Das Universum in drei Dimensionen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik astronews.com
15. Juli 2016
Aus 1,2 Millionen Galaxien haben Astronomen die bislang
größte dreidimensionale Karte des Universum erstellt. Sie lässt sich nutzen, um
einige aktuelle Rätsel der Astronomie zu erforschen. So zeigt sie beispielsweise
eine gute Übereinstimmung mit dem Standardmodell der Kosmologen und bestätigt,
dass die Dunkle Energie einer kosmologischen Konstante gleicht.

Das All in drei Dimensionen: Das Rechteck
links zeigt einen Ausschnitt von 1000
Quadrat-Grad am Himmel, der fast 120.000 Galaxien
enthält, etwa zehn Prozent des gesamten
BOSS-Katalogs. Die spektroskopischen Messungen
jeder Galaxie – die Punkte in diesem Ausschnitt –
machen aus dem zweidimensionalen Bild eine
dreidimensionale Karte, die uns den Blick sieben
Milliarden Jahre in die Vergangenheit öffnet.
Bild: IJeremy
Tinker und SDSS-III [Großansicht] |
Was hat es mit der Dunklen Energie auf sich? Welche Eigenschaften besitzt sie?
Diese Fragen zählen zu den heißen Themen der Astronomie. Einen wichtigen Beitrag
zur Erforschung der geheimnisvollen Kraft liefert jetzt die bisher größte
dreidimensionale Karte des Universums: Sie enthält 1,2 Millionen Galaxien in
einem Volumen von 650 Milliarden Kubiklichtjahren.
Hunderte Wissenschaftler – darunter auch aus den Max-Planck-Instituten für
Astrophysik und für extraterrestrische Physik – haben diese Karte für präzise
Messungen der großen Unbekannten genutzt. Die Forscher fanden eine sehr gute
Übereinstimmung mit dem kosmologischen Standardmodell und bestätigten, dass die
Dunkle Energie mit einer kosmologischen Konstante konsistent ist.
"Zehn Jahre lang haben wir Messungen von 1,2 Millionen Galaxien über ein Viertel
des Himmels hinweg gesammelt, um damit die Struktur des Universums in einem
Volumen von 650 Milliarden Kubiklichtjahren zu kartieren", erläutert Jeremy
Tinker von der New York University, einer der Leiter des Projekts. Dem
Team gehörten Hunderte von Wissenschaftlern aus dem Sloan Digital Sky Survey
III (SDSS-III) an. Die Beobachtungen waren Teil des Baryon Oscillation
Spectroscopic Survey (BOSS).
Die dabei erstellte Karte ist vom ständigen Tauziehen zwischen der unbekannten
Dunklen Materie und der ebenso geheimnisvollen Dunklen Energie geprägt. Sie
ermöglicht es den Astronomen, die Ausdehnungsrate des Universums zu vermessen,
indem sich die Größe der sogenannten baryonischen akustischen Oszillationen
(BAO) in der dimensionalen Verteilung der Galaxien bestimmen lässt.
Das sehr junge All war bis zu einem Alter von etwa 400.000 Jahren nach dem
Urknall von Schallwellen durchzogen; danach "froren" diese in der
Materieverteilung des Universums "ein" und hinterließen ein charakteristisches
Muster. Als Folge davon sind Galaxien bevorzugt durch einen ganz bestimmten
Abstand voneinander getrennt, der als BAO-Skala bezeichnet wird. Die
ursprüngliche Größe dieser BAO-Skala ließ sich aus Beobachtungen des kosmischen
Mikrowellenhintergrundes sehr genau bestimmen.
Ariel Sanchez vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching
leitete die Arbeiten, um den genauen Anteil an Dunkler Materie und Dunkler
Energie auf Grundlage der BOSS-Daten abzuschätzen. "Wenn wir die akustische
Skala im Lauf der kosmischen Geschichte messen, gibt uns das einen Maßstab an
die Hand, mit dem wir direkt die Expansionsrate des Weltalls bestimmten können",
sagt Sanchez.
