Sonnensturm hilft altes Rätsel lösen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
28. September 2016
Ein geomagnetischer Sturm hat sich als Glücksfall für die
Wissenschaft erwiesen: Jahrzehntelang rätselte die Forschung, wie
hochenergetische Partikel, die auf die Magnetosphäre der Erde treffen, wieder
verschwinden. Durch Beobachtungen während des Sturms wurde klar: Entscheidend
für den Verlust an Teilchen ist, wie schnell die Partikel sind.

Visualisierung der magnetischen Umgebung der
Erde mit den magnetischen Feldlinien als eine Art
Schutzschild, der vom starken Magnetfeld im
Erdkern gebildet wird. Bild:
Martin Rother/GFZ [Großansicht] |
Ein geomagnetischer Sturm am 17. Januar 2013 hat sich als Glücksfall für die
Wissenschaft erwiesen. Der Sonnensturm ermöglichte einzigartige Beobachtungen,
die helfen, eine lang diskutierte Forschungsfrage zu lösen. Jahrzehnte rätselten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, auf welche Weise hochenergetische
Partikel, die auf die Magnetosphäre der Erde treffen, wieder verschwinden.
Als aussichtsreiche Erklärung galt ein Prozess, bei dem elektromagnetische
Wellen die Teilchen in die Erdatmosphäre ablenkten. Vor zehn Jahren wurde eine
weitere Theorie vorgeschlagen, wonach die Partikel in den interplanetaren Raum
verschwanden. Jetzt hat Yuri Shprits vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ und
der Universität Potsdam gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Instituten
weltweit herausgefunden, dass beide Erklärungen gelten - entscheidend für den
Verlust an Teilchen ist, wie schnell die Partikel sind. "Das hilft uns auch,
Prozesse auf der Sonne, auf anderen Planeten und sogar in fernen Galaxien zu
verstehen", so Shprits. "Die Studie wird uns überdies helfen, das Weltraumwetter
besser vorherzusagen und damit wertvolle Satelliten zu schützen."
Der Physiker James Van Allen wies vor beinahe sechzig Jahren nach, dass das
Weltall radioaktiv ist. Er nutzte dazu Messungen eines Geigerzählers, der auf
dem ersten US-amerikanischen Satelliten Explorer 1 angebracht war.
Heute wissen wir, dass die Erde von zwei Ringen umgeben ist, die hoch
energetische Teilchen aus dem Weltall "einfangen". Man spricht auch vom
"Van-Allen-Gürtel".
Die Strahlung darin stellt eine extrem harsche Umgebung für Satelliten und
Menschen dar, die in Raumfahrzeugen die Gürtel durchfliegen. Die Satelliten, auf
denen unsere Navigationssysteme beruhen, etwa die GPS-Satelliten, befinden sich
mitten im Van-Allen-Gürtel.
Die gefährlichsten Partikel für die Raumfahrt sind sogenannte relativistische
und ultra-relativistische Elektronen. Die einen fliegen mit mehr als 90 Prozent
der Lichtgeschwindigkeit, die anderen sogar mit mehr als 99 Prozent der
Lichtgeschwindigkeit. Treffen sie auf elektronische Bauteile, können sie diese
empfindlich beeinträchtigen oder sogar zerstören.
Gegen relativistische Teilchen lassen sich Satelliten abschirmen, aber gegen die
ultra-relativistischen Teilchen gibt es so gut wie keinen Schutz. Shprits, der
kürzlich im Rahmen der Helmholtz-Rekrutierungsinitiative von der University
of California in Los Angeles ans GFZ kam und eine Professur an der
Universität Potsdam innehat, meint: "Umso wichtiger ist es, die Dynamik dieser
Partikel zu verstehen."
Das Problem dabei: Im Gegensatz zu den vergleichsweise trägen Veränderungen der
Ozeane und der Atmosphäre auf der Erde, kann sich der Strahlungsfluss in der
Magnetosphäre innerhalb einer Stunde um den Faktor 1000 verändern. Am
dramatischsten sind die sogenannten "drop-outs", also das Verschwinden von
Elektronen aus dem Van-Allen-Gürtel, während geomagnetischer Stürme oder
Sonneneruptionen.
Schon seit Ende der 1960er Jahre versucht die Forschung daher zu ergründen,
wohin Elektronen aus dem Van-Allen-Gürtel verschwinden. Das Verständnis dieses
Prozesses ist zentral, um die radioaktive Umgebung zu charakterisieren und
Veränderungen prognostizieren zu können. Fachleute sprechen von
Weltraumwettervorhersage.
Eine der Theorien, die "drop-outs" erklären, beruhte auf bestimmten
elektromagnetischen Wellen. Diese werden durch eindringende Ionen aus dem
Magnetosphärenschweif verursacht, die schwerer und energiereicher als Elektronen
sind. Die Wellen können Elektronen in die Erdatmosphäre hinein ablenken und so
aus dem Van-Allen-Gürtel entfernen.
Vor zehn Jahren schlug Shprits gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen einen
anderen Mechanismus vor, wonach Elektronen nicht nach "unten", sondern nach oben
abgelenkt werden, also nicht in der Atmosphäre landen, sondern ins Weltall
verschwinden. Messungen und Modellierungen schienen diesen Weg zu bestätigen,
aber es blieb unklar, was genau bei geomagnetischen Stürmen passiert.
Jetzt scheint die Frage gelöst zu sein, nachdem ein internationales Team um
Shprits Daten aus dem Sonnensturm vom 17. Januar 2013 ausgewertet und darüber
hinaus mit Ergebnissen aus seinen Modellrechnungen verglichen hat. "Der Sturm
bot ideale Bedingungen", erläutert Shprits, "weil erstens noch Teilchen aus
einem vorhergehenden Sturm nachweisbar waren, zweitens die
ultra-relativistischen und die relativistischen Teilchenströme an
unterschiedlichen Stellen auftraten und drittens die ultra-relativistischen
Teilchen tief in der Magnetosphäre gefangen waren."
Umfangreiche Messungen der Van-Allen-Sonden, die 2012 von der NASA zur
Untersuchung der Strahlungsgürtel gestartet wurden, zeigten,
dass die verdächtigten Wellen tatsächlich Teilchen in die Atmosphäre streuten.
Allerdings betrifft das ausschließlich die superschnellen ultra-relativistischen
Teilchen und nicht wie früher gedacht, auch die relativistischen. Bei den hohen
Energien ist die Streuung durch Wellen besonders effektiv.
Der andere von Shprits vorgeschlagene Mechanismus hat dagegen die etwas
langsameren Teilchen, die relativistischen Elektronen, in den interplanetaren
Raum abgelenkt. Damit sei nicht nur eine alte Forschungsfrage gelöst, sagt
Shprits, sondern es böten sich nun bessere Möglichkeiten, Prozesse in unserem
Strahlungsgürtel, aber auch um andere Planeten herum bis hin zu Sternen und
fernen Galaxien zu verstehen.
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel, der in
Nature Communications erscheint.
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