Planetarische Nebel in entfernten Galaxien
Redaktion
/ Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam astronews.com
26. Juli 2021
Mit Daten des Instruments MUSE am Very Large Telescope
der europäischen Südsternwarte ESO gelang nun der Nachweis von extrem
lichtschwachen Planetarischen Nebeln in weit entfernten Galaxien. Die dabei
verwendete Methode, ein Filteralgorithmus bei der Bilddatenverarbeitung,
eröffnet auch neue Möglichkeiten für die kosmische Entfernungsmessung.
Die vom Team untersuchte Ringgalaxie NGC 474
in einer Entfernung von etwa 110 Millionen
Lichtjahren. Die Ringstruktur ist durch
Verschmelzungsprozesse von kollidierenden
Galaxien entstanden.
Bild: DES / DOE / Fermilab / NCSA & CTIO /
NOIRLab / NSF / AURA [Großansicht]
MUSE-Bilddaten in den zwei markierten Feldern
im obigen Bild der Ringstruktur von NGC 474.
Bild: AIP / M. Roth [Gesamtansicht] |
Planetarische Nebel sind in der Nachbarschaft zur Sonne als
farbenprächtige Objekte bekannt, die am Ende des Lebens eines Sterns bei der
Entwicklung vom Stadium des Roten Riesen zum Weißen Zwerg auftreten: Wenn der
Stern seinen Brennstoff zur Kernfusion aufgebraucht hat, bläst er seine Gashülle
in den interstellaren Raum ab, kontrahiert, wird extrem heiß, und regt die
expandierende Gashülle zum Leuchten an.
Anders als das kontinuierliche Spektrum des Sterns, strahlen die Ionen
bestimmter Elemente in dieser Gashülle, wie z. B. von Wasserstoff, Sauerstoff,
Helium und Neon, Licht aber nur bei bestimmten Wellenlängen ab. Spezielle
optische Filter, die auf diese Wellenlängen abgestimmt sind, können die schwach
leuchtenden Nebel sichtbar machen. Das nächstgelegene Objekt dieser Art in
unserer Milchstraße ist der 650 Lichtjahre entfernte Helixnebel.
Mit wachsender Entfernung eines Planetarischen Nebels schrumpft der
scheinbare Durchmesser in einer Bildaufnahme, und die integrierte scheinbare
Helligkeit nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab. In unserer Nachbargalaxie,
der Andromedagalaxie, wäre mit einer fast 4000-fach größeren Entfernung der
Helixnebel nur noch als Punkt wahrnehmbar, und seine scheinbare Helligkeit wäre
fast 15 Millionen Mal schwächer. Mit modernen Großteleskopen und langer
Belichtungszeit können solche Objekte unter Verwendung optischer Filter oder
bildgebender Spektroskopie dennoch abgebildet und vermessen werden.
"Mit dem am AIP entwickelten PMAS-Instrument gelang uns dies erstmals mit
integraler Feldspektroskopie für eine Handvoll Planetarischer Nebel in der
Andromedagalaxie in den Jahren 2001 bis 2002 am 3,5-Meter-Teleskop des Calar-Alto-Observatoriums",
erinnert sich Martin Roth, Leiter der Abteilung innoFSPEC am Leibniz-Institut
für Astrophysik Potsdam (AIP). "Das relativ kleine PMAS-Sichtfeld erlaubte es
jedoch noch nicht, eine größere Stichprobe von Objekten zu untersuchen."
Es hat gut 20 Jahre gedauert, bis mit einem leistungsfähigeren Instrument mit
einem mehr als 50-fach größerem Gesichtsfeld an einem deutlich größeren Teleskop
diese ersten Experimente weiterentwickelt werden konnten. MUSE am Very Large
Telescope in Chile wurde in erster Linie für die Entdeckung extrem
lichtschwacher Objekte am Rand des für uns derzeit beobachtbaren Universums
entwickelt und hat dazu seit den ersten Beobachtungen spektakuläre Ergebnisse
erbracht. Genau diese Eigenschaft ist es, die auch bei der Detektion von äußerst
lichtschwachen Planetarischen Nebeln in einer entfernten Galaxie zum Tragen
kommt.
Die Galaxie NGC 474 ist ein besonders schönes Beispiel für eine Galaxie, die
durch Kollision mit anderen, kleineren Galaxien eine auffällige Ringstruktur aus
den durch Gravitationswirkung gestreuten Sternen gebildet hat. Sie liegt in etwa
110 Millionen Lichtjahren Entfernung, ist also ca. 170.000-mal weiter entfernt
als der Helixnebel. Die scheinbare Helligkeit eines Planetarischen Nebels in
dieser Galaxie ist daher fast 30 Milliarden Mal geringer als die des Helixnebels
und liegt im Bereich der kosmologisch interessanten Galaxien, für die das Team
das MUSE-Instrument konzipierte.
Ein Forschungsteam des AIP hat mit Kolleginnen und Kollegen aus den USA eine
Methode entwickelt, wie sich mit MUSE die extrem schwachen Signale von
Planetarischen Nebeln in weit entfernten Galaxien mit hoher Empfindlichkeit
isolieren und präzise vermessen lassen. Ein besonders wirkungsvoller
Filteralgorithmus bei der Bilddatenverarbeitung spielt hier eine wichtige Rolle.
Für die Ringgalaxie NGC 474 standen ESO-Archivdaten zur Verfügung, die auf zwei
sehr tiefen MUSE-Belichtungen mit je fünf Stunden Beobachtungszeit beruhen. Das
Ergebnis der Datenverarbeitung: Nach Anwenden des Filteralgorithmus wurden
insgesamt 15 extrem lichtschwache planetarische Nebel sichtbar.
Dieses hochempfindliche Verfahren eröffnet eine neue Methode zur
Entfernungsmessung, die auch geeignet sein könnte, zur Lösung der derzeit
diskutierten Diskrepanz bei der Bestimmung der Hubble-Konstanten beizutragen:
Planetarische Nebel besitzen die Eigenschaft, dass physikalisch eine gewisse
maximale Leuchtkraft nicht überschritten werden kann. Die Verteilungsfunktion
der Helligkeiten einer Stichprobe in einer Galaxie, d. h. die
Leuchtkraftfunktion der Planetarischen Nebel (PNLF), bricht am hellen Ende ab.
Diese Eigenschaft ist die einer Standardkerze, mithilfe derer sich durch
statistische Methoden eine Entfernung berechnen lässt.
Das PNLF-Verfahren wurde bereits 1989 von den Teammitgliedern George Jacoby (NOIRLab)
und Robin Ciardullo (Penn State University) entwickelt. Es ist in den
vergangenen 30 Jahren für mehr als 50 Galaxien erfolgreich angewendet worden,
war aber aufgrund der bislang verwendeten Filtermessungen limitiert. Galaxien
mit Entfernungen größer als der des Virgo- oder Fornaxhaufens lagen außerhalb
der Reichweite. Die neue Studie zeigt nun, dass mit MUSE mehr als doppelt so
große Reichweiten erzielt werden können und damit eine unabhängige Messung der
Hubble-Konstanten ermöglicht wird.
Über die Studie berichtet das Team in einem Fachartikel, der im Astrophysical
Journal veröffentlicht wurde.
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