Wie aus Gaswolken Sterne werden
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
28. Januar 2019
Mit dem ALMA-Observatorium in Chile haben Astronomen detaillierter
als zuvor beobachtet, wie eine riesige Gaswolke in dichtere
Teilregionen zerfällt, die dann als Geburtsstätten von Sternen dienen. Dabei
zeigte sich, dass die Mechanismen der Fragmentierung vergleichsweise einfach
sind und sich aus der Kombination von Druck und Schwerkraft der Wolke ergeben.

Der massereiche Sternhaufen NGC 3603,
aufgenommen mit dem Very Large Telescope. Er hat
sich wahrscheinlich in derselben Weise entwickelt
wie derjenige, der sich in dem mit ALMA
beobachteten Objekt G351.77-0.54 gerade bildet.
Bild: ESO [Großansicht] |
Sterne entstehen, wenn riesige Gaswolken und Staub kollabieren. Wann immer es
dabei in einer Region der Wolke heiß und dicht genug wird, dass
Wasserstofffusion einsetzen kann, wird ein Stern geboren. Für massereiche
Sterne, also solche mit mehr als dem 8-Fachen der Masse der Sonne, ist das
jedoch nur ein Teil des Bildes: Die größten Sterne im Universum werden nicht
einzeln geboren. Sie entstehen aus massereichen Wolken aus molekularem Gas, die
beim Kollaps in eine Kaskade von Fragmenten zerfallen. Aus vielen dieser
Fragmente entsteht dann ein einzelner Stern oder ein Doppelsternsystem.
Bereits seit längerem wird diskutiert, ob diese Fragmentierung andere
physikalische Mechanismen erfordert als der Wolkenkollaps bei Sternen mit
geringerer Masse. Gibt es in den massereichen Wolken hinreichend starke
turbulente Gasbewegungen, die destabilisierend wirken und so zu einem
schnelleren Kollaps führen?
Der Kollaps, der die Entstehung massereicher Sterne auslöst, findet als
Kaskade statt. Am oberen Ende der Größenskala stehen riesige Molekülwolken, die
überwiegend aus Wasserstoffgas bestehen und die zwischen einigen Dutzend und
mehr als hundert Lichtjahren groß sein können. Innerhalb dieser Wolken bilden
sich verschiedene dichtere Regionen aus, typischerweise einige Lichtjahre im
Durchmesser. Jede dieser Regionen enthält einen oder mehrere dichtere
Kernregionen, die jeweils weniger als ein Fünftel eines Lichtjahres groß sind.
Innerhalb jeder dieser Kernregionen führt der Kollaps zur Bildung entweder eines
einzelnen Sterns oder mehrerer Sterne. Sterne, die gemeinsam innerhalb einer
Kernregion entstehen, bilden anschließend einen Sternhaufen.
Wie diese Hierarchie der Fragmentierung entsteht, hängt von den beteiligten
Mechanismen ab. Das einfachste Modell kommt mit Physik aus, wie man sie im
Schulunterricht finden kann: Ein ideales Gas besitzt einen inneren Druck, der
von seiner Temperatur und Dichte abhängt. In einem vereinfachten Modell der
Gaswolke, das konstante Dichte annimmt, muss dieser Druck überall stark genug
sein, um die Schwerkraft auszugleichen – auch im Zentrum der Wolke, wo der Druck
am stärksten ist.
Eine einfache Rechnung zeigt, dass eine solche Wolke mit konstanter Dichte
nur bis zu einer bestimmten Maximalgröße stabil ist. Wird diese Größe, die
sogenannte Jeanslänge, überschritten, dann zerfällt die Wolke in kleinere
Fragmente. Wird die Fragmentierung bei der Entstehung massereicher Sterne
tatsächlich von diesen vergleichsweise einfachen Prozessen dominiert? Das muss
nicht sein, und einige Astronomen haben deutlich komplexere Szenarien
konstruiert, in denen turbulente Gasbewegungen und Magnetfelder eine wichtige
Rolle spielen.
In diesen Modellen ändern sich dann auch die kritischen Größen, die zur
Fragmentierung führen. Das heißt aber: Schaut man nach, welche Größen die
verschiedenen Fragmente tatsächlich haben, dann kann man die Vorhersagen sowohl
des einfacheren physikalischen Szenarios als auch der komplexeren Mitbewerber
auf die Probe stellen.
