Die Ausdehnungsgeschichte des Universums
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik astronews.com
27. Juli 2020
Ein Team des Sloan Digital Sky Survey hat die
Analyse der umfangreichsten bislang erstellten dreidimensionalen Karte des
Universums vorgestellt und damit die größten Lücken bei der Erforschung der Geschichte
des Kosmos geschlossen. Die Studie beinhaltet auch
genaue Messungen der Expansionsgeschichte unseres Universums über den bisher
größten Abschnitt kosmischer Zeit.
Die SDSS-Karte zeigt das beobachtbare
Universum als einen Regenbogen von Farben. Für
jeden farbcodierten Kartenausschnitt ist ein Bild
einer typischen Galaxie oder eines Quasars aus
diesem Ausschnitt gezeigt, sowie das Signal des
Musters, das das eBOSS-Team dort misst.
Bild: Anand Raichoor (EPFL), Ashley Ross
(Ohio State University) und die SDSS
Collaboration [Großansicht] |
"Wir kennen sowohl die frühe Geschichte des Universums als auch seine
jüngste Ausdehnungsgeschichte ziemlich gut, aber in den mittleren elf Milliarden
Jahren klafft eine lästige Lücke", sagt der Kosmologe Kyle Dawson von der
University of Utah, der Leiter des Teams, das in der vergangenen Woche
seine Ergebnisse vorstellte. "Fünf Jahre lang haben wir daran gearbeitet, diese
Lücke zu füllen, und wir nutzen diese Informationen, um einige der
substanziellsten Fortschritte in der Kosmologie des letzten Jahrzehnts zu
erzielen."
Die neuen Ergebnisse stammen aus dem "erweiterten Baryon Oscillation
Spectroscopic Survey" (eBOSS), einer internationalen Zusammenarbeit von mehr als
100 Astrophysikerinnen und Astrophysikern, einschließlich Forschenden am Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik (MPE), der Teil des Sloan Digital Sky Survey
(SDSS) ist. Das Herzstück der neuen
Ergebnisse sind detaillierte Messungen von mehr als zwei Millionen Galaxien und
Quasaren, die elf Milliarden Jahre kosmischer Zeit abdecken. Innerhalb des eBOSS-Teams
konzentrierten sich einzelne Gruppen auf verschiedene Aspekte der Analyse, wobei
jeder Teilbereich eine sorgfältige Analyse erfordert, um Verunreinigungen zu
entfernen und die Muster des Universums aufzudecken.
Um den Teil der Karte zu erstellen, der sechs Milliarden Jahre zurückreicht,
verwendete das Team große, rote Galaxien. Weiter draußen benutzten sie jüngere,
blaue Galaxien. Um das Universum vor elf Milliarden Jahren und mehr zu
kartographieren, benutzten sie schließlich Quasare, d. h. helle Galaxien, in
denen Material aufleuchtet, das auf ein zentrales supermassereiches Schwarzes
Loch fällt.
"Quasare stellen eine einzigartige Probe dar, die es uns ermöglicht, die
Rotverschiebungslücke zwischen Galaxien und dem Lyman-alpha-Wald bei den
höchsten Rotverschiebungen zu überbrücken", sagt Jiamin Hou, Nachwuchsforscherin
am MPE, die die Quasar-Analysen im Rahmen von eBOSS leitete. "Mit Galaxien
können wir auf die letzten Milliarden Jahre der kosmischen Geschichte
zurückblicken, die Quasare führen uns etwa zehn Milliarden Jahre zurück, und
schließlich erlauben uns die Lyman-alpha-Galaxien einen Blick zurück in die
Zeit, als das Universum weniger als zwei Milliarden Jahre alt war. Studien über
den kosmischen Mikrowellenhintergrund reichen dann noch weiter zurück, bis zum
frühen Universum, nur 380 000 Jahre nach dem Urknall."
Die endgültige Karte, die von SDSS nun veröffentlicht wurde, zeigt die
Filamente und Hohlräume, die Strukturen im Universum definieren. Ein Merkmal
dieser Verteilung, die sogenannten "baryonischen akustischen Schwingungen", ist
ein sehr subtiles Signal aus den frühen Epochen des Universums, als Schallwellen
nach einer Reise von etwa 500 Millionen Lichtjahren "eingefroren" wurden und der
Materieverteilung ein Signal einprägten. Dieser Abdruck ist heute in der
Verteilung von Galaxien sichtbar, wo es etwas wahrscheinlicher ist,
Galaxienpaare zu finden, die durch diesen Maßstab getrennt sind, als in
kleineren oder größeren Abständen.
Messungen der scheinbaren Größe dieses Maßstabs ermöglichen es den
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, kosmische Entfernungen mit hoher Präzision zu berechnen.
Darüber hinaus weisen Galaxien auch eigene Bewegungen auf, die ihre Verteilung
in Bezug auf die Sichtlinienrichtung anisotrop erscheinen lassen, ein Effekt,
der als "Rotverschiebungsraum-Verzerrung" bekannt ist. Dieses charakteristische
anisotrope Muster ermöglichte es dem eBOSS-Team, die Geschwindigkeit zu messen,
mit der kosmische Strukturen aufgrund von gravitativen Wechselwirkungen wachsen.
"Mithilfe von Quasaren können wir die Entfernungsmessung auf etwa drei Prozent
und die Messung der Wachstumsrate des Universums auf zehn Prozent einschränken",
sagt Hou.
"In unserer Gruppe leisten wir seit fast einem Jahrzehnt einen
kontinuierlichen Beitrag zu den Kosmologieprogrammen von SDSS", sagt der
Kosmologe Ariel Sánchez, ein leitender Forscher am MPE. "Zusammengenommen
erlauben uns diese Studien, die Ausdehnung und das Wachstum der
Strukturgeschichten unseres Universums über einen Bereich kosmischer Zeit zu
rekonstruieren, der etwa 90 % seines Alters abdeckt."
In Kombination mit zusätzlichen Informationen aus dem kosmischen
Mikrowellenhintergrund und Supernovae ermöglicht dies dem Team,
mehrere Schlüsselparameter unseres Universums mit einer Genauigkeit von mehr als
einem Prozent zu bestimmen. Die kosmische Geschichte aus diesen Daten zeigt,
dass die Ausdehnung des Universums vor etwa sechs Milliarden Jahren anfing sich
zu beschleunigen, und seitdem immer schneller und schneller geworden ist. Diese
beschleunigte Expansion scheint auf eine mysteriöse unsichtbare Komponente des
Universums namens "Dunkle Energie" zu deuten, die mit Einsteins Allgemeiner
Relativitätstheorie übereinstimmt, aber mit unserem heutigen Verständnis der
Teilchenphysik nur schwer vereinbar ist.
Insgesamt hat das eBOSS-Team in der vergangenen Woche die Ergebnisse von mehr
als 20 wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlicht. Diese Arbeiten beschreiben
auf mehr als 500 Seiten die Analysen des Teams zu den neuesten eBOSS-Daten und
markieren den Abschluss der wichtigsten Ziele des Projekts.
In den nächsten Jahren werden MPE-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler die SDSS-Daten zudem dafür
verwenden, die großräumige Struktur des Universums noch genauer zu
kartographieren und kosmologische Parameter einzuschränken, indem sie die
Galaxienhaufen und AGN, die vom eROSITA-Röntgenteleskop gefunden werden, genauer
unter die Lupe nehmen.
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