Astronomen sagen "Funkstille" voraus
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
9. September 2019
Pulsare in Binärsystemen werden durch relativistische
Effekte beeinflusst, die zur zeitlichen Änderung der Ausrichtung ihrer
Rotationsachsen führen. Nach langjährigen Radiobeobachtungen des Pulsars PSR
J1906+0746 macht ein Forscherteam nun die Vorhersage, dass die beobachtbare
Radiostrahlung des Pulsar ab dem Jahr 2028 für einige Jahrzehnte verschwinden
wird.
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PSR J1906+0746: der relativistische Effekt
der Spinpräzession des Pulsars ermöglicht die
Auflösung von Strukturen im Pulsarstrahl, ähnlich
wie bei einer Computertomographie in der Medizin.
Bild: Gregory Desvignes & Michael Kramer,
MPIfR[Großansicht] |
Pulsare sind schnell rotierende Neutronensterne, die das Anderthalbfache der
Masse der Sonne - oder sogar mehr - in einem sehr kleinen Bereich von nur
ungefähr 20 Kilometern Durchmesser konzentrieren. Sie haben extrem starke
Magnetfelder und senden einen stark gebündelten Strahl von Radiowellen von
beiden Magnetpolen aus. Aufgrund ihrer sehr stabilen Rotation gibt es, ähnlich
wie bei einem Leuchtturm, regelmäßig auftretende ("pulsierende") Signale, die
mit der Genauigkeit einer Atomuhr auf der Erde eintreffen.
Die riesigen Massen, die Kompaktheit der Quelle und die Eigenschaften einer
hochgenauen Uhr ermöglichen es den Astronomen, Pulsare als Laboratorien für die
Überprüfung der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins zu verwenden.
Einsteins Theorie besagt, dass die Raumzeit durch massereiche Körper wie z. B.
Pulsare gekrümmt wird. Eine Auswirkung davon ist die sogenannte relativistische
Spinpräzession von Pulsaren in Doppelsternsystemen.
Sie entsteht infolge einer Neigung zwischen den Rotationsachsen des Pulsars
und der Ausrichtung des Gesamtdrehmoments, die vermutlich durch die
vorhergehende Supernova-Explosion bei der Geburt des Pulsars verursacht wurde.
Diese Präzession führt zu einer Änderung in der Sichtgeometrie, die durch die
systematische Beobachtung der Pulsprofile über einen längeren Zeitraum
experimentell verfolgt werden kann.
Erste Belege für ein veränderliches Pulsprofil, das von Änderungen in der
Sichtgeometrie aufgrund der Spinpräzession verursacht wird, wurden vorher
bereits mit dem 100-Meter-Radioteleskop in Effelsberg in dem berühmten Hulse-Taylor-Binärpulsar
B1913+16 gefunden und modelliert. Weitere Pulsare in Binärsystemen zeigen
ebenfalls diesen Effekt, aber keiner von ihnen ermöglicht ähnlich präzise und
detaillierte Untersuchungen wie nun PSR J1906+0746. Es ist ein junger Pulsar,
der sich in 144 Millisekunden einmal um die eigene Achse dreht und in einer
vierstündigen Umlaufbahn in einem Doppelsternsystem um einen weiteren
Neutronenstern kreist. Er befindet sich in Richtung des Sternbilds Adler in der
Ebene der Milchstraße, recht nahe zum galaktischen Äquator.
"PSR J1906+0746 stellt ein einzigartiges Laboratorium für uns dar, in dem wir
gleichzeitig die Physik der Radiostrahlung des Pulsars untersuchen und Einsteins
Allgemeine Relativitätstheorie testen können", sagt Gregory Desvignes vom
Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn. Das Forscherteam hat
diesen Pulsar in den Jahren von 2012 bis 2018 systematisch mit dem
305-Meter-Arecibo-Radioteleskop bei einer Frequenz von 1,4 GHz beobachtet.
Ergänzt wurden diese Messungen mit Archivdaten von den Radioteleskopen in Nançay
und Arecibo aus den Jahren von 2005 bis 2009. Insgesamt sind es 47
Einzelbeobachtungen über einen Gesamtzeitraum von Juli 2005 bis Juni 2018.
