Was alte Glasplatten verraten
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Regensburg astronews.com
26. April 2021
Mit der Fotografie begann eine ganz neue Phase der
astronomischen Forschung. In den ersten hundert Jahren kamen dabei überwiegend
Fotoplatten aus Glas zum Einsatz, von denen nicht nur Abzüge erstellt, sondern
die auch direkt ausgewertet wurden. Entsprechende Notizen und Markierungen
sollen nun im Rahmen eines Forschungsprojektes erfasst werden.

Aufnahme des Mondes, ergänzt durch
handschriftliche Notizen.
Bild: Hamburger Sternwarte, Fachbereich
Physik, MIN-Fakultät, Universität Hamburg [Großansicht] |
Seit Menschengedenken beschäftigt sich die Erdbevölkerung mit Astronomie.
Wurden die Himmelskörper zunächst mit bloßem Auge beobachtet, kamen später
Fernrohre, Teleskope und Observatorien hinzu. Ein Meilenstein war in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Etablierung der Fotografie erreicht. Welchen
Stellenwert fotografische Materialen und Praktiken in der Astronomie ab 1850
spielen, soll nun ein neues Forschungsprojekt von Dr. Omar Nasim, Professor für
Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg, untersuchen. Die Deutsche
Forschungsgemeinschaft unterstützt das Projekt mit dem Titel
"Astronomie-Glasarchiv: Fotografische Praktiken in der Sternwarte, 1850-1950"
mit einer halben Million Euro.
Rund 180 Jahre liegen zwischen der Frühzeit der Fotografie und unseren
heutigen Foto-Apps im Smartphone. Um 1850 war das Fotografieren noch ein
aufwendiges Handwerk, bei dem mithilfe von Ehrfurcht gebietenden Apparaten, mit
zerbrechlichen Fotoplatten aus Glas und mit langen Belichtungszeiten gearbeitet
wurde. Für die Astronomie stellte die Einführung der Fotografie eine Zeitenwende
dar: Visuelle Beobachtungen konnten nun durch fotografische Aufnahmen erstmals
dokumentiert und damit für andere besser nachvollziehbar gemacht werden.
Belichtungszeiten von mehreren Stunden ermöglichten die Erforschung von
lichtschwachen Objekten, etwa dem mit bloßem Auge kaum sichtbaren
Nordamerikanebel.
Die Plattenfotografie dominierte zwischen 1850 und 1950 jeden Aspekt der
Astronomie und lieferte unzählige Bilder von Sonne, Mond, Sternen und
Sternspektren. Bei dieser Art der Fotografie wurden Glasplatten, die mit einer
fotochemischen Emulsion beschichtet waren, in Plattenkameras gespannt und
belichtet. Anschließend wurden die Fotoplatten zu Glasnegativen entwickelt, von
denen beliebig viele positive Abzüge gemacht werden konnten. Die Fotoplatten
hatten für die Astronomen den Vorteil, dass sie flach, ebenmäßig und formstabil
waren – und immer noch sind – und im Vergleich zu Fotofilmen widerstandsfähiger
gegen Umwelteinflüsse.
Der Fokus von Nasim und seinem Forschungsteam liegt nicht auf den Positiven,
also den gedruckten astronomischen Aufnahmen, denn diese erzählen nur einen Teil
der Geschichte der astronomischen Wissensproduktion. Das Forschungsprojekt nimmt
vielmehr die Glasplatten in den Blick, also das belichtete und fixierte Negativ.
Bereits in diesem Stadium wurden die Glasplatten-Fotografien intensiv als
Informationsträger genutzt, wovon bis heute die deutlichen Gebrauchsspuren und
Notizen derjenigen Menschen zeugen, die an und mit ihnen geforscht haben:
Astronomen haben ihre Überlegungen und Schlussfolgerungen nicht nur in
Beobachtungsbüchern notiert, sondern ihre Erkenntnisse in Form von
zeichnerischen Ergänzungen, Markierungen und Etikettierungen direkt auf die
Glasplatten selbst aufgebracht.
Die Materialität der Fotografie steht also im Mittelpunkt des
Forschungsvorhabens, das heißt, die Glasplatten als Träger einer einzigartigen
Form von Materialgeschichte, die sich aus den Papierdokumenten allein nicht
rekonstruieren lässt. Die Forschungsgruppe um Nasim wird Archivmaterial des
Royal Greenwich Observatory und der Observatorien in Harvard, Leiden,
Heidelberg und Hamburg auswerten und mit Quellen aus den Archiven von Kodak,
Ilford und Zeiss in Beziehung setzen.
Als DFG Mercator-Fellow ist Prof. Dr. Kelley Wilder mit dem Projekt
assoziiert, die ihre Expertise als Direktorin des Photographic History
Research Centre an der De Montfort University in Leicester, Großbritannien,
einbringen wird. Diese Materialsammlung umfasst die Herstellung und Bearbeitung
der Platten vor der Belichtung sowie die fotografischen Daten und Notizen, die
nach der Belichtung auf den Platten oder in begleitenden Notizbüchern gemacht
wurden. Die Erforschung der Materialität der Glasplatten wird umso dringlicher,
als im Zuge der Digitalisierung dieser Fotografien die von Hand vorgenommenen
Ergänzungen drohen, verloren zu gehen.
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