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Etwa ein Viertel des Universums liegt buchstäblich im Dunklen - es besteht aus Dunkler Materie, die sich im Wesentlichen über die Gravitation bemerkbar macht. Um was es sich bei diesem Stoff handelt, ist bisher unbekannt. Zwei Astrophysiker schlagen nun einen neuen Kandidaten namens Gravitino vor und machen auch einen Vorschlag, wie sich das Teilchen aufspüren lassen sollte.
Das Standardmodell der Teilchenphysik umfasst die Bausteine der Materie sowie die Kräfte, die sie zusammenhalten. Demnach gibt es sechs verschiedene Quarks und sechs Leptonen, die sich in drei "Familien" aufteilen, wobei die Materie um uns herum und wir selbst letztlich nur aus drei Teilchen der ersten Familie bestehen: dem Up- und Down-Quark sowie dem Elektron als Vertreter der Leptonen. An diesem seit langem etablierten Standardmodell hat sich bis heute nichts geändert. Jedenfalls konnten die Wissenschaftler seit Inbetriebnahme des Large Hadron Collider (LHC) am CERN bei Genf vor rund zehn Jahren entgegen vielfach gehegter Erwartungen außer dem Higgs-Boson keine neuen Elementarteilchen nachweisen. Das heißt, Messungen am LHC haben bisher keinerlei Hinweise auf eine "neue Physik" jenseits des Standardmodells geliefert. Diese Ergebnisse stehen in eklatantem Gegensatz zu zahlreichen vorgeschlagenen Erweiterungen des konventionellen Modells, die eine große Anzahl neuer Teilchen erwarten. Hermann Nicolai, Direktor am Potsdamer Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, und sein Kollege Krzysztof Meissner von der Universität Warschau hatten bereits in einer früheren Studien versucht, mit einem neuen Ansatz zu erklären, warum in der Natur lediglich die bereits bekannten Elementarteilchen als Grundbausteine der Materie vorkommen. Und warum entgegen früherer Überlegungen in dem bisher vermessenen Energiebereich keine neuen Partikel zu erwarten sind. Daneben postulieren die beiden Forscher die Existenz sehr massereicher Gravitinos, die höchst ungewöhnliche Kandidaten für die Dunkle Materie sein könnten. In einer zweiten, jetzt erschienenen Studie machen sie zudem einen Vorschlag, um auf die Spur dieser Gravitinos zu kommen. In ihren Arbeiten greifen Nicolai und Meissner eine alte Idee des Nobelpreisträgers Murray Gell-Mann auf, welche auf der "N=8 Supergravitationstheorie" basiert. Ein wesentliches Element ihres Ansatzes ist eine neuartige unendlich-dimensionale Symmetrie, welche das beobachtete Spektrum der bekannten Quarks und Leptonen in drei Familien erklären soll. "Aus unserem Ansatz ergeben sich tatsächlich keine zusätzlichen Teilchen für gewöhnliche Materie, die anschließend wieder wegdiskutiert werden müssten, weil sie sich in den Beschleunigerexperimenten nicht zeigen", sagt Nicolai. "Im Gegensatz dazu kann unser Ansatz zumindest im Prinzip genau das erklären, was man sieht."
