Spikulen heizen die Sonnenkorona
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
15. November 2019
Wodurch wird die Korona unserer Sonne auf Temperaturen von
mehreren Millionen Grad aufgeheizt, wo doch darunter, in der Chromosphäre, nur
Temperaturen von wenigen tausend Grad Celsius herrschen? Neue Beobachtungen am
Big Bear Sonnenobservatorium zeigen nun, dass dabei sogenannte Spekulen eine
wichtige Rolle spielen könnten.
In der Chromosphäre der Sonne zeigen sich
die Spikulen als langgezogene, fingerartige
Strukturen. Sie sind typischerweise 5000
Kilometer lang und nur etwa 200 Kilometer breit.
Bild: Samanta et al.; Daten von BBSO/GST und
NASA/SDO [Großansicht] |
Die äußere Atmosphäre der Sonne, die sogenannte Korona, ist unvorstellbar
heiß: Mit einigen Millionen Grad übersteigen ihre Temperaturen die der darunter
gelegenen Chromosphäre um ein Vielfaches - und das, obwohl die Korona einen
deutlich größeren Abstand vom Hitze generierenden Kern der Sonne hat. Wie die
Energie dorthin gelangt, die erforderlich ist, die Korona derart stark
aufzuheizen, gehört zu den großen unbeantworteten Fragen der Sonnenphysik.
Verschiedene Erklärungsversuche machen unter anderem Stoßwellen,
magnetohydrodynamische Prozesse oder verschiedene magnetische Phänomene
verantwortlich. Ebenso haben Sonnenforscherinnen und Sonnenforscher die langen,
fingerartigen Spikulen in der Chromosphäre unter Verdacht. Diesen konnte das
Team um Dr. Tanmoy Samanta von der Peking University jetzt erhärten. "Durch
gezielte Beobachtungen vom Boden und aus dem All konnten wir zeigen, dass die
Spikulen zur Aufheizung der Korona beitragen", fasst Prof. Dr. Hardi Peter vom
Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung, der an der neuen Studie
maßgeblich beteiligt war, die Ergebnisse zusammen.
Spikulen sind ebenso gewöhnlich wie rätselhaft. Die gewaltigen Strukturen von
typischerweise 5000 Kilometer Länge treten überall in der Chromosphäre auf,
manchmal gar gehäuft in kleineren Gruppen. Innerhalb der Spikulen strömt Plasma
mit Geschwindigkeiten von durchschnittlich zwischen 15 und 40 Kilometern pro
Sekunde. Da sie jedoch nur etwa 200 Kilometer breit sind, ist es nahezu
unmöglich, sie mit kleineren Sonnenteleskopen zu beobachten.
"Spikulen haben eine sehr schlanke Form", beschreibt Peter seinen
Forschungsgegenstand. "Ihr Verhältnis von Länge zu Breite ist vergleichbar mit
dem des Berliner Fernsehturms am Alexanderplatz." Ideale Voraussetzungen für die
neue Studie bot das Goode Solar Telescope des Big-Bear-Sonnenobservatoriums
im US-Bundesstaat Kalifornien, das zum New Jersey Institute of Technology
gehört. Mit einem Hauptspiegeldurchmesser von 1,6 Metern ist es das derzeit
größte und leistungsfähigste Sonnenteleskop weltweit.
Erstmals konnten die Forscher für ihre Fragestellung ein neues Instrument des
Observatoriums nutzen: das Near Infrared Imaging Spectropolarimeter,
ein Instrument, das die Infrarotstrahlung von der Sonne untersucht und so
Eigenschaften der Sonnenmagnetfelder bestimmt. Zudem herrschten während der
Messkampange optimale Beobachtungsbedingungen: ununterbrochene Sicht für etwa
zehn Minuten – eine wichtige Voraussetzung, um die Entwicklung der Spikulen
mitzuverfolgen. Die „Sonnenfinger“ haben typischerweise Lebensdauern von ein bis
zwölf Minuten.
Besonders Gruppen von Spikulen treten der neuen Studie zur Folge in Regionen
auf, die sich durch eine ähnliche Architektur des Magnetfeldes auszeichnen.
Grundsätzlich überzieht ein dynamisch waberndes Netz aus Bereichen positiver
magnetischer Polarität die Oberfläche der Sonne. Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler werten dieses Muster als Ausdruck gewaltiger Auf- und Abströme
aus tiefer liegenden Schichten. Die genauen physikalischen Vorgänge sind jedoch
noch ungeklärt. Dort wo sich zu dem Netz aus starken Magnetfeldern positiver
Polarität ein schwächeres Feld negativer Polarität gesellt, bilden sich den
neuen Daten zufolge die fingerartigen Plasmaströme.
"Die Magnetfelder in diesen Bereichen strukturieren sich offenbar so um, dass
Energie frei wird und dies die Spikulen erzeugt", schlussfolgert Peter. Ein
Blick auf die Übergangsregion zwischen der Chromosphäre und der darüber
gelegenen Korona mit Hilfe der NASA-Raumsonde Solar Dynamics Observatory
ließ weitere Schlüsse zu. Die Daten offenbarten, dass die Spikulen heißes Plasma
und somit Energie in die Korona leiten. "Ob die Spikulen genug Energie liefern,
um den gesamten Temperaturunterschied zwischen Chromosphäre und Korona zu
erklären, ist noch unklar", so Peter. "Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass die
Spikulen sicherlich ein Teil jeder Gesamttheorie der Korona-Aufheizung sein
müssen."
Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.
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