Ein Schwarzes Loch, das vielleicht keines ist
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Erlangen-Nürnberg astronews.com
23. Januar 2020
Ein stellares Schwarzes Loch mit der fast siebzigfachen
Masse unserer Sonne? Mit dieser Nachricht überraschten chinesische Astronomen
unlängst ihre Kollegen. Nun haben andere Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler sich das ungewöhnliche System einmal genauer angeschaut und
festgestellt, dass es sich eventuell gar nicht um ein Schwarzes Loch handelt -
interessant ist es trotzdem.
Stellare Schwarze Löcher lassen sich in der
Regel nur aufspüren, wenn sie Teil eines
Doppelsternsystems sind. Bei Mikroquasaren, wie
in dieser künstlerischen Darstellung, wird das
Schwarze Loch durch Materialübertrag von einem
Begleiter sichtbar. Im aktuellen Fall machte es
sich allerdings nur durch seinen gravitativen
Einfluss auf den Begleitstern bemerkbar.
Bild: ESO / L. Calçada / M.Kornmesser [Großansicht] |
Stellare Schwarze Löcher entstehen, wenn sehr massereiche Sterne am Ende
ihres Lebens in sich zusammenfallen. Bisherigen Beobachtungen zufolge ist deren
typische Masse etwa zehnmal so groß wie die der Sonne, genau wie theoretische
Modelle zur Sternentwicklung es vorhersagen. Die von einem chinesischen
Astronomenteam kürzlich postulierte Entdeckung eines stellaren Schwarzen Loches
mit fast siebzig Sonnenmassen kam daher überaus überraschend, widerspräche solch
ein Objekt doch unserem derzeitigen Verständnis wie sich massereiche Sterne
entwickeln.
Das vermeintlich zu schwere Schwarze Loch zog sofort die Aufmerksamkeit der
Fachwelt auf sich: Theoretische Entstehungsszenarien wurden vorgeschlagen und
Nachbeobachtungen durch andere Astrophysiker organisiert. Auch ein Team der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und der Universität
Potsdam hat sich das Objekt genauer angeschaut und kam zu dem Schluss, dass es
sich dabei gar nicht unbedingt um ein Schwarzes Loch handeln muss, sondern
möglicherweise um einen massereichen Neutronenstern oder einen ganz gewöhnlichen
Stern.
Das vermeintliche Schwarze Loch wurde durch seine gravitative Anziehungskraft
auf seinen hellen Begleitstern entdeckt. Die beiden Objekte umkreisen sich
nämlich gegenseitig mit einer Umlaufdauer von etwa 80 Tagen. Nachbeobachtungen
eines belgischen Teams zeigten, dass die Daten in der chinesischen Studie wohl
fehlinterpretiert wurden und dass die Masse des Schwarzen Lochs deutlich
unbestimmter als ursprünglich gedacht ist.
Die wohl wichtigste Frage blieb jedoch unbeantwortet, nämlich wie ein solches
Sternsystem überhaupt entstehen kann. Um dies zu beantworten, muss man die Masse
des hellen Begleitsterns mit Namen LS V+22 25 kennen. Je mehr Masse dieser Stern
hat, desto mehr Masse muss das vermeintliche Schwarze Loch haben, um die
beobachtete Bewegung von LS V+22 25 verursachen zu können. In der chinesischen
Studie wurde angenommen, dass es ein ganz normaler Stern mit acht Sonnenmassen
sei.
Das Astronomen-Team schaute sich daher das in der chinesischen Studie
analysierte Spektrum des Begleitsterns, welches am Keck-Observatorium auf Hawaii
aufgenommen wurde, noch einmal genauer an. Sie interessierten sich dabei
besonders für die Häufigkeiten der chemischen Elemente an der Oberfläche des
Sterns. Dabei fanden sie heraus, dass die gemessenen Häufigkeiten von Helium,
Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff so gar nicht denen normaler massereicher
Sterne ähneln. Das Häufigkeitsmuster dieser Elemente passt viel eher zu einem
nuklearen Fusionsprozess von Wasserstoff.
Dieser Prozess kann allerdings nur im heißen Kern eines Sterns und nicht an
seiner vergleichsweise kühlen Oberfläche stattfinden. "Auf den ersten Blick
wirkt das Spektrum tatsächlich wie das eines gewöhnlichen jungen massereichen
Sterns – bis auf einige merkwürdige Details. Deswegen haben wir die Daten noch
einmal genauer betrachtet", erklärt Dr. Andreas Irrgang von der Dr. Karl Remeis-Sternwarte
Bamberg, dem astronomischen Institut der FAU.
Die Forscher erklären das ungewöhnliche chemische Häufigkeitsmuster von LS
V+22 25 als Folge einer vorherigen Interaktion des Sterns mit seinem Begleiter.
Diese Wechselwirkung könnte dazu geführt haben, dass LS V+22 25 seine äußeren
Schichten verloren hat und nur noch sein hüllenloser Kern übrig geblieben ist.
Dessen chemische Zusammensetzung würde genau wie beobachtet durch den nuklearen
Fusionsprozess von Wasserstoff dominiert werden. Der hüllenlose Kern hätte
jedoch deutlich weniger Masse als ein ganz normaler Stern mit acht Sonnenmassen.
Die Wissenschaftler kombinierten ihre Ergebnisse mit den neuesten
Entfernungsmessungen des Astrometriesatelliten Gaia der Europäischen
Weltraumorganisation ESA und schätzten so die Masse von LS V+22 25 auf 1,1
Sonnenmassen (mit einer Unsicherheit von plus/minus 0,5 Sonnenmassen). Dies
wiederum bedeutet, dass die Masse seines Begleiters im kleinsten Fall etwa zwei
bis drei Sonnenmassen betragen könnte.
In diesem Fall müsste es sich nicht unbedingt um ein Schwarzes Loch handeln –
es könnte auch ein massereicher Neutronenstern oder ein ganz gewöhnlicher Stern
sein. Und auch wenn der Stern LS V+22 25 erst durch seinen vermeintlichen
Begleiter, das zu schwere Schwarze Loch, große Bekanntschaft erlangte, zieht er
als hüllenloser Stern mit sehr hoher Heliumhäufigkeit dank der Arbeiten in
Bamberg und Potsdam das Interesse der Fachwelt nun selbst auf sich. Modelle zur
Sternentwicklung sagen zwar solche Objekte vorher, aber bisher wurden nur sehr
wenige davon tatsächlich entdeckt. Sie können jedoch wesentlich dazu beitragen,
dass man besser versteht, wie sich Doppelsterne entwickeln.
Über ihre Untersuchung berichtet das Team in einem Fachartikel, der
in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlicht wurde.
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