Magnetische Gasströme und die Sternentstehung
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
21. August 2020
Mithilfe des HAWC+-Polarimetrie-Empfängers an Bord des
Flugzeugobservatoriums SOFIA haben Astronominnen und Astronomen die
Filamentstruktur des dichten Gases in der Umgebung eines jungen Sternhaufens
untersucht. Dabei stellten sie unter anderem fest, dass die Ausrichtung der
inneren Struktur dieser Wolken eng mit der Ausrichtung der Magnetfelder
zusammenhängt.

Kompositbild des Serpens-Süd-Sternentstehungsgebiets.
Ergebnisse von Magnetfeldbeobachtungen mit SOFIA
sind als Stromlinien einem Infrarotbild der
Region des Weltraumteleskops Spitzer überlagert.
Bild: NASA / SOFIA / T. Pillai / J.
Kauffmann; NASA / JPL-Caltech / L. Allen [Großansicht] |
Das interstellare Medium ist zusammengesetzt aus einem recht geringen Anteil
von Gas und Staub, der einen gewaltigen Leerraum zwischen den Sternen erfüllt.
Dieses ziemlich diffuse Material erstreckt sich über die gesamte Milchstraße und
stellt damit ein erhebliches Massereservoir in Galaxien dar. Ein wichtiger
Bestandteil des interstellaren Gases sind kalte und dichte Molekülwolken, deren
überwiegender Massenanteil aus molekularem Wasserstoff besteht. Ein wichtiges
Forschungsergebnis des letzten Jahrzehnts ist, dass jede dieser Molekülwolken
von einem ausgedehnten Netzwerk von Filamenten durchdrungen wird. Daraus ist nun
ein Bild entstanden, dass sich Sterne wie unsere Sonne vorzugsweise in dichten
Sternhaufen an den Schnittpunkten solcher Filamente bilden.
Für die aktuelle Studie untersuchten die Forscherinnen und Forscher ein
Netzwerk von Filamenten aus dichtem Gas um den Serpens-Süd-Sternhaufen mit
HAWC+, einem Empfänger für polarisierte Infrarotstrahlung an Bord des
Flugzeugobservatoriums SOFIA, um den Einfluss von Magnetfeldern bei der
Entstehung von neuen Sternen zu verstehen. In einer Entfernung von ca. 1400
Lichtjahren ist der Serpens-Süd-Sternhaufen der jüngste bekannte Sternhaufen in
der näheren Umgebung der Sonne, positioniert im Zentrum eines Netzwerks aus
dichten Filamenten.
Die Beobachtungen zeigen, dass Gasfilamente geringer Dichte parallel zur
Orientierung des Magnetfelds angeordnet sind, während die Ausrichtung bei
höheren Gasdichten senkrecht dazu liegt. Die hohe Winkelauflösung von HAWC+
zeigte nun eine weitere vorher nicht bekannte Wendung der Geschichte. "In
einigen der Filamente mit hoher Dichte passt sich das Magnetfeld dem
Materiefluss an und zeigt eine Ausrichtung in Übereinstimmung mit jener der
Filamente", erläutert Thushara Pillai von der Universität Boston und dem
Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn. "Damit dominiert die
Schwerkraft in den undurchsichtigen Teilen mancher der Filamente im Serpens-Süd-Sternhaufen
und der daraus resultierende schwach magnetisierte Gasfluss unterstützt in einer
Art Förderband das Wachstum von jungen Sternhaufen", fügt sie hinzu.
Theoretische Simulationen und Beobachtungen lassen darauf schließen, dass die
filamentartige Struktur von Molekülwolken eine größere Rolle dabei spielt, wie
Materie aus ausgedehnteren Bereichen des interstellaren Mediums in junge
Sternhaufen transportiert wird, deren Wachstum mit diesem Gas gefüttert wird.
Die Entstehungs- und Entwicklungsprozesse von Sternen werden von einem komplexen
Zusammenspiel mehrerer fundamentaler Kräfte gesteuert, insbesondere von
Turbulenz, Gravitation und Magnetfeldern.