Genau das haben Henrik Beuther vom Max-Planck-Institut für Astronomie in
Heidelberg und seine Kollegen getan, indem sie die Sternentstehungsregion
G351.77-0.54 im südlichen Sternbild Skorpion unter die Lupe nahmen. Frühere
Beobachtungen hatten gezeigt, dass diese Region gerade einen solchen
Fragmentierungsprozess durchmacht; auf der untersten Ebene der Fragmente
entstehen bereits die ersten Sterne. Aber die Kernregionen, aus denen dann
tatsächlich die einzelnen Sterne entstehen, blieben dem Blick der Astronomen
bisher verborgen.
Beuther und seine Kollegen konnten einen deutlich genaueren Blick auf die
Region werfen als ihre Vorgänger. Ihr Schlüssel zu feineren Details war der
Radioteleskopverbund ALMA in der Atacamawüste in Chile. ALMA kombiniert die
gleichzeitigen Beobachtungen von bis zu 66 Radioteleskopen so, dass sich am Ende
eine Winkelauflösung von 20 Millibogensekunden ergibt. Damit lassen sich Details
erkennen, die mehr als zehnfach feiner als bei jedem bisherigen Radioteleskop
sind – und das bei deutlich gesteigerter Empfindlichkeit der Beobachtungen.
Diese Kombination hat bereits in einigen Bereichen der astronomischen
Forschung zu beeindruckenden Durchbrüchen geführt. Mit ALMA konnten die
Astronomen jetzt das massereiche Sternentstehungsgebiet G351.77-0.54 bis
hinunter zur Unterstruktur der kollabierenden Kernregionen untersuchen – bis zu
Strukturen, die kleiner als 50 astronomische Einheiten sind (also kleiner als
das 50-Fache der durchschnittlichen Entfernung zwischen Erde und Sonne).
"ALMA ist ein Paradebeispiel dafür, wie Fortschritte in der
Beobachtungstechnik die Forschung vorantreiben. Ohne die beispiellose räumliche
Auflösung und Empfindlichkeit von ALMA hätten wir unsere Ergebnisse nicht
erzielen können", sagt Beuther. Die Beobachtungen sowie frühere Studien
derselben Wolke auf größeren Skalen deuten darauf hin, dass die einfachen
Rechnungen zum Innendruck von Wolken zur Beschreibung der Fragmentierung
tatsächlich ausreichen. Sowohl die dichteren Regionen, als auch die
Kernregionen, in die sie zerfallen, und sogar einige der Unterstrukturen haben
die erwartete Größe von ungefähr einer Jeanslänge, ohne dass weitere Zutaten
benötigt werden.
"Unsere Beobachtungen sprechen für eine einheitliche physikalische
Beschreibung. Die Fragmentierung von den größten bis zu den kleinsten
Größenskalen scheint von denselben physikalischen Prozessen bestimmt zu sein",
sagt Beuther.
Einfachheit ist bei wissenschaftlichen Beschreibungen ein großer Vorteil. Ein
weiteres Ergebnis der Astronomen erweist sich dagegen als Herausforderung.
Beuther und seine Kollegen hatten bei ihren Beobachtungen auch versucht, mehr
über die Eigenschaften der gerade entstehenden Sterne, sogenannter Protosterne,
in den Kernregionen herauszufinden. Ein solcher Protostern sollte von einer
wirbelnden Gasscheibe umgeben sein, einer sogenannten Akkretionsscheibe. Vom
inneren Scheibenrand fällt dabei Gas auf den Stern und erhöht dessen Masse.
Eine kleine Menge an Gas wird bei solchen Scheiben allerdings auch mit hoher
Geschwindigkeit ins All geschleudert. Dabei bilden sich sogenannte Jets – zwei
eng gebündelten Teilchenströmen senkrecht zur Akkretionsscheibe, die durch die
Wechselwirkung von ionisiertem Gas und Plasma entstehen. Das Submillimeter-Licht
aus der Umgebung der Protosterne enthält aufschlussreiche Informationen über die
Bewegung des dortigen Gases.
Auf diese Weise hatte das Team um Beuther gehofft, eindeutige Hinweise auf
eine Akkretionsscheibe zu finden. Stattdessen fand es vor allem die Spuren der
Jetmaterie, die sich einen Weg durch das umgebende Gas bahnt. Offensichtlich
sind die Akkretionsscheiben massereicher Protosterne kleiner, als die Astronomen
erwartet hatten – eine Herausforderung für zukünftige Beobachtungen mit noch
höherer räumlicher Auflösung.
Über ihre Beobachtungen berichten die Astronomen in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlicht wurde.
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