So ließen sich die subtilen Auswirkungen, welche die BAO auf die Verteilung der
Galaxien haben, über eine Zeitspanne von zwei bis sieben Milliarden Jahren
zurückverfolgen. Für die sehr genauen Messungen mussten die Daten allerdings
auch sorgfältig analysiert werden. Insbesondere stellte die Bestimmung der
Entfernungen zu den Galaxien eine große Herausforderung dar. Diese wird aus den
Spektren abgeleitet. Dabei ist das Licht der Milchstraßensysteme in den roten
Bereich verschoben, weil sie sich von uns entfernen. Diese sogenannte
Rotverschiebung hängt unmittelbar mit dem Abstand zusammen: Je weiter eine
Galaxie von uns entfernt ist, desto schneller flieht sie vor uns.
"Daneben führen die Galaxien aber auch Eigenbewegungen aus. Und deren
Geschwindigkeitskomponente entlang der Sichtlinie bewirkt eine Verzerrung der
Rotverschiebungen", sagt Shun Saito vom Max-Planck-Institut für Astrophysik, der
ausgeklügelte Modelle zur BOSS-Datenanalyse lieferte. Wegen des genannten
Effekts ist die Verteilung der Galaxien richtungsabhängig (anisotrop), weil die
Sichtlinie jetzt als Richtung im Raum ausgezeichnet ist - nur in dieser Richtung
wird eine Entfernung bestimmt und zwar über die Rotverschiebung, die durch die
Eigengeschwindigkeit kontaminiert ist.
Das daraus resultierende charakteristische Muster erlaubt es den Astronomen, die
Eigengeschwindigkeiten der Galaxien zu messen. Diese Eigengeschwindigkeiten
wiederum werden ausschließlich von der Gravitation beeinflusst. In anderen
Worten: Die Messung einer solchen Geschwindigkeit erlaubt Rückschlüsse auf die
hinter der Gravitation stehende Theorie. "So können wir abschätzen, in welchem
Umfang Einsteins allgemeine Relativitätstheorie auch auf kosmologischen Skalen
korrekt ist", sagt Shun Saito. Um die Daten richtig zu interpretieren,
entwickelten die Forscher ein verfeinertes Modell, das die Galaxienverteilung
beschreibt.
Für seine Doktorarbeit verfolgte ein Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik einen weiteren interessanten Ansatz: Salvador Salazar
verwendete bei der Datenanalyse die Winkelpositionen der Galaxien am Himmel
anstatt der physischen dreidimensionalen Positionen. "Diese Methode kommt allein
mit Beobachtungsgrößen aus", erklärt Salazar. "Wir machen keine vorherigen
Annahmen über das kosmologische Modell."
Die an dem Projekt beteiligten Forschergruppen verwendeten leicht
unterschiedliche Modelle und Methoden, um den riesigen BOSS-Datensatz zu
analysieren. Die Daten zeigen, dass die Dunkle Energie, welche die kosmische
Expansion antreibt, innerhalb eines Fehlers von nur fünf Prozent mit einer
kosmologischen Konstante konsistent ist. Diese von Albert Einstein eingeführte
Konstante, Lambda genannt, beschreibt eine Größe, die der Gravitationskraft der
Materie entgegenwirkt, sie wirkt also abstoßend.
Darüber hinaus stehen alle Ergebnisse mit dem kosmologischen Standardmodell in
Einklang, das mit sechs Parametern die Entwicklung des Weltalls seit dem Urknall
beschreibt. Insbesondere zeigt die Karte auch die unverwechselbare Signatur der
kohärenten Bewegung von Galaxien hin zu Regionen des Universums mit mehr Materie
aufgrund der massebedingten Anziehungskraft. Zudem entspricht die beobachtete
Menge der einfallenden Materie genau den Vorhersagen der allgemeinen
Relativitätstheorie. Dies stützt die These, dass die Beschleunigung der
Expansionsrate durch ein Phänomen wie die Dunkle Energie angetrieben wird und
nicht durch eine Änderung der Gravitationstheorie.
Über ihre Untersuchung berichten die Astronomen jetzt in einer Reihe von Fachartikeln,
die
in der Zeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society erscheinen
sollen.
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