Die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche
Intelligenz astronews.com
4. Februar 2021
Künstliche Intelligenz - zuweilen in Form von sehr
eigenwilligen Bordcomputern - ist in vielen Science-Fiction-Filmen zu finden.
Doch auch in der heutigen Raumfahrt könnte sie für komplexe Weltraummissionen
immer wichtiger werden. Um hier geeignete Anwendungen und Technologien zu
entwickeln, wurde nun ein neues Forschungslabor gegründet.

Zum Teil noch unentdeckte Trümmer und
defekte Raketenstufen im geostationären Orbit
sind eine wachsende Gefahr für Satelliten.
Bild: ESA [Großansicht] |
Ob der eigenwillige HAL 9000 bei "Odyssee im Weltraum", der dezent agierende
"Computer" der Enterprise oder die nüchtern-sarkastischen TARS und CASE in
"Interstellar" – in der Science-Fiction wird die Erforschung des Weltraums seit
jeher von Künstlicher Intelligenz (KI) begleitet. Auch wenn derartige
Sternenreisen noch lange nicht zum Alltag in der Raumfahrt gehören, sind die
lebensfeindliche Umgebung im All und die komplexen Anforderungen von
Weltraummissionen geradezu prädestiniert für den Einsatz von KI. Denn dort
nehmen die Herausforderungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Systeme
und zur Maximierung des wissenschaftlichen Nutzens rasant zu.
Um neue KI-Technologien und -Anwendungen für den Einsatz in der zivilen
Raumfahrt zu entwickeln, gründen die Europäische Weltraumorganisation ESA und
das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) ein gemeinsames
Forschungslabor – das ESA_Lab@DFKI. Das Transferlab am DFKI in Kaiserslautern
schafft einen Rahmen, in dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beider
Organisationen unter anderem an KI-Systemen zur Interpretation komplexer,
umfangreicher Daten aus der Erdbeobachtung oder zur Kollisionsvermeidung von
Satelliten forschen. Das neue Forschungslabor wird die Nähe des DFKI zum
European Space Operations Centre (ESOC) der ESA in Darmstadt nutzen. Das
ESOC ist die Missionskontrolle für 22 ESA-Raumschiffe und Zentrum für das
Weltraumsicherheitsprogramm der Agentur, das sich auf Gefahren durch
Weltraummüll, riskante Asteroiden und Weltraumwetter konzentriert.
"KI und Raumfahrt gehören zusammen", unterstreicht Prof. Dr. Antonio
Krüger, Vorsitzender der Geschäftsführung des DFKI. "Denn KI-Technologien haben
dort das größte Potenzial, wo der Mensch an die Grenzen des physisch oder
kognitiv Machbaren stößt. Sie können in der modernen Raumfahrt entscheidend bei
der Bewältigung der steigenden Anforderungen von immer komplexeren Missionen
helfen. Zudem ermöglicht der technische Fortschritt der KI neue Projekte, die
noch vor kurzem undenkbar waren. Die ESA und das DFKI haben gemeinsam bereits
einige erfolgreiche Projekte, beispielsweise im Bereich der Weltraumrobotik und
langzeitautonomer Systeme durchgeführt oder sind darin aktiv. Um so mehr freuen
wir uns, die Zusammenarbeit mit dem neuen Transferlab auszubauen und zu festigen
und damit noch mehr vielversprechende KI-Technologien aus dem breiten Spektrum
der DFKI-Forschung für den Einsatz in der Raumfahrt zu erschließen."
Die Möglichkeiten von KI in der Raumfahrt betont auch ESA-Generaldirektor
Prof. Dr.-Ing. Jan Wörner: "Der Einsatz von KI wird dem gesamten Spektrum der
Raumfahrt ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Die Extraktion von Wissen aus den
enormen Datenströmen, die Erdbeobachtungssatelliten ebenso wie Sonden in unserem
Sonnensystem liefern, die Steigerung der Autonomie und Zuverlässigkeit von
Satelliten, und schließlich die Verbesserung der Interaktion zwischen Mensch und
Maschine sind solche Anwendungsbereiche. Aber auch im administrativen Bereich,
insbesondere beim Thema 'Knowledge Management', sehen wir ein exzellentes
Anwendungsfeld für KI."
"Je weiter wir uns von der Erde entfernen, desto größer wird die
Notwendigkeit zur Autonomie", ergänzt Thomas Reiter, Astronaut und
ESA-Koordinator internationale Agenturen und Berater des Generaldirektors.
