Radiopulsar sendet auch Gammastrahlen aus
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
19. September 2019
Der Radiopulsar J0952-0607 gibt offenbar auch gepulste
Gammastrahlung ab. Dies ergaben die Untersuchungen eines internationalen
Forschungsteams. J0952-0607 dreht sich 707 mal pro Sekunde um die eigene Achse
und liegt damit auf Platz zwei der schnell rotierenden Neutronensterne. Der
Pulsar hatte für die Forscherinnen und Forscher noch einige Überraschungen
parat.

Ein Schwarzer-Witwen-Pulsar und sein kleiner
stellarer Begleiter, betrachtet in ihrer
Umlaufbahn. Starke Strahlung und der "Wind" des
Pulsars – ein Strom hochenergetischer Teilchen –
erhitzen die ihm gegenüberliegende Seite des
Stern auf Temperaturen, die doppelt so hoch sind
wie die der Sonnenoberfläche. Der Pulsar
verdampft allmählich seinen Partner, der das
System mit ionisiertem Gas füllt und uns daran
hindert, den Radiostrahl des Pulsars zu erkennen.
Bild: NASA Goddard Space Flight
Center/Cruz deWilde [Großansicht] |
Pulsare sind kompakte Überreste von Sternexplosionen, die starke Magnetfelder
aufweisen und sich sehr schnell drehen. Wie kosmische Leuchttürme können sie je
nach ihrer Ausrichtung zur Erde als Radiopulsar und/oder Gammapulsar beobachtet
werden. Der Pulsar PSR J0952-0607 (der Name bezeichnet die Position am Himmel)
wurde erstmals 2017 durch Radiobeobachtungen einer Quelle entdeckt, die vom
Gammastrahlen-Weltraumteleskop Fermi als ein möglicher Pulsar identifiziert
worden war. Gepulste Gammastrahlung wurde damals nicht in den Daten des
Large Area Telescope (LAT) an Bord des Fermi-Satelliten gefunden.
Beobachtungen mit dem Radioteleskop-Netzwerk LOFAR identifizierten eine
pulsierende Radioquelle und erlaubten - zusammen mit optischen
Teleskopbeobachtungen - die Messung der Eigenschaften des Pulsars. Er umkreist
in 6,2 Stunden das gemeinsame Massenzentrum mit einem Begleitstern, der nur ein
Fünfzigstel unserer Sonne wiegt. Der Pulsar dreht sich 707 Mal in einer einzigen
Sekunde und ist damit der am schnellsten rotierende Neutronenstern in unserer
Galaxie außerhalb der dichten stellaren Umgebung von Kugelhaufen.
Mit diesen Informationen über das binäre Pulsarsystem begann Lars Nieder,
Doktorand am Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut; AEI) , zu untersuchen, ob der Pulsar auch gepulste
Gammastrahlen emittiert. "Diese Suche ist äußerst anspruchsvoll, da das
Fermi-Gammastrahlenteleskop in den achteinhalb Jahren Beobachtungszeit nur
das Äquivalent von etwa 200 Gammastrahlen dieses schwachen Pulsars registrierte.
Während dieser Zeit drehte sich der Pulsar selbst etwa 200 Milliarden Mal. Mit
anderen Worten, nur einmal pro einer Milliarde Umdrehungen wurde ein Gammastrahl
beobachtet", erklärt Nieder. "Für jeden dieser Gammastrahlen muss die Suche
präzise feststellen, wann genau er während der 1,4 Millisekunden dauernden
Umdrehung abgegeben wurde."
Dazu müssen die Daten mit sehr genauer Auflösung durchkämmt werden, um keine
Signale zu verpassen. Die benötigte Rechenleistung ist enorm. Mit nur einem
einzigen Computerkern hätte die sehr empfindliche Suche nach den schwachen
Pulsationen in der Gammastrahlung 24 Jahre gedauert. Durch den Einsatz des
Atlas-Computerclusters am AEI Hannover war sie jedoch in nur zwei Tagen
erledigt.
"Unsere Suche fand ein Signal, aber damit stimmte etwas nicht! Das Signal war
sehr schwach und nicht genau dort, wo es sein sollte. Der Grund war ein
Positionsfehler in den ersten Beobachtungen des optischen Teleskops, auf dessen
Basis der Suchbereich festgelegt wurde. Unsere Entdeckung der Gammastrahlen von
J0952-0607 deckte diesen Fehler auf", erklärt Nieder. "In der Publikation über
die Entdeckung des Radiopulsars wurde der Fehler korrigiert. Eine neue und
erweiterte Gammapulsar-Suche machte eine schwache - aber statistisch
signifikante - Gammapulsar-Entdeckung an der korrigierten Stelle."
