Ist das Weltall gar nicht isotrop?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bonn astronews.com
9. April 2020
Egal wohin wir schauen, im Weltall herrschen überall
dieselben Regeln: Auf dieser Grundthese fußen zahllose Berechnungen der
Astrophysik. Eine aktuelle Studie könnte diese Annahme nun infrage stellen. Sie
basiert auf der Auswertung von Beobachtungen von mehr als 800 Galaxienhaufen.
Müssen nun viele Eigenschaften des Universums neu überdacht werden?
Expansion des Universums: Die violetten
Bereiche dehnen sich langsamer aus als erwartet,
die gelben schneller. Bei Isotropie wäre das Bild
einfarbig rot.
Bild: Konstantinos Nikolaos Migkas, Uni
Bonn / Astronomy & Astrophysics [Gesamtansicht] |
Mit dem Weltall verhält es sich wie mit einem frisch geformten
Rosinenbrötchen, das zum Aufgehen ins Warme gestellt wurde: Seit dem Urknall
schwillt es immer weiter an. Bislang dachte man, dass diese Größenzunahme wie
bei einem guten Hefeteig in alle Richtungen gleichmäßig erfolgt. Die Astrophysik
spricht dabei von "Isotropie". Viele Berechnungen zu fundamentalen Eigenschaften
des Universums basieren auf dieser Annahme.
Möglicherweise sind sie alle falsch – oder wenigstens ungenau. Diesen Schluss
kann man zumindest ziehen, wenn man die Beobachtungen und Analysen der
Wissenschaftler der Universitäten Bonn und Harvard zu Grunde legt. Denn die
haben die Isotropie-Hypothese erstmals mit einer neuartigen Methode auf den
Prüfstand gestellt, die deutlich verlässlichere Aussagen erlaubt als bislang.
Mit einem unerwarteten Ergebnis: Demnach dehnen sich manche Gebiete im All sehr
viel schneller aus als sie eigentlich sollten, andere dagegen weitaus langsamer.
"Diese Folgerung legen jedenfalls unsere Messwerte nahe", erklärt
Konstantinos Nikolaos Migkas vom Argelander-Institut für Astronomie der
Universität Bonn. Migkas und seine Kollegen haben in ihrer Studie einen neuen,
effizienten Isotropietest entwickelt. Er basiert auf der Beobachtung so
genannter Galaxienhaufen – das sind gewissermaßen die Rosinen im Hefebrötchen.
Die Haufen geben Röntgenstrahlung ab, die außerhalb der Erdatmosphäre
aufgefangen werden kann (in diesem Fall übernahmen das die satellitengestützten
Teleskope Chandra und XMM-Newton).
Anhand bestimmter Merkmale der Strahlung lässt sich die Temperatur der
Galaxienhaufen berechnen. Und auch ihre Helligkeit: je heißer sie sind, desto
gleißender leuchten sie. In einem isotropen Universum gilt eine einfache Regel:
Je weiter ein Himmelsobjekt von uns entfernt ist, desto schneller bewegt es sich
von uns weg. Aus seiner Geschwindigkeit kann man daher exakt auf seine
Entfernung schließen, und zwar unabhängig von der Richtung, in der das Objekt
liegt – so dachte man zumindest bislang.
"Tatsächlich ist es aber so, dass unsere Leuchtkraft-Messungen den
Ergebnissen dieser Entfernungsberechnung oft widersprechen", betont Migkas. Denn
mit zunehmender Distanz sinkt die Lichtmenge, die auf der Erde ankommt. Wer die
ursprüngliche Leuchtkraft eines Himmelskörpers und seine Entfernung kennt, weiß
also, wie hell er im Teleskopbild aufleuchten sollte. Und genau an diesem Punkt
sind die Wissenschaftler auf Diskrepanzen gestoßen, die sich mit der
Isotropie-Hypothese nur schwer vereinbaren lassen: Manche Galaxienhaufen
strahlten demnach viel schwächer, als zu erwarten gewesen wäre. Ihre Distanz zur
Erde ist demnach vermutlich deutlich größer, als anhand ihrer Geschwindigkeit
berechnet. Bei anderen verhielt es sich dagegen gerade umgekehrt.
"Es gibt für diese Beobachtung nur drei mögliche Erklärungen", sagt Migkas,
der in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Thomas Reiprich am Argelander-Institut
promoviert. "Zum Einen ist es möglich, dass die Röntgenstrahlung, deren
Intensität wir gemessen haben, auf dem Weg von den Galaxienhaufen zur Erde
abgeschwächt wird. Dafür könnten zum Beispiel noch unentdeckte Gas- oder
Staubwolken innerhalb oder außerhalb der Milchstraße verantwortlich sein. In
vorläufigen Tests finden wir diese Diskrepanz zwischen Messung und Theorie aber
nicht nur bei Röntgenstrahlung, sondern auch bei anderen Wellenlängen. Es ist
extrem unwahrscheinlich, dass irgendein Materienebel völlig verschiedene
Strahlungstypen in gleicher Weise absorbiert. Genauer werden wir es allerdings
erst in einigen Monaten wissen."
Eine zweite Möglichkeit sind sogenannte "Bulk Flows". Dabei handelt es sich
um Gruppen benachbarter Galaxienhaufen, die sich durchgehend in eine bestimmte
Richtung bewegen – beispielsweise aufgrund irgendwelcher Strukturen im All, von
denen starke Gravitationskräfte ausgehen. Diese würden die Galaxienhaufen daher
zu sich ziehen und so ihre Geschwindigkeit (und damit auch ihre daraus
abgeleitete Distanz) verändern. "Auch dieser Effekt würde bedeuten, dass viele
Berechnungen zu den Eigenschaften des lokalen Universums sehr ungenau wären und
wiederholt werden müssten", erklärt Migkas.
Die dritte Möglichkeit ist die gravierendste: Was ist, wenn das Universum gar
nicht isotrop ist? Wenn – bildlich gesprochen – die Hefe im
Universums-Rosinenbrötchen so ungleichmäßig verteilt ist, dass es sich an
manchen Stellen rasch ausbeult, während es in anderen Regionen kaum wächst? Eine
solche Anisotropie könnte zum Beispiel durch die Eigenschaften der rätselhaften
Dunklen Energie zustande kommen, die wie ein zusätzlicher Treibsatz für die
Expansion des Universums wirkt.
Noch fehlt allerdings eine Theorie, die das Verhalten der Dunklen Energie mit
den Beobachtungen in Übereinklang bringt. "Wenn es uns gelingt, eine solche
Theorie zu entwickeln, könnte das die Suche nach der genauen Natur dieser
Energieform enorm beschleunigen", ist sich Migkas sicher.
Die aktuelle Studie basiert auf den Daten von mehr als 800 Galaxienhaufen.
300 von ihnen wurden von den Autoren selbst analysiert; die restlichen
Informationen stammen aus bereits veröffentlichten Untersuchungen. Allein die
Auswertung der Röntgendaten war so anspruchsvoll, dass sie mehrere Monate in
Anspruch nahm. Das neue satelliten-gestützte eROSITA-Röntgenteleskop soll in den
nächsten Jahren noch mehrere Tausend weiterer Galaxienhaufen erfassen.
Spätestens dann wird sich herausstellen, ob die Isotropie-Hypothese tatsächlich
ad Acta gelegt werden muss.
Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics
veröffentlicht
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