Feurige Experimente an Bord eines Raumfrachters
Redaktion
/ Pressemitteilung des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und
Mikrogravitation (ZARM) an der Universität Bremen astronews.com
22. Februar 2021
Bereits zum fünften Mal haben Forschende zu Jahresbeginn
einen Cygnus-Raumfrachter für Experimente mit offenem Feuer genutzt.
Die Ergebnisse haben das Team überrascht: In der Schwerelosigkeit breitet sich
eine Flamme offenbar nur entgegengesetzt zur Luftströmung aus. Auf einem Raumfahrzeug
eine Flamme auspusten zu wollen, wäre demnach eine schlechte Idee.
Die brennende Plexiglasprobe des
SAFFIRE-Experiments auf dem Cygnus-Raumfrachter.
Foto: ZARM / Universität Bremen [Großansicht] |
23 Stunden dauerte das Experiment, das am 6. Januar 2021 auf einem Cygnus-Raumfrachter
im Rahmen der SAFFIRE-V-Kampagne durchgeführt wurde und testen sollte, wie sich
ein Feuer in einem Raumfahrzeug mit astronautischer Crew verhält. Da offenes
Feuer im Weltraum, auch wenn es bewusst und kontrolliert gezündet wird, immer
ein großes Risiko darstellt, nutzt das Forschungsteam seit 2016 Cygnus-Raumfrachter,
die auf dem Hinweg Versorgungsmaterialien zur ISS bringen und auf dem Rückweg
mit Abfällen in der Erdatmosphäre verglühen. In der Phase zwischen dem Abdocken
und vor dem Eintritt wird das Feuer entzündet.
Das Experiment des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und
Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen besteht aus einer strukturierten
Plexiglasprobe. Die Probe ist 40 Zentimeter breit, 20 Zentimeter lang und 10
Millimeter dick, mit Rippen unterschiedlicher Breite darauf, die von einem
kontinuierlichen Luftstrom (20 Zentimeter pro Sekunde) angeblasen wird, der das
Lüftungssystem, das gleichzeitig das Sauerstoffversorgungssystem ist, eines
Raumfahrzeugs simulieren soll. Der Druck beträgt etwa 70 % des normalen
Luftdrucks bei einer erhöhten Sauerstoffkonzentration von 26% und entspricht
damit den Bedingungen, wie sie auf zukünftigen astronautischen
Explorationsmissionen vorgesehen sind.
Tatsächlich war es ein Zufall, der zum vielleicht erfolgreichsten – weil
lehrreichsten – aller bisherigen Experimente des SAFFIRE-Projekts führte.
Zunächst sollte eine Flamme an dem Ende der Materialprobe entzündet werden, die
aus Luftströmungsrichtung betrachtet am Anfang der Plexiglasscheibe liegt. Die
Flamme würde sich also mit der Strömung ausbreiten. Von diesem Versuch
erwarteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eigentlich die besseren
Erkenntnisse, aber der Zünder hatte offenbar seinen Kontakt verloren, so dass
die Flamme nicht zündete.
Beim zweiten Teil des Experiments wurde aber erfolgreich eine Flamme am
anderen Ende der Plexiglasscheibe entzündet – also im Gegenstrom – und zeigte
dann ein völlig unerwartetes Verhalten: In der Schwerelosigkeit breitete sich
die Flamme rasch aus, indem sie der Luftströmung entgegen kam – ein Prozess, der
unter "normalen" Gravitationsbedingungen so kaum stattfände. Da die
Plexiglasscheibe durch den Ausfall des ersten Zünders noch unversehrt war,
konnte dieses Verhalten sehr deutlich und über die gesamte Probenlänge hinweg
beobachtet werden.
Wieso aber breitet sich die Flamme in die "falsche" Richtung aus? Die
Beobachtungen lassen mehrere Schlussfolgerungen zu: Die grundlegendste ist, dass
sich eine Flamme in Schwerelosigkeit nicht mit der Strömung ausbreiten kann. Es
findet also genau das Gegenteil von dem statt, was wir intuitiv erwarten. Woran
liegt das? Generell werden die eine Flamme umgebenden Luftschichten erhitzt und
dehnen sich aus. Die geringere Dichte führt unter normaler Erdanziehungskraft
dazu, dass diese leichteren Schichten nach oben aufsteigen und neuer
sauerstoffreicher Luft Platz machen. Die großen Geschwindigkeitsunterschiede
dabei führen zur Faltung der Strömung, die die bekannte lodernde Flamme
verursacht. Dabei wird Sauerstoff auch aus anderer als der Strömungsrichtung an
das Material geführt.
In der Schwerelosigkeit gibt es aber keine Gewichtsunterschiede und daher
auch keinen Auftrieb. Die heißen Gasbereiche dehnen sich zwar ebenfalls aus, sie
bleiben aber in Strömungsrichtung geschichtet – ohne Faltung und ohne das
bekannte Lodern. Ganz ohne Luftströmung würde die Flamme sogar in ihrem Abgas
ersticken. Soweit ist das Phänomen bereits bekannt. Durch die vorhandene
Luftströmung beim SAFFIRE-Experimentaufbau wird aber ausschließlich die vordere
Flammenbasis – dort wo der Luftstrom auf die Flamme trifft – ausreichend mit
Sauerstoff versorgt. Dementsprechend ist die Flamme hier am aktivsten und
propagiert überraschend schnell der Luftströmung entgegen.
Eine weitere Erkenntnis ist, dass die Flamme den unter ihr aufgeheizten und
ausgasenden Bereich vor Luftzutritt und Verbrennung schützt. Die gegen die
Anströmung propagierende Flammenfront hinterlässt also keine brennende Fläche.
Stattdessen wird unter ihr viel brennbares aber unverbranntes Rauchgas
produziert. Das bedeutet weiterhin, dass die kleinste Störung der Schichtung,
die dieses heiße, unverbrannte Rauchgas mit Sauerstoff versorgen würde, zu
dramatischen Verpuffungen führt.
So einen "Backdraft" gibt es zwar auch am Boden, jedoch bedarf es
unvergleichlich stärkerer Störungen, um diesen auszulösen. Am ehesten bekannt
ist dieser Begriff in Verbindung mit Feuer in geschlossenen Räumen. Hier bildet
sich unter der Decke ebenfalls eine Schicht heißer brennbarer Gase und durch das
Öffnen einer Tür oder das Bersten eines Fensters kann neuer Sauerstoff
eingemischt und eine Verpuffung ausgelöst werden. Dieses Phänomen musste das
Forschungsteam beim vorherigen Flug beobachten, bei dem die Strömung offenbar zu
kurz nach Verlöschen der Probe wieder eingeschaltet wurde und hat nun auch eine
Erklärung für dieses dramatische Ende des SAFFIRE IV-Experiments.
Welche Konsequenzen haben diese neuen Erkenntnisse für das Verhalten einer
Weltraum-Crew im Fall, dass ein Feuer ausbricht? Ein Crew-Mitglied, das sich in
einem Feuerszenario bewegt oder gar Löschversuche mit einem Strahl unternimmt,
kann die plötzliche Verbrennung aller akkumulierten Rauchgase auslösen und damit
die Situation eskalieren. Bei der Auswahl der Feuerlöschtechnik wird man also
ganz anders abwägen müssen, ob ein aktives Eingreifen überhaupt sinnvoll sein
kann.
Das Projekt SAFFIRE (Spacecraft Fire Safety Experiments) wird von der NASA finanziert. Beteiligt sind neben vielen
US-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern auch Forschende aus Europa,
Russland und Japan.
|