Die Forscher fanden heraus, dass es anfangs noch möglich war, Strahlung von
beiden entgegengesetzten magnetischen Polen des Pulsars zu erfassen, wobei
sowohl der "nördliche" als auch der "südliche" Strahlungskegel einmal pro
Umdrehung in Richtung Erde zeigten. Mit der Zeit konnte der nördliche
Strahlungkegel nicht mehr beobachtet werden und nur der südliche blieb sichtbar.
Auf der Grundlage einer detaillierten Untersuchung der Polarisation der
gemessenen Radiostrahlung wurde nun ein bereits 50 Jahre altes, aber noch nie
bewiesenes Modell angewandt, das einen Zusammenhang zwischen den
Polarisationseigenschaften und der Geometrie des Pulsars herstellt. Die
Beobachtungsdaten haben dieses Modell nun endlich bestätigt und ermöglichten es
den Astronomen, die Rate der Spinpräzession mit weniger als fünf Prozent
Abweichung zu bestimmen. Das ist eine höhere Genauigkeit als beim Doppelpulsar
PSR J0737-3039, dem bisherigen Referenzsystem für solche Messungen. Das
erhaltene Resultat stimmt hervorragend mit den Vorhersagen von Einsteins Theorie
überein.
"Die Pulsare ermöglichen uns Tests von Gravitationstheorien, die wir auf
keine andere Weise durchführen können", fügt Ingrid Stairs von der Universität
von British Columbia in Vancouver, hinzu, die an der Studie beteiligt war. "Hier
haben wir ein weiteres phantastisches Beispiel für einen solchen Test." Darüber
hinaus kann das Team nun sowohl das Verschwinden als auch das Wiederauftauchen
von nördlichem und südlichem Strahlungskegel des Pulsars PSR J1906+0746
vorhersagen: Der südliche Kegel wird um 2028 aus der Sichtlinie verschwinden und
in den Jahren zwischen 2070 und 2090 wiederauftauchen. Der nördliche Kegel
sollte im Zeitraum zwischen 2085 und 2105 wieder sichtbar werden.
Das Experiment erstreckte sich über insgesamt 14 Jahre und liefert zusätzlich
interessante Ergebnisse zur noch wenig verstandenen Funktionsweise der Pulsare
selbst. Dadurch, dass die Sichtlinie zur Erde den magnetischen Pol des Pulsars
in nordsüdlicher Richtung überstrichen hat, konnte nicht nur eine Kartierung der
Struktur des Pulsar-Strahlungkegels (analog zur Computertomographie in der
Medizin) erstellt werden, sondern auch eine Untersuchung der physikalischen
Bedingungen für die Radiostrahlung direkt über dem magnetischen Pol des Pulsars.
"Wir beobachten die Radiostrahlung von Pulsaren mittlerweile schon 52 Jahre
lang, ohne richtig zu verstehen wo sie entsteht und wie sie zustande kommt",
erklärt Axel Jessner vom Max-Planck-Instituts für Radioastronomie. "Mit diesen
Messungen ist nun endlich geklärt, wo die Strahlung im Pulsarmagnetfeld
entsteht. Dadurch haben wir nun die notwendigen Informationen um auch das Rätsel
ihres Erzeugungsmechanismus zu lösen."
Die Kartierung der Struktur zeigt die tatsächliche Ausdehnung des
Pulsar-Strahlungskegels, die die Größe des Himmelsabschnitts festlegt, der von
dem Strahlungskegel ausgeleuchtet wird. Das wiederum beeinflusst die Vorhersage
zur Anzahl von Neutronenstern-Binärsystemen in der Milchstraße und damit die
erwartete Häufigkeit für die Entdeckung von Gravitationswellen bei der
Verschmelzung von Neutronensternen.
"Wir haben eine lange Zeit dafür benötigt, dieses Experiment zu vollenden",
schließt Michael Kramer, Direktor und Leiter der Forschungsabteilung
"Radioastronomische Fundamentalphysik" am Max-Planck-Instituts für
Radioastronomie. "In diesen Tagen ist es leider üblich geworden, dass die
Forschungsergebnisse sehr schnell zustande kommen müssen. Dabei kann uns dieser
Pulsar noch soviel mehr erzählen. Geduld und Fleiß haben sich hier wirklich
ausgezahlt."
Über die Ergebnisse berichten das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Science erschienen ist.
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