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Pulsare in Binärsystemen werden durch relativistische Effekte beeinflusst, die zur zeitlichen Änderung der Ausrichtung ihrer Rotationsachsen führen. Nach langjährigen Radiobeobachtungen des Pulsars PSR J1906+0746 macht ein Forscherteam nun die Vorhersage, dass die beobachtbare Radiostrahlung des Pulsar ab dem Jahr 2028 für einige Jahrzehnte verschwinden wird.
Pulsare sind schnell rotierende Neutronensterne, die das Anderthalbfache der Masse der Sonne - oder sogar mehr - in einem sehr kleinen Bereich von nur ungefähr 20 Kilometern Durchmesser konzentrieren. Sie haben extrem starke Magnetfelder und senden einen stark gebündelten Strahl von Radiowellen von beiden Magnetpolen aus. Aufgrund ihrer sehr stabilen Rotation gibt es, ähnlich wie bei einem Leuchtturm, regelmäßig auftretende ("pulsierende") Signale, die mit der Genauigkeit einer Atomuhr auf der Erde eintreffen. Die riesigen Massen, die Kompaktheit der Quelle und die Eigenschaften einer hochgenauen Uhr ermöglichen es den Astronomen, Pulsare als Laboratorien für die Überprüfung der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins zu verwenden. Einsteins Theorie besagt, dass die Raumzeit durch massereiche Körper wie z. B. Pulsare gekrümmt wird. Eine Auswirkung davon ist die sogenannte relativistische Spinpräzession von Pulsaren in Doppelsternsystemen. Sie entsteht infolge einer Neigung zwischen den Rotationsachsen des Pulsars und der Ausrichtung des Gesamtdrehmoments, die vermutlich durch die vorhergehende Supernova-Explosion bei der Geburt des Pulsars verursacht wurde. Diese Präzession führt zu einer Änderung in der Sichtgeometrie, die durch die systematische Beobachtung der Pulsprofile über einen längeren Zeitraum experimentell verfolgt werden kann. Erste Belege für ein veränderliches Pulsprofil, das von Änderungen in der Sichtgeometrie aufgrund der Spinpräzession verursacht wird, wurden vorher bereits mit dem 100-Meter-Radioteleskop in Effelsberg in dem berühmten Hulse-Taylor-Binärpulsar B1913+16 gefunden und modelliert. Weitere Pulsare in Binärsystemen zeigen ebenfalls diesen Effekt, aber keiner von ihnen ermöglicht ähnlich präzise und detaillierte Untersuchungen wie nun PSR J1906+0746. Es ist ein junger Pulsar, der sich in 144 Millisekunden einmal um die eigene Achse dreht und in einer vierstündigen Umlaufbahn in einem Doppelsternsystem um einen weiteren Neutronenstern kreist. Er befindet sich in Richtung des Sternbilds Adler in der Ebene der Milchstraße, recht nahe zum galaktischen Äquator.
