Elektronen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit
Redaktion
/ Pressemitteilung des Helmholtz-Zentrums Potsdam Deutsches
GeoForschungsZentrum GFZ astronews.com
3. Februar 2021
In den Van-Allen-Strahlungsgürteln um unseren Planeten
können Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und damit zur
Gefahr für Satelliten werden. Doch wann und wie kommt es zu einer solchen
Beschleunigung? Eine Studie liefert nun neue Hinweise.
Die Konturen in Farbe zeigen die
Intensitäten der donutförmigen Strahlungsgürtel.
Die grauen Linien symbolisieren die Flugbahnen
der relativistischen Elektronen in den
Strahlungsgürteln. Konzentrische Kreislinien im
Vordergrund zeigen die Flugbahn von
wissenschaftlichen Satelliten, die diese
gefährliche Region im Weltraum durchqueren.
Bild: Ingo Michaelis und Yuri Shprits, GFZ [Großansicht] |
Neuere Messungen von Raumsonden der NASA haben gezeigt: Elektronen können in
den Van-Allen-Strahlungsgürteln um unseren Planeten ultra-relativistische
Energien erreichen und damit nahezu Lichtgeschwindigkeit. Ein Team um Hayley
Allison und Yuri Shprits vom Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam haben
herausgefunden, unter welchen Voraussetzungen es zu solch starken
Beschleunigungen kommt. Bereits 2020 hatten die Forschenden nachgewiesen, dass
Plasmawellen, die bei Sonnenstürmen auftreten, eine entscheidende Rolle spielen.
Allerdings war bislang offen, warum derart hohe Elektronenenergien nicht bei
allen Sonnenstürmen erreicht werden. In einer neuen Studie zeigen sie nun, dass
hierfür die Dichte des Hintergrundplasmas extrem gering sein muss.
Bei ultra-relativistischen Energien bewegen sich Elektronen mit nahezu
Lichtgeschwindigkeit. Dann kommen die Gesetze der Relativitätstheorie zum
Tragen. Die Masse der Teilchen wächst um einen Faktor zehn, für sie vergeht die
Zeit langsamer und Entfernungen werden kürzer. Mit derart hohen Energien werden
die geladenen Teilchen zur Gefahr für Satelliten: Weil sie nicht abschirmbar
sind, können sie aufgrund ihrer Ladung die empfindliche Elektronik zerstören.
Ihr Auftreten vorherzusagen – zum Beispiel im Rahmen der am GFZ praktizierten
Beobachtung des Weltraumwetters – ist daher für eine moderne Infrastruktur sehr
wichtig.
Um die Bedingungen für die enormen Beschleunigungen der Elektronen zu
untersuchen, nutzten Allison und Shprits Daten einer Zwillingsmission, die
Van Allen Probes, welche die US-amerikanische Weltraumagentur NASA 2012
startete. Ziel waren detaillierte Messungen im Strahlungsgürtel, dem sogenannten
Van-Allen-Gürtel, der die Erde im erdnahmen Weltraum donutförmig umgibt. Hier –
wie im übrigen Weltraum – bildet ein Gemisch aus positiv und negativ geladenen
Teilchen ein sogenanntes Plasma. Plasmawellen können als Fluktuation des
elektrischen und magnetischen Feldes verstanden werden, angeregt von
Sonnenstürmen. Sie sind eine wichtige Triebkraft für die Beschleunigung der
Elektronen.
Im Rahmen der Mission wurden sowohl Sonnenstürme beobachtet, die
ultra-relativistische Elektronen hervorriefen, als auch Stürme ohne diesen
Effekt. Als entscheidender Faktor für die starke Beschleunigung stellte sich die
Dichte des Hintergrundplasmas heraus: Elektronen mit ultra-relativistischen
Energien wurden nur dann vermehrt beobachtet, wenn die Plasmadichte auf sehr
niedrige Werte von nur etwa zehn Teilchen pro Kubikzentimeter abfiel.
Mit einem numerischen Modell, das eine solche extreme Plasmaverarmung auf ein
Fünftel bis ein Zehntel ihres durchschnittlichen Wertes einbezog, zeigten die
Forschenden, dass Perioden niedriger Dichte bevorzugte Bedingungen für die
Beschleunigung von Elektronen schaffen – von ursprünglich einigen Hunderttausend
auf mehr als sieben Millionen Elektronenvolt. Für die Analyse der Daten der
Van-Allen-Sonden verwendeten die Forschenden Methoden des maschinellen Lernens,
deren Entwicklung vom Netzwerk GEO.X finanziert wurde. Sie ermöglichten es, aus
den gemessenen Fluktuationen des elektrischen und magnetischen Feldes auf die
Gesamtplasmadichte zu schließen.
"Diese Studie zeigt, dass Elektronen im Strahlungsgürtel der Erde lokal sehr
schnell auf ultra-relativistische Energien beschleunigt werden können, wenn die
Bedingungen der Plasmaumgebung – Plasmawellen und temporär geringe Plasmadichte
– stimmen. Die Teilchen surfen quasi auf Plasmawellen und können ihnen in
Regionen sehr geringer Plasmadichte die benötigte Energie entziehen. Einen
ähnlichen Beschleunigungs-Mechanismus für geladene Teilchen könnte es auch in
den Magnetosphären der äußeren Planeten, etwa Jupiter oder Saturn, und in
anderen astrophysikalischen Objekten geben", sagt Shprits, am GFZ Leiter der
Sektion Weltraumphysik und Weltraumwetter und Professor an der Universität
Potsdam.
"Es braucht also zum Erreichen solch extremer Energien nicht, wie lange
angenommen, einen zweistufigen Beschleunigungsprozess – zunächst aus dem äußeren
Bereich der Magnetosphäre in den Gürtel hinein und dann innerhalb. Damit werden
auch unsere Untersuchungsergebnisse aus dem vergangenen Jahr untermauert",
ergänzt Allison, Postdoktorandin in der Sektion Weltraumphysik und
Weltraumwetter.
Über ihr Modell berichtete das Team in einem Fachartikel, der jetzt in der
Wissenschaftszeitschrift Science Advances erschienen ist.
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