Nachdem das Team die gepulste Gammastrahlung des Pulsars entdeckt und
bestätigt hatte, nahm es sich erneut die Fermi-Daten vor und
analysierte die gesamten achteinhalb Jahre von August 2008 bis Januar 2017 mit
noch höherer Auflösung, um die physikalischen Eigenschaften des Pulsars und
seines binären Systems zu bestimmen. Da die Gammastrahlung von J0952-0607 so
schwach ist, mussten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre zuvor
entwickelte Analysemethode erweitern, um die Unsicherheiten besser zu
berücksichtigen.
Das Ergebnis enthielt eine weitere Überraschung: in den Daten vor Juli 2011
war keine gepulste Gammastrahlung des Pulsars zu finden. Der Grund, warum der
Pulsar erst nach diesem Datum gepulste Gammastrahlen abzugeben scheint, ist
unbekannt. Möglicherweise variiert die Menge der von ihm emittierten
Gammastrahlen, allerdings ist der Pulsar so schwach, dass es nicht möglich war,
diese Hypothese mit ausreichender Genauigkeit zu testen. Änderungen in der
Pulsarbahn, die in ähnlichen Systemen zu beobachten sind, könnten ebenfalls eine
Erklärung bieten. Jedoch gibt es in den Daten keinen Hinweis darauf, dass dies
der Fall war.
Das Team nutzte auch Beobachtungen mit dem New Technology Telescope
der ESO in La Silla und den Gran Telescopio Canarias auf La Palma, um
den Begleitstern des Pulsars zu untersuchen. Er ist höchstwahrscheinlich so an
den Pulsar gebunden wie der Mond an die Erde, dass seine eine Seite immer dem
Pulsar zugewandt ist und sich durch dessen Strahlung erwärmt. Während der
Begleiter den Massenschwerpunkt des binären Systems umkreist, sind abwechselnd
seine heiße "Tag"-Seite und seine kühlere "Nacht"-Seite von der Erde aus
sichtbar, wodurch die beobachtete Helligkeit und Farbe variieren.
Diese Beobachtungen geben ein weiteres Rätsel auf. Während die
Radiobeobachtungen auf eine Entfernung von etwa 4.400 Lichtjahren zum Pulsar
hinweisen, ergeben die optischen Beobachtungen eine etwa dreimal größere
Entfernung. Wäre das System tatsächlich relativ erdnah, würde es einen noch nie
da gewesenen, extrem kompakten Begleiter mit hoher Dichte enthalten. Größere
Entfernungen hingegen sind mit den Dichten bekannter ähnlicher Pulsarbegleiter
vereinbar. Stoßwellen im Partikelstrom des Pulsars könnten eine mögliche
Erklärung für diese Diskrepanz liefern: sie könnten zu einer anderen Erwärmung
des Begleiters führen. Weitere Gammastrahlenbeobachtungen mit dem Fermi
LAT-Teleskop sollten helfen, diese Frage zu beantworten.
Eine weitere Forschungsgruppe des AEI Hannover durchsuchte die Daten der
LIGO-Gravitationswellendetektoren aus dem ersten (O1) und zweiten (O2)
Beobachtungslauf nach kontinuierlich abgestrahlten Gravitationswellen des
Pulsars. Pulsare können solche Gravitationswellen aussenden, wenn sie winzige
Hügel oder Unebenheiten haben. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
fanden keine Gravitationswellen, was bedeutet, dass die Form des Pulsars einer
perfekten Kugel, deren höchste Unebenheiten kleiner als der Bruchteil eines
Millimeters sind, sehr nahe kommen muss.
Das Verständnis sich schnell drehender Pulsare ist wichtig, da an ihnen
extreme Physik getestet werden kann. Noch ist unbekannt, wie schnell sich
Neutronensterne drehen können, bevor die Zentrifugalkräfte sie zerreißen. Dies
hängt von ihrer nicht bekannten Kernphysik ab. Millisekunden-Pulsare wie
J0952-0607 drehen sich so schnell, weil sie durch das Absaugen von Materie von
ihrem Begleiter beschleunigt werden. Von diesem Prozess wird vermutet, dass er
das Magnetfeld des Pulsars schwächt. Mit den Langzeit-Gammastrahlenbeobachtungen
konnte das Forschungsteam zeigen, dass das Magnetfeld von J0952-0607 zu den zehn
schwächsten Magnetfeldern zählt, die jemals für einen Pulsar gemessen wurden.
Dies entspricht den theoretischen Erwartungen.
"Wir werden dieses System weiter mit Gamma-, Radio- und optischen
Observatorien untersuchen, da es noch offene Fragen dazu gibt. Diese Entdeckung
zeigt auch wieder einmal, dass sich extreme Pulsarsysteme im Fermi LAT-Katalog
verstecken", sagt Prof. Bruce Allen, Nieders Doktorvater und Direktor am AEI
Hannover. "Wir nutzen auch Einstein@Home, unser Projekt zum freiwilligen
verteilten Rechnen, um nach binären Gammapulsarsystemen in anderen Fermi
LAT-Quellen zu suchen. Wir sind zuversichtlich, in Zukunft weitere spannende
Entdeckungen zu machen."
Über die Ergebnisse berichten das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astrophysical Journal Letters erschienen ist.
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