amerikanischen Mondforscher Bruce
Hapke, der auf die klassische Arbeit des indisch-amerikanischen
Nobelpreisträgers Subrahmanyan Chandrasekhar aus dem Jahr 1960 aufbaute. Der
sowjetische Physiker Viktor Sobolev leistete in seinem einflussreichen Lehrbuch
von 1975 ebenfalls wichtige Beiträge zur Untersuchung des reflektierten Lichts
von Himmelskörpern.
Inspiriert von der Arbeit dieser Wissenschaftler hat der theoretische
Astrophysiker Kevin Heng vom Center for Space and Habitability (CSH)
der Universität Bern eine ganze Familie neuer mathematischer Formeln zur
Berechnung von Phasenkurven entdeckt. Für die Studie arbeitete Heng mit Brett
Morris vom Schweizer Nationalen Forschungsschwerpunkt PlanetS, den die
Universität Bern gemeinsam mit der Universität Genf leitet, und Daniel Kitzmann
vom CSH zusammen.
"Ich hatte das Glück, dass bereits umfangreiche Arbeiten von diesen großen
Wissenschaftlern geleistet worden waren. Hapke hatte einen einfacheren Weg
entdeckt, die klassische Lösung von Chandrasekhar aufzuschreiben, und Sobolev
hatte erkannt, dass man das Problem in mindestens zwei mathematischen
Koordinatensystemen untersuchen kann." Auf das Problem aufmerksam wurde Heng
ursprünglich durch eine Zusammenfassung von Sara Seager in ihrem Lehrbuch von
2010.
Mithilfe dieser Erkenntnisse konnte Heng die mathematischen Formeln für die
Stärke der Reflexion (auch Albedo genannt) und die Form der Phasenkurve
niederschreiben, und zwar komplett auf Papier und ohne einen Computer zu
benutzen. "Das Bahnbrechende an diesen Lösungen ist, dass sie für jedes
Reflexionsgesetz gelten, also sehr allgemein anwendbar sind. Der entscheidende
Moment kam für mich, als ich diese Stift-und-Papier-Berechnungen mit dem
verglich, was andere Forschende mit Computerberechnungen erreicht hatten. Ich
war verblüfft, wie gut sie übereinstimmten", sagt Heng.
"Aufregend finde ich nicht nur die Entdeckung einer neuen Theorie, sondern
auch ihre großen Auswirkungen auf die Interpretation von Daten", betont Heng. So
hat zum Beispiel die Raumsonde Cassini Anfang der 2000er Jahre
Phasenkurven des Jupiter gemessen, aber eine tiefgreifende Analyse der Daten
wurde bisher nicht durchgeführt – wahrscheinlich, weil die Berechnungen zu
rechenintensiv waren. Mit seinem neuen Lösungs-Set war Heng in der Lage, die
Cassini-Phasenkurven zu analysieren und daraus zu schließen, dass die
Atmosphäre des Jupiters mit Wolken gefüllt ist, die aus großen, unregelmäßigen
Partikeln von verschiedenen Größen bestehen.
"Die Möglichkeit, mathematische Lösungen für Phasenkurven von reflektiertem
Licht auf Papier zu bringen, bedeutet, dass man damit Daten in Sekundenschnelle
analysieren kann", so Heng. Die Formeln eröffnen also neue Wege der
Dateninterpretation. Heng arbeitet zusammen mit Pierre Auclair-Desrotour
(ehemals CSH, derzeit am Pariser Observatorium) an der weiteren
Verallgemeinerung der Formeln. "Pierre Auclair-Desrotour ist ein talentierterer
angewandter Mathematiker als ich, und wir werden in naher Zukunft weitere
spannende Ergebnisse veröffentlichen", so Heng.
In der aktuellen Studie demonstrierten Heng und seine Co-Autoren eine
neuartige Methode zur Analyse der Phasenkurve des Exoplaneten Kepler-7b, der vom
Weltraumteleskop Kepler entdeckt worden war. "Brett Morris leitet die
Datenanalyse für die CHEOPS-Mission in meiner Forschungsgruppe, und sein
moderner Data-Science-Ansatz war entscheidend für die erfolgreiche Anwendung der
Formeln auf reale Daten", so Heng.
Derzeit arbeiten sie mit Forschenden des amerikanischen Weltraumteleskops
TESS zusammen, um die Phasenkurvendaten von TESS zu analysieren. Heng stellt
sich vor, dass seine Formeln auch zu neuartigen Möglichkeiten der Analyse von
Phasenkurvendaten des James Webb Space Telescope, dass 2021 seine Reise
ins Weltall antreten soll, führen werden. "Was mich am meisten begeistert, ist,
dass diese mathematischen Formeln noch lange nach meinem Tod gültig sein werden
und wahrscheinlich ihren Weg in Standard-Lehrbücher finden werden", so Heng.
Über die neue Berechnungsmethode berichtete das Team in
einem Fachartikel, der in der Zeitschrift Nature Astronomy
erschienen ist. Die Untersuchungen zur Jupiteratmosphäre erschienen in den
Astrophysical Journal Letters.
|
Heng, K., Morris, B.M., &
Kitzmann, D. (2021): Closed-formed solutions of geometric albedos
and phase curves of exoplanets for any reflection law, Nature
Astronomy, https://doi.org/10.1038/s41550-021-01444-7
(arXiv.org-Preprint)
Heng, K., & Li,
L. (2021): Jupiter as an Exoplanet: Insights from Cassini Phase
Curves, ApJL, 909, L20
Universität Bern
|
|