"PSR J1906+0746 stellt ein einzigartiges Laboratorium für uns dar, in dem wir gleichzeitig die Physik der Radiostrahlung des Pulsars untersuchen und Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie testen können", sagt Gregory Desvignes vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn. Das Forscherteam hat diesen Pulsar in den Jahren von 2012 bis 2018 systematisch mit dem 305-Meter-Arecibo-Radioteleskop bei einer Frequenz von 1,4 GHz beobachtet. Ergänzt wurden diese Messungen mit Archivdaten von den Radioteleskopen in Nançay und Arecibo aus den Jahren von 2005 bis 2009. Insgesamt sind es 47 Einzelbeobachtungen über einen Gesamtzeitraum von Juli 2005 bis Juni 2018. Die Forscher fanden heraus, dass es anfangs noch möglich war, Strahlung von beiden entgegengesetzten magnetischen Polen des Pulsars zu erfassen, wobei sowohl der "nördliche" als auch der "südliche" Strahlungskegel einmal pro Umdrehung in Richtung Erde zeigten. Mit der Zeit konnte der nördliche Strahlungkegel nicht mehr beobachtet werden und nur der südliche blieb sichtbar. Auf der Grundlage einer detaillierten Untersuchung der Polarisation der gemessenen Radiostrahlung wurde nun ein bereits 50 Jahre altes, aber noch nie bewiesenes Modell angewandt, das einen Zusammenhang zwischen den Polarisationseigenschaften und der Geometrie des Pulsars herstellt. Die Beobachtungsdaten haben dieses Modell nun endlich bestätigt und ermöglichten es den Astronomen, die Rate der Spinpräzession mit weniger als fünf Prozent Abweichung zu bestimmen. Das ist eine höhere Genauigkeit als beim Doppelpulsar PSR J0737-3039, dem bisherigen Referenzsystem für solche Messungen. Das erhaltene Resultat stimmt hervorragend mit den Vorhersagen von Einsteins Theorie überein. "Die Pulsare ermöglichen uns Tests von Gravitationstheorien, die wir auf keine andere Weise durchführen können", fügt Ingrid Stairs von der Universität von British Columbia in Vancouver, hinzu, die an der Studie beteiligt war. "Hier haben wir ein weiteres phantastisches Beispiel für einen solchen Test." Darüber hinaus kann das Team nun sowohl das Verschwinden als auch das Wiederauftauchen von nördlichem und südlichem Strahlungskegel des Pulsars PSR J1906+0746 vorhersagen: Der südliche Kegel wird um 2028 aus der Sichtlinie verschwinden und in den Jahren zwischen 2070 und 2090 wiederauftauchen. Der nördliche Kegel sollte im Zeitraum zwischen 2085 und 2105 wieder sichtbar werden. Das Experiment erstreckte sich über insgesamt 14 Jahre und liefert zusätzlich interessante Ergebnisse zur noch wenig verstandenen Funktionsweise der Pulsare selbst. Dadurch, dass die Sichtlinie zur Erde den magnetischen Pol des Pulsars in nordsüdlicher Richtung überstrichen hat, konnte nicht nur eine Kartierung der Struktur des Pulsar-Strahlungkegels (analog zur Computertomographie in der Medizin) erstellt werden, sondern auch eine Untersuchung der physikalischen Bedingungen für die Radiostrahlung direkt über dem magnetischen Pol des Pulsars. "Wir beobachten die Radiostrahlung von Pulsaren mittlerweile schon 52 Jahre lang, ohne richtig zu verstehen wo sie entsteht und wie sie zustande kommt", erklärt Axel Jessner vom Max-Planck-Instituts für Radioastronomie. "Mit diesen Messungen ist nun endlich geklärt, wo die Strahlung im Pulsarmagnetfeld entsteht. Dadurch haben wir nun die notwendigen Informationen um auch das Rätsel ihres Erzeugungsmechanismus zu lösen." Die Kartierung der Struktur zeigt die tatsächliche Ausdehnung des Pulsar-Strahlungskegels, die die Größe des Himmelsabschnitts festlegt, der von dem Strahlungskegel ausgeleuchtet wird. Das wiederum beeinflusst die Vorhersage zur Anzahl von Neutronenstern-Binärsystemen in der Milchstraße und damit die erwartete Häufigkeit für die Entdeckung von Gravitationswellen bei der Verschmelzung von Neutronensternen. "Wir haben eine lange Zeit dafür benötigt, dieses Experiment zu vollenden", schließt Michael Kramer, Direktor und Leiter der Forschungsabteilung "Radioastronomische Fundamentalphysik" am Max-Planck-Instituts für Radioastronomie. "In diesen Tagen ist es leider üblich geworden, dass die Forschungsergebnisse sehr schnell zustande kommen müssen. Dabei kann uns dieser Pulsar noch soviel mehr erzählen. Geduld und Fleiß haben sich hier wirklich ausgezahlt." Über die Ergebnisse berichten das Team in einem Fachartikel, der in der Zeitschrift Science erschienen ist.
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