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Aus 1,2 Millionen Galaxien haben Astronomen die bislang größte dreidimensionale Karte des Universum erstellt. Sie lässt sich nutzen, um einige aktuelle Rätsel der Astronomie zu erforschen. So zeigt sie beispielsweise eine gute Übereinstimmung mit dem Standardmodell der Kosmologen und bestätigt, dass die Dunkle Energie einer kosmologischen Konstante gleicht.
Was hat es mit der Dunklen Energie auf sich? Welche Eigenschaften besitzt sie? Diese Fragen zählen zu den heißen Themen der Astronomie. Einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der geheimnisvollen Kraft liefert jetzt die bisher größte dreidimensionale Karte des Universums: Sie enthält 1,2 Millionen Galaxien in einem Volumen von 650 Milliarden Kubiklichtjahren. Hunderte Wissenschaftler – darunter auch aus den Max-Planck-Instituten für Astrophysik und für extraterrestrische Physik – haben diese Karte für präzise Messungen der großen Unbekannten genutzt. Die Forscher fanden eine sehr gute Übereinstimmung mit dem kosmologischen Standardmodell und bestätigten, dass die Dunkle Energie mit einer kosmologischen Konstante konsistent ist. "Zehn Jahre lang haben wir Messungen von 1,2 Millionen Galaxien über ein Viertel des Himmels hinweg gesammelt, um damit die Struktur des Universums in einem Volumen von 650 Milliarden Kubiklichtjahren zu kartieren", erläutert Jeremy Tinker von der New York University, einer der Leiter des Projekts. Dem Team gehörten Hunderte von Wissenschaftlern aus dem Sloan Digital Sky Survey III (SDSS-III) an. Die Beobachtungen waren Teil des Baryon Oscillation Spectroscopic Survey (BOSS). Die dabei erstellte Karte ist vom ständigen Tauziehen zwischen der unbekannten Dunklen Materie und der ebenso geheimnisvollen Dunklen Energie geprägt. Sie ermöglicht es den Astronomen, die Ausdehnungsrate des Universums zu vermessen, indem sich die Größe der sogenannten baryonischen akustischen Oszillationen (BAO) in der dimensionalen Verteilung der Galaxien bestimmen lässt. Das sehr junge All war bis zu einem Alter von etwa 400.000 Jahren nach dem Urknall von Schallwellen durchzogen; danach "froren" diese in der Materieverteilung des Universums "ein" und hinterließen ein charakteristisches Muster. Als Folge davon sind Galaxien bevorzugt durch einen ganz bestimmten Abstand voneinander getrennt, der als BAO-Skala bezeichnet wird. Die ursprüngliche Größe dieser BAO-Skala ließ sich aus Beobachtungen des kosmischen Mikrowellenhintergrundes sehr genau bestimmen.
Ariel Sanchez vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching leitete die Arbeiten, um den genauen Anteil an Dunkler Materie und Dunkler Energie auf Grundlage der BOSS-Daten abzuschätzen. "Wenn wir die akustische Skala im Lauf der kosmischen Geschichte messen, gibt uns das einen Maßstab an die Hand, mit dem wir direkt die Expansionsrate des Weltalls bestimmten können", sagt Sanchez. So ließen sich die subtilen Auswirkungen, welche die BAO auf die Verteilung der Galaxien haben, über eine Zeitspanne von zwei bis sieben Milliarden Jahren zurückverfolgen. Für die sehr genauen Messungen mussten die Daten allerdings auch sorgfältig analysiert werden. Insbesondere stellte die Bestimmung der Entfernungen zu den Galaxien eine große Herausforderung dar. Diese wird aus den Spektren abgeleitet. Dabei ist das Licht der Milchstraßensysteme in den roten Bereich verschoben, weil sie sich von uns entfernen. Diese sogenannte Rotverschiebung hängt unmittelbar mit dem Abstand zusammen: Je weiter eine Galaxie von uns entfernt ist, desto schneller flieht sie vor uns. "Daneben führen die Galaxien aber auch Eigenbewegungen aus. Und deren Geschwindigkeitskomponente entlang der Sichtlinie bewirkt eine Verzerrung der Rotverschiebungen", sagt Shun Saito vom Max-Planck-Institut für Astrophysik, der ausgeklügelte Modelle zur BOSS-Datenanalyse lieferte. Wegen des genannten Effekts ist die Verteilung der Galaxien richtungsabhängig (anisotrop), weil die Sichtlinie jetzt als Richtung im Raum ausgezeichnet ist - nur in dieser Richtung wird eine Entfernung bestimmt und zwar über die Rotverschiebung, die durch die Eigengeschwindigkeit kontaminiert ist. Das daraus resultierende charakteristische Muster erlaubt es den Astronomen, die Eigengeschwindigkeiten der Galaxien zu messen. Diese Eigengeschwindigkeiten wiederum werden ausschließlich von der Gravitation beeinflusst. In anderen Worten: Die Messung einer solchen Geschwindigkeit erlaubt Rückschlüsse auf die hinter der Gravitation stehende Theorie. "So können wir abschätzen, in welchem Umfang Einsteins allgemeine Relativitätstheorie auch auf kosmologischen Skalen korrekt ist", sagt Shun Saito. Um die Daten richtig zu interpretieren, entwickelten die Forscher ein verfeinertes Modell, das die Galaxienverteilung beschreibt. Für seine Doktorarbeit verfolgte ein Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik einen weiteren interessanten Ansatz: Salvador Salazar verwendete bei der Datenanalyse die Winkelpositionen der Galaxien am Himmel anstatt der physischen dreidimensionalen Positionen. "Diese Methode kommt allein mit Beobachtungsgrößen aus", erklärt Salazar. "Wir machen keine vorherigen Annahmen über das kosmologische Modell." Die an dem Projekt beteiligten Forschergruppen verwendeten leicht unterschiedliche Modelle und Methoden, um den riesigen BOSS-Datensatz zu analysieren. Die Daten zeigen, dass die Dunkle Energie, welche die kosmische Expansion antreibt, innerhalb eines Fehlers von nur fünf Prozent mit einer kosmologischen Konstante konsistent ist. Diese von Albert Einstein eingeführte Konstante, Lambda genannt, beschreibt eine Größe, die der Gravitationskraft der Materie entgegenwirkt, sie wirkt also abstoßend. Darüber hinaus stehen alle Ergebnisse mit dem kosmologischen Standardmodell in Einklang, das mit sechs Parametern die Entwicklung des Weltalls seit dem Urknall beschreibt. Insbesondere zeigt die Karte auch die unverwechselbare Signatur der kohärenten Bewegung von Galaxien hin zu Regionen des Universums mit mehr Materie aufgrund der massebedingten Anziehungskraft. Zudem entspricht die beobachtete Menge der einfallenden Materie genau den Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie. Dies stützt die These, dass die Beschleunigung der Expansionsrate durch ein Phänomen wie die Dunkle Energie angetrieben wird und nicht durch eine Änderung der Gravitationstheorie. Über ihre Untersuchung berichten die Astronomen jetzt in einer Reihe von Fachartikeln, die in der Zeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society erscheinen sollen.
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