Suche nach den Gravitinos
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
22. August 2019
Etwa ein Viertel des Universums liegt buchstäblich im
Dunklen - es besteht aus Dunkler Materie, die sich im Wesentlichen über die
Gravitation bemerkbar macht. Um was es sich bei diesem Stoff handelt, ist bisher
unbekannt. Zwei Astrophysiker schlagen nun einen neuen Kandidaten namens
Gravitino vor und machen auch einen Vorschlag, wie sich das Teilchen aufspüren
lassen sollte.

Blick auf Dunkle Materie: Dieses Foto – eine
Montage aus mehreren Bildern – zeigt die
kollidierenden Galaxienhaufen 1E 0657-56, besser
bekannt unter dem Namen "Bullet Cluster". Den im
Hintergrundbild sichtbaren Galaxien im optischen
Licht überlagert sind die Röntgenstrahlung der
intergalaktischen Gaswolken (pink) sowie die aus
Gravitationslinseneffekten berechnete
Masseverteilung und damit indirekt die Dunkle
Materie (blau).
Bild: NASA/CXC/M. Weiss [Großansicht] |
Das Standardmodell der Teilchenphysik umfasst die Bausteine der Materie sowie
die Kräfte, die sie zusammenhalten. Demnach gibt es sechs verschiedene Quarks
und sechs Leptonen, die sich in drei "Familien" aufteilen, wobei die Materie um
uns herum und wir selbst letztlich nur aus drei Teilchen der ersten Familie
bestehen: dem Up- und Down-Quark sowie dem Elektron als Vertreter der Leptonen.
An diesem seit langem etablierten Standardmodell hat sich bis heute nichts
geändert. Jedenfalls konnten die Wissenschaftler seit Inbetriebnahme des Large
Hadron Collider (LHC) am CERN bei Genf vor rund zehn Jahren entgegen vielfach
gehegter Erwartungen außer dem Higgs-Boson keine neuen Elementarteilchen
nachweisen.
Das heißt, Messungen am LHC haben bisher keinerlei Hinweise auf eine "neue
Physik" jenseits des Standardmodells geliefert. Diese Ergebnisse stehen in
eklatantem Gegensatz zu zahlreichen vorgeschlagenen Erweiterungen des
konventionellen Modells, die eine große Anzahl neuer Teilchen erwarten. Hermann
Nicolai, Direktor am Potsdamer Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, und
sein Kollege Krzysztof Meissner von der Universität Warschau hatten bereits in
einer früheren Studien versucht, mit einem neuen Ansatz zu erklären, warum in
der Natur lediglich die bereits bekannten Elementarteilchen als Grundbausteine
der Materie vorkommen. Und warum entgegen früherer Überlegungen in dem bisher
vermessenen Energiebereich keine neuen Partikel zu erwarten sind. Daneben
postulieren die beiden Forscher die Existenz sehr massereicher Gravitinos, die
höchst ungewöhnliche Kandidaten für die Dunkle Materie sein könnten.
In einer zweiten, jetzt erschienenen Studie machen sie zudem einen Vorschlag,
um auf die Spur dieser Gravitinos zu kommen. In ihren Arbeiten greifen Nicolai
und Meissner eine alte Idee des Nobelpreisträgers Murray Gell-Mann auf, welche
auf der "N=8 Supergravitationstheorie" basiert. Ein wesentliches Element ihres
Ansatzes ist eine neuartige unendlich-dimensionale Symmetrie, welche das
beobachtete Spektrum der bekannten Quarks und Leptonen in drei Familien erklären
soll. "Aus unserem Ansatz ergeben sich tatsächlich keine zusätzlichen Teilchen
für gewöhnliche Materie, die anschließend wieder wegdiskutiert werden müssten,
weil sie sich in den Beschleunigerexperimenten nicht zeigen", sagt Nicolai. "Im
Gegensatz dazu kann unser Ansatz zumindest im Prinzip genau das erklären, was
man sieht."
Allerdings lassen sich die Vorgänge im Kosmos nicht ausschließlich mit
gewöhnlicher, uns bekannter Materie deuten. Ein Indiz dafür sind Galaxien: Sie
rotieren mit hoher Geschwindigkeit, und die sichtbare Materie – sie macht nur
etwa fünf Prozent der Materie im Weltall aus – würde nicht ausreichen, um sie
zusammenzuhalten. Jedoch weiß bisher trotz vieler Vorschläge niemand, woraus der
Rest besteht. Die Natur der Dunklen Materie ist daher eine der wichtigsten
offenen Fragen der Kosmologie.