Um eine genaue Beschreibung dafür zu erhalten, wie dichte Haufen von jungen
Sternen entstehen, muss die Astronomie den relativen Einfluss von allen drei
genannten Kräften bestimmen. Sowohl die turbulenten Gasbewegungen als auch der
Massenanteil der Filamente (und damit der Einfluss der Gravitation) lassen sich
relativ einfach abschätzen. Aber die Stärke des interstellaren Magnetfelds ist
sehr gering; es ist rund 10.000mal schwächer als jenes der Erde. Das macht die
Bestimmung der Magnetfeldstärke in den Filamenten zu einer herausfordernden
Aufgabe.
"Die Ausrichtungen des Magnetfelds in unserer neuen Polarisationskarte von
Serpens-Süd stimmen sehr gut mit der Richtung des Gasflusses entlang des
schmalen südlichen Filaments überein. Die Ergebnisse der Beobachtungen
unterstützen die Annahme, dass die filamentartigen Materieflüsse dazu beitragen,
einen jungen Sternhaufen zu bilden", ergänzt Phil Myers vom
Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics.
Ein kleiner Anteil der Gesamtmasse einer Molekülwolke besteht aus Staubkörnern
geringer Ausdehnung, die mit dem interstellaren Gas vermischt sind. Diese
interstellaren Staubkörner richten sich senkrecht zur Richtung eines Magnetfelds
aus. Aus diesem Grund ist die Strahlung, die von diesen Staubkörnern ausgeht,
polarisiert und man kann daraus die Ausrichtung des Magnetfelds in Molekülwolken
bestimmen.
Auf der Grundlage von Beobachtungen der Raumfahrtmission Planck
wurde erst vor Kurzem eine hochempfindliche Himmelskarte der polarisierten
Strahlung von interstellarem Staub bei Wellenlängen unterhalb von 1 mm
veröffentlicht. Sie ermöglicht den ersten großskaligen Blick auf die
Magnetisierung von filamentartigen Molekülwolken und deren Umgebung.
Untersuchungen auf der Grundlage der Planck-Daten haben ergeben, dass
die Filamente nicht nur stark magnetisiert sind, sondern dass sie auch auf
vorhersagbare Weise mit den Magnetfeldern in Verbindung stehen.
Die Ausrichtung der Magnetfelder ist parallel zu den Filamenten in einer
Umgebung geringer Dichte. Die Magnetfelder ändern ihre Orientierung in Gebieten
höherer Dichte und sind dort senkrecht zu den Filamenten. Das lässt darauf
schließen, dass Magnetfelder eine wichtige Rolle bei der Ausbildung dieser
Filamente spielen, verglichen mit dem Einfluss von Turbulenz und Gravitation.
Aus dieser Beobachtung ergibt sich jedoch ein Problem. Um Sterne in
gasförmigen Filamenten entstehen zu lassen, müssen die Filamente erst ihre
Magnetfelder verlieren. Wann und wo genau passiert das? Mit der um eine
Größenordnung höheren Winkelauflösung des HAWC+ Instruments im Vergleich zu
Planck wird es nun möglich, die Regionen in den Filamenten aufzuzeigen, wo
die Magnetisierung der Filamente an Bedeutung verliert. "Planck hat
neue Aspekte von Magnetfeldern im interstellaren Medium aufgezeigt, aber erst
die bessere Winkelauflösung des HAWC+ Empfängers an Bord von SOFIA zusammen mit
polarimetrischen Untersuchungen im Nahinfrarotbereich vom Boden aus bringen uns
mächtige neue Werkzeuge zur Erforschung der entscheidenden Details bei den
auftretenden Prozessen", sagt Dan Clemens, Professor und Leiter der
Astronomie-Abteilung der Universität Boston.
"Die Tatsache, dass wir in der Lage waren, einen kritischen Übergang in der
Sternentstehung aufzuzeigen, kam etwas überraschend. Es zeigt aber wiederum, wie
wenig wir noch über kosmische Magnetfelder wissen und wieviel aufregende
Wissenschaft aus zukünftigen Beobachtungen mit SOFIAs HAWC+ Empfänger zu
erwarten sein dürfte", so Pillai.
Über ihre Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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