Erschwerter Blick durch Staub
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Erlangen-Nürnberg astronews.com
21. September 2020
Lange Zeit gab das Doppelsternsystem IGR J16318-4848
Astronominnen und Astronomen Rätsel auf, passte doch die von diesem empfangene
Röntgenstrahlung nicht zu den Modellen, die solche Systeme sonst gut erklären
können. Neue Beobachtungen und Rechnungen lieferten nun eine Lösung: Das System
ist von einer kalten Staubhülle umgeben.
Die Untersuchungen wurden unter anderem mit
dem Röntgenteleskop NuSTAR gemacht.
Bild: NASA / JPL-Caltech [Großansicht] |
Doppelsterne sind im Weltraum nichts Ungewöhnliches. Selbst wenn der eine
Partner wie bei IGR J16318-4848 in einem der Spiralarme unsere Galaxie aus einem
Neutronenstern und damit aus dem superkompakten Rest einer Sternen-Leiche
besteht. Dessen Gegenüber wirkt ebenfalls exotisch, weil es sich um einen
Überriesen-Stern handelt, der ein Vielfaches der Masse unserer Sonne hat.
Obendrein entpuppte sich dieses Monster als eine Art "kosmische Dreckschleuder",
die jede Menge Eisen in den Weltraum bläst. Spannend ist dieses System aber aus
einem ganz anderen Grund.
"Meist erreicht uns von solchen Systemen ein breites Spektrum aus weicher und
harter Röntgenstrahlung", erklärt Prof. Dr. Jörn Wilms vom Astronomischen
Institut der Universität Erlangen-Nürnberg in der Dr. Karl Remeis-Sternwarte
Bamberg. Dieses System aber gab Astrophysikerinnen und Astrophysikern eine harte
Nuss zu knacken, weil nicht nur der gesamte weiche Teil der Strahlung fehlt,
sondern obendrein das harte Röntgenlicht auch noch sehr überraschende
Eigenschaften hat. Lösen konnten Wilms, sein Doktorand Ralf Ballhausen und ein
Forschungsteam in Deutschland, den Niederlanden, Spanien und den USA dieses
Problem erst mithilfe gleich zweier Röntgensatelliten und Computer-Modellen, mit
denen sie die Vorgänge um dieses bizarr anmutende System aus zwei Sternen
simulierten.
In diesem Sternen-Paar bläst der Überriese, dessen wahre Größe noch gar nicht
genau bestimmt werden konnte, kontinuierlich einen Teil seiner eigenen Masse als
Sternenwind in den Weltraum. Dort aber kreist wahrscheinlich bereits ein
Neutronenstern, der einst entstand, als ein Stern, der mindestens die achtfache
Masse unserer Sonne hatte, am Ende seines Lebens zu einem extrem kompakten
Gebilde zusammenstürzte. Dort sind die Atomkerne extrem dicht nebeneinander
gepackt. Ein Teelöffel davon wäre ähnlich schwer wie ein Eisenwürfel mit 700
Meter langen Kanten.
"Obwohl er die 1,4-fache Masse unserer Sonne hat, ist ein solcher
Neutronenstern mit einem Durchmesser von zehn Kilometern im Vergleich mit den
700.000 Kilometern unserer Sonne nur ein Winzling", erklärt Wilms. Fällt die vom
Überriesen-Partner ausgestoßene Materie auf diesen supermassiven Winzling,
entsteht Röntgenstrahlung. "Nur fehlt bei diesem Doppelstern-System nicht nur
die gesamte weiche Röntgenstrahlung, sondern besteht auch der harte Teil fast
ausschließlich aus einer extrem hellen Emissionslinie, die aus Eisen stammt", so
Wilms.
Diese Röntgen-Fluoreszenz entsteht, wenn das Röntgenlicht vom Neutronenstern
aus Eisen-Atomen Elektronen herausschlägt, die aus der nächsten Nähe des
Atomkerns stammen. Die so entstandene Lücke wird rasch von einem Elektron aus
etwas größerer Entfernung zum Kern geschlossen. Dabei wird genau die Strahlung
frei, von der Röntgensatelliten riesige Mengen messen. "Daraus schließen wir,
dass dort große Mengen Eisen vorhanden sind", folgert Ballhausen.
Nur ist der Neutronenstern sehr heiß und sollte dieses Eisen kräftig
aufheizen. Dadurch verlieren die Atome leicht Elektronen, die relativ weit vom
Atomkern entfernt sind und die daher ohnehin nicht allzu fest gebunden sind.
Dabei werden die Atome zu Ionen. Dieser Verlust verändert auch die
Elektronen-Struktur in nächster Nähe zum Atomkern und gleichzeitig auch die
Röntgen-Fluoreszenz ein klein wenig. "Als 2016 der japanische Satellit
Hitomi das System vermaß, fanden sich solche Veränderungen aber kaum",
berichtet Wilms. Anscheinend gibt es dort also kaum die erwarteten Eisen-Ionen,
sondern wohl vor allem Eisen-Atome. Wieso aber werden diese von der starken
Röntgenstrahlung nicht aufgeheizt und in Ionen verwandelt? Die Forscherinnen und
Forscher standen vor einem großen Rätsel.
Die Lösung fand das Team als es das System gleichzeitig mit zwei
Röntgensatelliten beobachtete: mit dem NuSTAR-Röntgenteleskop der
US-Weltraumbehörde NASA und XMM-Newton, der europäischen Weltraumagentur ESA.
Die Satelliten zeigten gemeinsam das gesamte Spektrum der Röntgenstrahlung in
sehr hoher Qualität. Aber noch immer lieferten die Modellrechnungen mit diesen
Ergebnissen eine andere Röntgenstrahlung als die aus dem System gemessene.
Erst als die Forscherinnen und Forscher in ihren Modellen das bisher als Gas
angenommene Eisen durch einen festen Staub ersetzten, stimmten die vom Computer
ausgespuckten Werte endlich mit der Realität im Weltraum überein. Damit aber
hatte das Team auch das Geheimnis um die seltsame Röntgenstrahlung gelöst: "Der
Überriese ist zwar tatsächlich eine Dreckschleuder, die sehr viel Eisen in den
Weltraum bläst", erklärt Ballhausen. "Nur verklumpt dieses Gas rasch und bildet
so festen Staub." Dieser könnte vielleicht aus Olivin und damit einem Mineral
aus Eisen und Nickel bestehen, das nicht nur im Erdmantel, sondern auch in
Meteoriten und sehr wahrscheinlich auch überall sonst im Weltraum reichlich
verkommt.
Dieser Olivin-Staub sammelt sich in großen Mengen an und hüllt das Paar aus
Neutronenstern und Überriesen in eine dichte Staubschicht. In den inneren
Bereichen kann die Röntgenstrahlung vom Neutronenstern dieses Eisen zwar kräftig
aufheizen. Von der Erde aus aber beobachten die Röntgensatelliten nur die
äußersten Schichten der Staubhülle. Und dort bleibt das Olivin kalt. Inzwischen
nehmen Wilms, Ballhaus und ihr Team bereits andere Doppelsternsysteme unter die
Lupe, die ebenfalls die Röntgenstrahlen aus ihrem Inneren großenteils zu
verschlucken scheinen. Vielleicht ähneln die Verhältnisse dort ja auch dem
Neutronenstern und seinem Überriesen und dicke, kalte Staubhüllen sind nichts
Ungewöhnliches im Weltraum?
Über ihre Beobachtungen berichten die Forscher in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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