Feuriges Experiment im All geplant
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des ZARM Bremen astronews.com
23. Januar 2012
Wenn die europäischen Raumfrachter die Internationale Raumstation ISS
wieder verlassen, haben sie normalerweise nur noch eine Aufgabe: Beladen
mit Müll und nicht mehr benötigten Ausrüstungsgegenständen sollen sie
kontrolliert in der Erdatmosphäre verglühen. Jetzt planen
Wissenschaftler für den Rückflug ein neuartiges Experiment: Erstmals soll
es einen Versuch mit offenem Feuer an Bord eines Raumschiffs geben.
Das europäische ATV-2 Johannes Kepler im Sommer
2011 beim Verlassen der ISS.
Foto: NASA |
In der vergangenen Woche gab die europäische Raumfahrtagentur ESA grünes
Licht für die ersten Versuche mit offenem Feuer in einem Raumfahrzeug.
Ein internationales Team aus Europa, Japan, Russland und den USA will
den Rückflug des europäischen Raumtransporters ATV (Automated
Transfer Vehicle) für Experimente zur Verbesserung der
Feuersicherheit in der bemannten Raumfahrt nutzen. Mit dabei ist ein
Forscherteam des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und
Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen.
Im Normalfall bringt das ATV Nachschub wie Nahrung, Wasser, Ausrüstung,
Stickstoff, Sauerstoff und Treibstoffe zur Internationalen Raumstation.
Hat das Raumfahrzeug diesen Zweck erfüllt, ist vorgesehen, dass es beim
Rückflug während des Eintritts in die Erdatmosphäre kontrolliert
verglüht. Nun soll zum ersten Mal der Rückflug für ein Experiment
genutzt werden. Anstatt also eine eigenständige Raumfahrtmission
konzipieren und finanzieren zu müssen, wird quasi ein Abfallprodukt
genutzt, um Versuche unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit
durchzuführen - also ein großes Raumfahrt-Experiment zum Nulltarif.
Die Versuche, die auf dem Rückflug des ATV geplant sind, werden die
Annahme überprüfen, dass die in der Raumfahrt verwendeten, grundsätzlich
brennbaren Materialien auch wirklich in der Schwerelosigkeit von selbst
verlöschen. Hierzu ist es notwendig, erstmalig ein offenes Feuer auf
einem Raumfahrzeug zu entfachen und gleichzeitig ein wesentliches
Kriterium im Auge zu behalten: nach Ablauf des Verbrennungsexperiments
müssen die Triebwerke des ATV noch sicher gezündet werden können, um
einen korrekten Eintritt in die Atmosphäre und damit ein sicheres
Verglühen des Transporters zu gewährleisten.
Dieses Vorhaben wurde nun in einer Machbarkeitsstudie der ESA als
durchführbar eingestuft. Der geplante Versuchsaufbau überprüft
gewissermaßen eine der derzeit geltenden Brandschutzrichtlinien.
Grundsätzlich brennbare organische Werkstoffe, die in der bemannten
Raumfahrt etwa für Astronautenkleidung, Wandverkleidungen, thermische
Isolierung der Wände und elektrische Isolierung von Kabeln eingesetzt
werden, gelten als nicht-brennbar, wenn sie den sogenannten "NASA-Test
1" bestehen. Dieser aus der Luftfahrt entlehnte Test besteht darin, eine
unter irdischen Bedingungen senkrecht stehende Platte des zu
untersuchenden Materials am unteren Ende anzuzünden und die Ausbreitung
des Feuers nach oben zu beobachten. Verlischt die Probe nach Ausschalten
der Zündquelle innerhalb einer Länge von 150 mm, hat die Probe den Test
bestanden. Breitet sich der Brand über eine längere Strecke aus, tropft
die Probe brennend ab, oder fliegen brennende Teile davon, gilt das
Material als ungeeignet.
Die Frage, ob dieser Test auch wirklich für die Bedingungen der
Schwerelosigkeit relevant ist, hält das internationale Forschungsteam
für offen. Gewissheit kann hier nur das Experiment schaffen. Generell
verlischt ein Feuer dann von selbst, wenn die Wärmeproduktion zu klein
ist, um die Temperaturverluste durch Strahlung und Auftrieb der heißen
Abgase auszugleichen. Die Wärmeproduktion hängt vom Material und vom
Sauerstoffgehalt der Atmosphäre ab. Im Gegensatz zum Bodenexperiment
erfahren die heißen Abgase in der Schwerelosigkeit einer Raumstation
keinen Auftrieb. Eine geringe Luftbewegung gibt es dennoch. Sie wird
durch die Klimaanlage erzeugt. Die Strahlung ist zwar grundsätzlich
nicht gravitationsabhängig, ändert sich im Vergleich zum Bodenexperiment
aber durch die veränderten Verbrennungsbedingungen, was in einer anderen
Zusammensetzung der Abgase resultiert.
Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass all dies zwar zu einer
insgesamt schwächerem Flamme mit deutlich geringerem Energieumsatz
führt, dass aber andererseits auch der Abtransport heißer Abgase
reduziert ist. Insofern brennt eine Probe zwar schwächer aber örtlich
heißer als auf der Erde und es besteht die Gefahr, dass sich ein
derartiger Brand lange unbemerkt über große Flächen ausbreiten kann.
Die zusätzliche Fragestellung des Bremer Teams bezieht sich auf das
Verbrennungsverhalten von Materialien, die in der Praxis mit einer stark
strukturierten Oberfläche in Raumfahrzeugen verbaut werden und damit von
den Bedingungen des NASA-Tests 1 abweichen. So weiß man aus dem
Bodenversuch, dass genutete Oberflächen die Flammenausbreitung genauso
befördern können, wie Rippen, an denen sich die Hitze staut. Da der
NASA-Standardtest normalerweise glatte Oberflächen überprüft, halten die
Mitarbeiter des ZARM deutliche Abweichungen in der Schwerelosigkeit für
wahrscheinlich.
Zusätzliche Spannung gewinnt das Projekt rund um das erste
ATV-Experiment durch die Tatsache, dass die Zeitspanne von der Idee bis
zum Flug nur maximal zweieinhalb Jahre betragen soll. Ein derart kurzer
Zeitraum erinnert an den Pragmatismus der russischen Raumfahrt
vergangener Tage und ist in der aktuellen Raumfahrt zumindest unüblich.
Da insgesamt nur noch drei ATV-Missionen geplant sind, von denen nur die
letzten beiden für das Projekt in Frage kommen, ist tatsächlich Eile
geboten. Um die Versuche bereits auf ATV-4 (geplanter Start 2013)
durchführen zu können, muss eine essentielle Voraussetzung erfüllt sein:
das Forschungsteam benötigt eine eigenständige Breitband-Datenverbindung
zwischen dem ATV und den Bodenstationen, um die Experimentdaten
übertragen zu können.
Gelingt es nicht, diese in der Kürze der Zeit zu installieren, bleibt
immer noch das ATV-5, dessen Start für März 2014 geplant ist. Darüber
hinaus soll bereits auf dem ATV-3 vor dem Abdocken von der ISS getestet
werden, ob der Druck im Laderaum des ATV auf einen Luftdruck von 950 hPa
abgesenkt werden kann. Nur wenn das vor Versuchsbeginn möglich ist,
können auf ATV-4 und -5 alle vorgesehenen Experimente durchgeführt
werden, ohne dass der Druck, der durch das vollständige Abbrennen aller
Proben - dem "worst case scenario" - entstehen würde, die zulässige
Obergrenze überschreitet. Und diese Mission beginnt bereits in zwei
Monaten.
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