"Deshalb ist gerade auch für die astronautische und robotische Exploration
unserer Nachbarplaneten und unseres Sonnensystems die KI ein ausgesprochen
vielversprechendes Instrument. Das durch KI unterstützte, optimale Zusammenspiel
von Mensch und Maschine an Bord einer um den Mond kreisenden Plattform, eines
interplanetaren Raumschiffs, oder auf der Oberfläche von Mond und Mars, bei der
Steuerung von robotischen Rovern oder Habitaten, wird ein entscheidendes, den
Missionserfolg bestimmendes Element."
Satelliten senden täglich große Datenmengen zurück zur Erde. Die Daten des
Europäischen Copernicus-Programms etwa stehen Anwendern frei zur Verfügung.
Diese Daten sind jedoch viel zu umfangreich, als dass sie von Menschen allein
analysiert werden könnten. KI-Methoden können dabei helfen, aus den Rohdaten
wertvolles Wissen zu generieren. Mit speziellen Methoden des Maschinellen
Lernens lassen sich beispielsweise Ausbreitungs- und Schadensprognosen für
Umwelt- und Katastrophenschutz von durch Naturkatastrophen betroffenen Gebieten
treffen. Kommerzielle Mehrwertdienste reichen von der finanziellen
Risikoabschätzung solcher Ereignisse bis zur Überwachung industrieller
Infrastrukturen auf der Erde.
Ein weiteres Anwendungsszenario zielt auf die Versorgungssicherheit durch
landwirtschaftliche Produkte: Wachstumszustände und Bodenqualitäten von
Anbaugebieten lassen sich analysieren und so Ertragsprognosen treffen. Die
herausragende Expertise der ESA in der satellitengestützten Erdbeobachtung
ergänzt sich hierbei ideal mit der Erfahrung der DFKI-Wissenschaftlerinnen und
-Wissenschaftler aus wegweisenden Projekten in der Landwirtschaft, wie iGreen.
Ein weiteres potenzielles Einsatzgebiet für KI ist die Kollisionsvermeidung
von Weltraumflugkörpern angesichts immer mehr Objekten in der Erdumlaufbahn.
Denn die Raumfahrt steht mit dem verstärkten Einsatz von sogenannten
Mega-Konstellationen vor einem Paradigmenwechsel. Sind in der Vergangenheit eher
einzelne, hochspezialisierte, große Satelliten betrieben worden, geht der Trend
in der internationalen Raumfahrt heute zu Konstellationen von Hunderten oder gar
Tausenden Kleinsatelliten.
Dies stellt die Betreiber von weltraumgestützter Infrastruktur vor neue
Herausforderungen, denn mit der Anzahl an Satelliten steigt auch das Risiko von
Kollisionen und der Entstehung von weiterem Weltraumschrott. KI-Methoden helfen
bei der genauen Berechnung der Umlaufbahnen von aktiven und passiven Satelliten
sowie von bekanntem Weltraumschrott. Somit lassen sich Kollisionen durch
Ausweichmanöver verhindern.
Die Partnerschaft zwischen ESA und DFKI in Form des ESA_Lab@DFKI wird diese
und andere grundlegende Technologieentwicklungen unterstützen und verspricht,
die Bandbreite und den Umfang von Innovationen zu erweitern, die aus der
akademischen Forschung in hochentwickelte industrielle Anwendungen transferiert
werden. ESA_Lab@s sind gemeinsame Initiativen zwischen der ESA und akademischen
bzw. Forschungseinrichtungen. Die Institutionen steuern Vorschläge für
innovative Forschung bei, die den Weltraum mit ihrer wissenschaftlichen
Expertise, ihren Studierenden und ihrer Lehre verbinden, während die ESA
technische Expertise aus der gesamten Agentur und Wissen aus erster Hand über
die Herausforderungen der modernen Raumfahrt beisteuert.
Zu den bestehenden ESA_Lab@s, die sich auf künstliche Intelligenz
konzentrieren, gehören neben dem DFKI Kooperationen mit der Universität Oxford
und dem University College London. Auch das DFKI setzt mit dem ESA_Lab@DFKI auf
ein bewährtes Konzept, indem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von
Partner-Organisationen in die Forschungsteams des DFKI eingebettet werden, die
im "Ökosystem" der DFKI-Forschungsbereiche mitarbeiten und im geschützten
Datenraum konkrete Lösungen und Produkte entwickeln. Die Identifizierung und
Entwicklung einschlägiger Technologien ist so eng mit dem wissenschaftlichen
Fortschritt verzahnt.
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