Mit Satelliten Eisverlust von Gletschern messen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Erlangen-Nürnberg astronews.com
15. Januar 2019
Das Schmelzen von Gletschern infolge des Klimawandels ist
längst Realität. Die genaue Messung dieses Prozesses ist allerdings schwierig.
Jetzt haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Daten von zwei deutschen
Radarsatelliten sowie ältere Daten einer Shuttle-Mission ausgewertet, um die
Massenverluste von Gletschern in Südamerika zu messen.

Gletscher in den Zentralanden haben zwar
deutlich weniger Masse verloren als bisher
angenommen, aber möglicherweise sind die
Gletscher in absehbarer Zeit ganz verschwunden.
Foto: FAU/Matthias Braun [Großansicht] |
Wer historische Fotos von Gletschern mit aktuellen Aufnahmen vergleicht, wird
feststellen, dass mittlerweile häufig Fels zu sehen ist, wo einstmals Eis lag.
Geographen interessieren sich jedoch nicht vorrangig für die Ausdehnung, sondern
vielmehr für die Masse eines Gletschers.
Forscher der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben
erstmals alle vergletscherten Gebiete Südamerikas so detailliert wie nie
untersucht – von tropischen Gebieten Venezuelas bis in subpolare Regionen
Feuerlands. Ihre zwei wichtigsten Erkenntnisse: Die größten Massenverluste gibt
es im patagonischen Inlandeis und die Gletscher in den Tropen haben deutlich
weniger Masse verloren als bisher hochgerechnet – was aber trotzdem keine gute
Nachricht ist.
Dass Gletscher vermessen werden, ist nichts Neues. Zwei Methoden kommen dabei
besonders häufig zum Einsatz: Entweder nehmen Forscher einige Messungen direkt
an einem Gletscher vor und rechnen die Ergebnisse auf ganze Regionen hoch. Das
ist besonders in großen Gletschergebieten wie den großen Eisfeldern in
Patagonien problematisch, da von dort kaum solche In-situ-Messreihen vorliegen.
Die andere Möglichkeit sind sogenannte Schwerefeldmessungen mithilfe von
Satelliten. Dafür machen sich Wissenschaftler die Tatsache zu Nutze, dass sich
die Schwerkraft auf der Erde nicht nur je nach Ort, sondern auch im Zeitverlauf
verändert. Sie wird unter anderem durch die unterschiedliche Zusammensetzung der
Erdoberfläche, Gebirgsmassive, Bewegungen im Erdkern und Plattenverschiebungen
beeinflusst – oder eben wenn Gletscher an Masse verlieren. Ein Nachteil dieser
Methode: Sind nur kleine Gebiete von Gletschern bedeckt, wie in den
südamerikanischen Tropen, ist das Signal, das der Satellit empfängt schwach und
die Messung wird sehr ungenau.
Die FAU-Geographen aus den Bereichen Fernerkundung und Geoinformation sowie
physikalische Klimatologie um Prof. Dr. Matthias Braun und Dr. Tobias Sauter
haben für ihre Vermessung der südamerikanischen Gletscher zwar ebenfalls auf
Satellitendaten gesetzt, jedoch auf Höhenmessungen und nicht
Schwerefeldanalysen. Seit 2010 kreisen zwei Radarsatelliten des Deutschen
Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) um die Erde. Ziel der TanDEM-X-Mission
war ein dreidimensionales Abbild der Erde in einheitlicher Qualität und bislang
unerreichter Genauigkeit – Höhenunterschiede im Gelände wurden auf einen Meter
genau erfasst.
Diese Daten aus dem Zeitraum 2011-2015 nutzten auch die FAU-Geographen und
verglichen sie mit Messungen der Shuttle Radar Topography Mission aus
dem Jahr 2000. Aus den Differenzen berechneten sie in einem komplexen Verfahren
– unter anderem mussten sie verschiedene Korrekturen und Fehlerberechnungen
durchführen – die Höhenveränderungen in den Gletscherregionen Südamerikas und
daraus die Veränderungen der Gletschermassen. Das Besondere daran: Sie konnten
mit einem einheitlichen Messverfahren alle vergletscherten Gebiete in der Region
erfassen. Zudem lieferte die Methode sogar präzise Daten für einzelne Gletscher.
Durch den Vergleich der Messungen aus den beiden Raumfahrtmissionen entstand
so ein detailliertes Bild für ganz Südamerika. Erstmals war es den Forschern
auch möglich, die großen patagonischen Inlandeisflächen getrennt von
umliegenden, kleineren Gletschern zu analysieren.
