Eine Kraft jenseits des Standardmodells?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Zürich astronews.com
23. März 2021
Jetzt vorgestellte Ergebnisse des Large Hadron Collider
beauty-Experiments am CERN in Genf liefern neue Hinweise auf eine
Abweichung gegenüber den theoretischen Erwartungen, die sich aus dem
Standardmodell der Teilchenphysiker ergeben. Bestätigen sich die Resultate
könnte dies auf die Existenz einer neuen fundamentalen Kraft hindeuten.
Das LHCb-Experiment ist eines der vier
großen Experimente am Large Hadron Collider am
CERN, der unterirdisch an der
französisch-schweizerischen Grenze bei Genf
liegt.
Foto: CERN [Großansicht] |
Wenn bei der Kollision von hochenergetischen Protonenstrahlen im Large Hadron
Collider (LHC) – dem Teilchenbeschleuniger am CERN in Genf – sogenannte
Beauty-Quarks entstehen, zerfallen sie praktisch sofort an Ort und Stelle.
Forschende des Large Hadron Collider beauty-Experiments (LHCb-Experiment)
rekonstruieren die Eigenschaften der kurzlebigen, zusammengesetzten Teilchen
anhand ihrer Zerfallsprodukte.
Nach den etablierten Gesetzen der Teilchenphysik – dem sogenannten
Standardmodell – sollten die Beauty-Quarks mit der gleichen Wahrscheinlichkeit
in einen Endzustand mit Elektronen bzw. Myonen, den viel schwereren Geschwistern
der Elektronen, zerfallen. Seit 2014 deuten Messungen am LHC jedoch darauf hin,
dass diese "Lepton-Universalität" in einigen Zerfällen verletzt werden könnte.
Diese Zerfällen zeigten kleine Abweichungen vom Verhältnis der beiden
Teilchensorten von der theoretischen Vorhersage von eins.
Mitglieder der Gruppe von Nicola Serra, Professor am Physik-Institut der
Universität Zürich (UZH), sind Teil des kleinen Forschungsteams, das die
Messungen durchgeführt hat. In der neuesten LHCb-Analyse wurde das Verhältnis
der Zerfallsprodukte, die Elektronen und Myonen enthalten, mit viel besserer
Präzision bestimmt als bei früheren Messungen. Verwendet wurden alle bisher vom
LHCb-Detektor gesammelten Daten. Das Ergebnis deutet auf eine Abweichung vom
Verhältnis eins hin – und damit auf eine Verletzung der "Lepton-Universalität"
in Beauty-Quark-Zerfällen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Daten mit der
theoretischen Vorhersage vereinbar sind, beträgt etwa 0,1 %. Sollte sich diese
Abweichung bestätigen, würde dies eine Physik jenseits des Standardmodells
implizieren – etwa eine neue fundamentale Kraft zusätzlich zu den vier
Grundkräften: Gravitation, Elektromagnetismus, schwache Wechselwirkung, die für
Radioaktivität verantwortlich ist, und starke Wechselwirkung, die die Materie
zusammenhält.
"Das Standardmodell hat sich jahrzehntelang als sehr erfolgreich bewiesen.
Unsere Aufgabe als Experimentatoren ist es, das Modell immer genauer zu testen
und zu sehen, ob es der strengeren Überprüfung standhält", sagt UZH-Forscher
Patrick Owen, der federführend an der Analyse beteiligt war. In der
Elementarteilchenphysik werden Beobachtungen zu echten Entdeckungen, wenn die
Wahrscheinlichkeit eines Irrtums unter Berücksichtigung aller bekannten Fehler
weniger als eins zu drei Millionen oder 0,00003% beträgt.
"Es ist also noch zu früh für eine endgültige Schlussfolgerung. Allerdings
stimmt die neue Abweichung mit dem Muster von Anomalien überein, die sich im
letzten Jahrzehnt abgezeichnet haben", unterstreicht Serra. "Doch die LHCb-Kollaboration
verfügt über alle Voraussetzungen, um in Beauty-Quark-Zerfällen die mögliche
Existenz von Effekten einer neuen Physik zu klären. Was wir dazu brauchen, sind
viele weitere Messungen", so Serra.
Das LHCb-Experiment ist eines der vier großen Experimente am Large Hadron
Collider am CERN in Genf. Entwickelt wurde es, um Zerfälle von
Elementarteilchen zu untersuchen, die ein Beauty-Quark enthalten. Dies ist das
Quark mit der höchsten Masse, das gebundene Zustände bildet. Die daraus
resultierenden Präzisionsmessungen von Materie-Antimaterie-Unterschieden und
seltenen Zerfällen von Teilchen, die ein Beauty-Quark enthalten, ermöglichen
empfindliche Tests des Standardmodells der Teilchenphysik.
Das Ergebnis wurde heute erstmals auf der Moriond-Konferenz über
elektroschwache Wechselwirkungen und vereinheitlichte Theorien sowie an einem
Online-Seminar am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf,
vorgestellt.
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