Allerdings lassen sich die Vorgänge im Kosmos nicht ausschließlich mit gewöhnlicher, uns bekannter Materie deuten. Ein Indiz dafür sind Galaxien: Sie rotieren mit hoher Geschwindigkeit, und die sichtbare Materie – sie macht nur etwa fünf Prozent der Materie im Weltall aus – würde nicht ausreichen, um sie zusammenzuhalten. Jedoch weiß bisher trotz vieler Vorschläge niemand, woraus der Rest besteht. Die Natur der Dunklen Materie ist daher eine der wichtigsten offenen Fragen der Kosmologie. "Nach gängigen Erwartungen besteht Dunkle Materie aus einem Elementarteilchen, das sich bisher nicht nachweisen ließ, weil es sich im Universum fast nur durch seine Schwerkraft bemerkbar macht", sagt Nicolai. Aus dem zusammen mit Meissner ausgearbeiteten Modell resultiert ein neuer Kandidat für solch ein Dunkle-Materie-Teilchen, welches jedoch völlig andere Eigenschaften aufweist als alle bisher diskutierten Kandidaten, etwa Axionen oder WIMPs. Letztere sollten nämlich nur sehr schwach mit bekannter Materie wechselwirken. Dies gilt auch für die sehr leichten Gravitinos, die Wissenschaftler in Verbindung mit Niederenergie-Supersymmetrie in der Vergangenheit immer wieder ins Spiel gebracht haben. Der Ansatz von Nicolai und Meissner weicht davon aber völlig ab, denn er weist der Supersymmetrie nicht mehr eine primäre Rolle zu. "Insbesondere sagt unser Modell die Existenz von superschweren Gravitinos vorher, die außerdem im Gegensatz zu den handelsüblichen Kandidaten stark und elektromagnetisch mit gewöhnlicher Materie wechselwirken", sagt Nicolai. Ihre große Masse bedingt, dass diese Teilchen nur stark verdünnt im Weltall auftreten können, denn ihr Gesamtbeitrag zur Masse im Universum darf nicht mehr als 25,8 Prozent betragen. Laut dem Max-Planck-Forscher bräuchte man in unserer Galaxie deshalb lediglich ein Teilchen auf 10.000 Kubikkilometer, um die Dunkle Materie zu erklären, wenn die Masse der Gravitinos, wie von Nicolai und Meissner postuliert, im Bereich der Planck-Masse liegen würde, also bei etwa einem Hundertmillionstel Kilogramm (10-8 kg). Zum Vergleich: Protonen und Neutronen, die Bausteine des Atomkerns, sind etwa zehn Trillionen Mal leichter (10-27 kg). Im intergalaktischen Raum wäre die Dichte noch sehr viel niedriger. "Wesentlich für die Stabilität der schweren Gravitinos ist unter anderem ihre besondere Ladung", sagt Nicolai. "Es gibt nämlich ganz einfach keinen entsprechenden geladenen Endzustand im Standardmodell, in welchen diese Gravitinos zerfallen könnten – andernfalls wären sie schon kurz nach dem Urknall verschwunden." Ihre starke Wechselwirkung mit bekannter Materie könnte helfen, solche Dunkle Materie-Teilchen trotz ihrer extremen Seltenheit aufzuspüren. Eine Möglichkeit dazu könnten Flugzeitmessungen tief im Untergrund bieten, da sich diese Teilchen sehr viel langsamer als mit Lichtgeschwindigkeit bewegen – im Gegensatz zu gewöhnlichen, aus der kosmischen Strahlung herrührenden Elementarteilchen. Dennoch würden sie wegen ihrer großen Masse die Erde mühelos durchdringen. Diese Tatsache führte die Forscher auf die Idee, unseren Planeten selbst als "Paläo-Detektor" zu verwenden: Die Erde fliegt seit etwa 4,5 Milliarden Jahren durchs All, und in dieser Zeit müssten sie schon viele solcher massiven Gravitinos durchdrungen haben. Dabei sollten die Partikel lange, gerade Ionisationsspuren im Gestein hinterlassen haben, die allerdings von Spuren unterschieden werden müssten, die von bekannten Elementarteilchen herrühren könnten. "Es ist bekannt, dass ionisierende Strahlung zu Gitterdefekten in Kristallstrukturen führt. Vielleicht gelingt es, in Kristallen, die über Jahrmillionen stabil bleiben, Relikte solcher Ionisationsspuren nachzuweisen", sagt Hermann Nicolai. Diese Methode könnte dank ihrer langen "Belichtungszeit" selbst dann zum Ziel führen, wenn die Dunkle Materie entgegen allgemeiner Erwartung nicht absolut homogen in der Galaxie verteilt ist, sondern lokalen Dichtefluktuationen unterliegt – was auch erklären könnte, warum die Suche nach konventionellen Dunkle-Materie-Kandidaten bisher erfolglos geblieben ist. Über ihre Theorie berichten die Forscher in einem Fachartikel, der in der Zeitschrift Physical Review D erschienen ist.
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