Die größte Abnahme, sowohl absolut als auch relativ im Vergleich zu den
anderen südamerikanischen Gletschern, stellten sie bei den beiden Patagonischen
Inlandeisfeldern fest – zwei Gebiete, die mit einer Fläche von rund 18.000
Quadratkilometern in etwa so groß sind wie Rheinland-Pfalz. Die Masse der
Gletscher ist dort zwischen 2000 und 2011/15 um rund 17,4 Gigatonnen pro Jahr
geschrumpft, das entspricht 19,3 Kubikkilometer pro Jahr. Selbst
Gletschergebiete, die in den Tropen liegen, haben nicht einen derart hohen
Anteil ihrer Masse verloren.
Der Grund dafür könnte sein, dass die großen Auslassgletscher in Patagonien,
die nach engen Tälern zum Beispiel ins Meer oder in Seen fließen, eine
dynamische Anpassung unterlaufen: Sie haben sich von einer stabilen Position
zurückgezogen und müssen erst wieder eine neue stabile Front ausbilden. Diese
Prozesse sind für Gezeitengletscher, die im Meer enden, bekannt und zunächst
unabhängig von klimatischen Einflüssen, auch wenn diese Auslöser gewesen sein
können. Dieses Phänomen spielt bei großen Gletschern, wie sie in Patagonien
vorkommen, sogar eine bedeutendere Rolle als Einflüsse durch
Temperaturänderungen.
Was die Wissenschaftler bereits bei vorhergehenden Untersuchungen
festgestellt hatten: Ganze Gletscher sind in Patagonien verschwunden – ein
Ergebnis, das zwar für andere Gebiete in Bolivien bereits bekannt war, nicht
jedoch in Patagonien. Die zweite wichtige Erkenntnis: Die Massenänderungen der
Gletscher in den tropischen Regionen Südamerikas, in Venezuela, Kolumbien,
Ecuador, Peru und Bolivien, sind deutlich geringer als bisher gedacht. So kamen
bislang Hochrechnungen zu dem Ergebnis, dass die rund 2900 Gletscher dort eine
Massenänderung von rund sechs Gigatonnen pro Jahr zeigen. Die FAU-Geographen
haben jedoch herausgefunden, dass es nur 0,55 Gigatonnen pro Jahr sind, also nur
rund 10 Prozent der bisherigen Schätzungen.
Dieses Ergebnis ist deshalb wichtig, da in den tropischen und subtropischen
Regionen die Gletscher relevant für die Wasserversorgung in der Trockenzeit
sind: Wenn kein Regen fällt und die Temperaturen am höchsten sind, wird aus dem
Schmelzwasser der Gletscher Trinkwasser gewonnen, werden damit Pflanzen
bewässert und Kraftwerke angetrieben. Gerade für diese Regionen ist es daher
wichtig zu wissen, wie stark sich die Gletscher ändern – und dafür sind
quantitative Aussagen zu den Volumina und Massen von Bedeutung, nicht nur zu den
Flächenänderungen.
In einigen Gebieten wie den zentralen Anden von Chile und Argentinien oder
der Cordillera Real in Bolivien gehen Experten sogar davon aus, dass die
maximale Wassermenge durch Abschmelzen bereits überschritten ist. Das ist ein
Hinweis darauf, dass Gletscher unaufhaltsam auf dem Rückzug sind und in
absehbarer Zeit ganz verschwunden sein werden. Diese Gebiete werden also in
Zukunft in der Trockenzeit mit weniger Wasser rechnen müssen.
Im Rahmen der Studie wurden jedoch auch einige Gebiete erstmals systematisch
untersucht, die kaum Änderungen zeigten wie zum Beispiel die Anden im nördlichen
Chile und Argentinien sowie im südlichen Bolivien auf der geographischen Breite
der Atacama-Wüste. Die Erlanger Forscher hoffen nun, dass ihre Studie Eingang in
den nächsten Bericht des Weltklimarats findet – schließlich trägt ein Teil des
abgeschmolzenen Gletschereises zum Anstieg der Meeresspiegel bei, vor allem die
riesigen Eisflächen in Patagonien sind dafür relevant.
Doch auch für andere Übersichtsanalysen werden Gletscher als ein Indikator
für Klimaänderungen herangezogen. Die FAU-Geographen möchten nun ihre Analysen
weiter ausdehnen auf andere Regionen und vor allem zeitlich fortschreiben.
Derzeit läuft eine Aktualisierung des globalen Geländemodells der TanDEM-X-Mission
– die Forscher hoffen, von diesen Daten in Zukunft profitieren zu können. Zudem
setzen sie auf weitere geplante nationale Missionen wie die Tandem-L-Satelliten,
die unter anderem solche Messungen mit höherer zeitlicher Wiederholungsrate
ermöglichen würden.
Ihre Ergebnisse haben die Forscher jetzt im Fachmagazin Nature Climate
Change veröffentlicht.
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