"Nach gängigen Erwartungen besteht Dunkle Materie aus einem
Elementarteilchen, das sich bisher nicht nachweisen ließ, weil es sich im
Universum fast nur durch seine Schwerkraft bemerkbar macht", sagt Nicolai. Aus
dem zusammen mit Meissner ausgearbeiteten Modell resultiert ein neuer Kandidat
für solch ein Dunkle-Materie-Teilchen, welches jedoch völlig andere
Eigenschaften aufweist als alle bisher diskutierten Kandidaten, etwa Axionen
oder WIMPs. Letztere sollten nämlich nur sehr schwach mit bekannter Materie
wechselwirken. Dies gilt auch für die sehr leichten Gravitinos, die
Wissenschaftler in Verbindung mit Niederenergie-Supersymmetrie in der
Vergangenheit immer wieder ins Spiel gebracht haben.
Der Ansatz von Nicolai und Meissner weicht davon aber völlig ab, denn er
weist der Supersymmetrie nicht mehr eine primäre Rolle zu. "Insbesondere sagt
unser Modell die Existenz von superschweren Gravitinos vorher, die außerdem im
Gegensatz zu den handelsüblichen Kandidaten stark und elektromagnetisch mit
gewöhnlicher Materie wechselwirken", sagt Nicolai. Ihre große Masse bedingt,
dass diese Teilchen nur stark verdünnt im Weltall auftreten können, denn ihr
Gesamtbeitrag zur Masse im Universum darf nicht mehr als 25,8 Prozent betragen.
Laut dem Max-Planck-Forscher bräuchte man in unserer Galaxie deshalb
lediglich ein Teilchen auf 10.000 Kubikkilometer, um die Dunkle Materie zu
erklären, wenn die Masse der Gravitinos, wie von Nicolai und Meissner
postuliert, im Bereich der Planck-Masse liegen würde, also bei etwa einem
Hundertmillionstel Kilogramm (10-8 kg). Zum Vergleich: Protonen und
Neutronen, die Bausteine des Atomkerns, sind etwa zehn Trillionen Mal leichter
(10-27 kg). Im intergalaktischen Raum wäre die Dichte noch sehr viel
niedriger.
"Wesentlich für die Stabilität der schweren Gravitinos ist unter anderem ihre
besondere Ladung", sagt Nicolai. "Es gibt nämlich ganz einfach keinen
entsprechenden geladenen Endzustand im Standardmodell, in welchen diese
Gravitinos zerfallen könnten – andernfalls wären sie schon kurz nach dem Urknall
verschwunden." Ihre starke Wechselwirkung mit bekannter Materie könnte helfen,
solche Dunkle Materie-Teilchen trotz ihrer extremen Seltenheit aufzuspüren.
Eine Möglichkeit dazu könnten Flugzeitmessungen tief im Untergrund bieten, da
sich diese Teilchen sehr viel langsamer als mit Lichtgeschwindigkeit bewegen –
im Gegensatz zu gewöhnlichen, aus der kosmischen Strahlung herrührenden
Elementarteilchen. Dennoch würden sie wegen ihrer großen Masse die Erde mühelos
durchdringen. Diese Tatsache führte die Forscher auf die Idee, unseren Planeten
selbst als "Paläo-Detektor" zu verwenden: Die Erde fliegt seit etwa 4,5
Milliarden Jahren durchs All, und in dieser Zeit müssten sie schon viele solcher
massiven Gravitinos durchdrungen haben.
Dabei sollten die Partikel lange, gerade Ionisationsspuren im Gestein
hinterlassen haben, die allerdings von Spuren unterschieden werden müssten, die
von bekannten Elementarteilchen herrühren könnten. "Es ist bekannt, dass
ionisierende Strahlung zu Gitterdefekten in Kristallstrukturen führt. Vielleicht
gelingt es, in Kristallen, die über Jahrmillionen stabil bleiben, Relikte
solcher Ionisationsspuren nachzuweisen", sagt Hermann Nicolai.
Diese Methode könnte dank ihrer langen "Belichtungszeit" selbst dann zum Ziel
führen, wenn die Dunkle Materie entgegen allgemeiner Erwartung nicht absolut
homogen in der Galaxie verteilt ist, sondern lokalen Dichtefluktuationen
unterliegt – was auch erklären könnte, warum die Suche nach konventionellen
Dunkle-Materie-Kandidaten bisher erfolglos geblieben ist.
Über ihre Theorie berichten die Forscher in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Physical Review D erschienen ist.
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