Kurztrip ins All für ultrakalte Atome
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Leibniz Universität Hannover astronews.com
29. Oktober 2018
Anfang 2017 hatte ein Forschungsverbund unter Federführung
der Leibniz Universität Hannover die Forschungsrakete MAIUS-1 ins All
geschossen. Während des Fluges untersuchten die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler dort in mehr als 100 Experimenten das Verhalten von
Materiewellen und erstmals Bose-Einstein-Kondensate im Weltall. Jetzt liegen
erste Ergebnisse vor.

Der Atom-Chip mit dem magnetische Felder zum
Fangen und Manipulieren des
Bose-Einstein-Kondensats erzeugt werden.
Foto: Stephan T. Seidel [Großansicht] |
In der Fachzeitschrift Nature berichten Mitglieder des Teams über
die Erzeugung und Beobachtung der sogenannten Bose-Einstein-Kondensation, einem
extremen Zustand nahe dem Temperatur-Nullpunkt in dem Materie eine Welle formt.
"Dies ist uns sogar mit einer größeren Anzahl von Atomen gelungen, als wir zuvor
erwartet hatten", zeigt sich Maike Lachmann vom Institut für Quantenoptik der
Leibniz Universität Hannover zufrieden. Die Physikerin ist Teil des Teams, das
die komplizierten Experimente geplant und durchgeführt hat.
Die hohe Teilchenzahl wie auch die hohe Anzahl an Experimenten gelang
mithilfe eines sogenannten Atom-Chips. Er dient dazu, Atome und Atomwolken in
miniaturisierten Magnetfallen zu speichern und zu manipulieren. Neben der
Erzeugung des Bose-Einstein-Kondensats, haben die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler mit seiner Hilfe die entstehenden Materiewellen geführt, geformt
und ihr Verhalten im freien Fall studiert. Im All konnten diese Experimente
ungestört von der Schwerkraft durchgeführt und anschließend mit theoretischen
Modellen verglichen werden. Mit den Modellen können nun Strategien entwickelt
werden, um zukünftige Weltraumexperimente am Boden schneller und besser
vorzubereiten. "Wir wollen ja keine 20 Raketen abfeuern", scherzt Projektleiter
Professor Ernst Rasel.
Erst ein Bruchteil der Ergebnisse ist bisher ausgewertet. Ein Fokus liegt
jetzt auf den Experimenten zur Interferometrie der Materiewellen, also der
Messung, wie sich mehrere Wellen überlagern. Interferometer mit
Bose-Einstein-Kondensaten im All gelten gegenwärtig als der vielversprechendste
Ansatz für Messungen mit unerreichter Genauigkeit, da die Empfindlichkeit der
Messung mit der Dauer des freien Falls steigt. Damit werden zukünftig
beispielsweise die sehr präzise Vermessung des Gravitationsfeldes der Erde oder
die Entwicklung genauerer und satellitenunabhängiger Navigationsgeräte möglich.
Aber auch grundlegende Fragen der Physik, etwa zur Relativitätstheorie Albert
Einsteins, wollen die Forscherinnen und Forscher überprüfen. Bislang galt dies
aber aufgrund der Komplexität der Experimente und der bei einem Raketenstart und
im All herrschenden extremen Anforderungen als nicht durchführbar. "Diese
Missionen stoßen daher auch auf sehr viel Skepsis. Selbst die meisten Experten
bezweifelten, dass unser Ansatz realisierbar wäre", erinnert sich Rasel. Dem
Team der beteiligten Forschungseinrichtungen ist es jedoch mithilfe des
Atom-Chips gelungen, den ursprünglich raumgroßen Versuchsaufbau so zu
miniaturisieren, dass er in die Forschungsrakete passte.
Die nun veröffentlichten Ergebnisse sind auch für die amerikanische
Raumfahrtbehörde NASA von Interesse. Sie hat im Mai das Cold Atom Lab
auf die internationale Raumstation ISS gebracht, um dort ähnliche Experimente
durchzuführen. "Das NASA-Team ist sehr interessiert an unseren Erfahrungen. Wir
freuen uns über die Zusammenarbeit", erläutert Rasel. Die Kooperation soll nun
noch ausgebaut werden.
In einem gemeinsamen Projekt, welches auf den Erfahrungen der MAIUS-Mission
und des Cold Atom Lab aufbaut, sollen ultrakalte Atome und
Bose-Einstein-Kondensate auf der ISS in Langzeitversuchen erforscht werden. Die
neuen Anwendungsaspekte der Atom-Chips sind aber nicht nur für den Weltraum
attraktiv: Mittlerweile öffnen sich auch viele, die vorher skeptisch waren, dem
Einsatz von Atomchips und Bose-Einstein-Kondensaten für die Interferometrie für
die Quantensensorik. Letztere sind ein wichtiger Baustein für
Zukunftstechnologien, wie etwa die Erdbeobachtung mit Hilfe von
Quantengravimetern oder Gyroskopen.
Um ein Bose-Einstein Kondensat zu erzeugen, wird eine Wolke von Atomen in
mehreren Schritten bis nahezu zum absoluten Temperatur-Nullpunkt heruntergekühlt, so dass die Bewegung der Atome beinahe zum Stillstand kommt. Die Atome
erreichen dabei einen für Nicht-Physiker schwer vorstellbaren Aggregatzustand,
der nicht mehr alleine mit klassischen Größen wie fest, flüssig oder gasförmig
beschrieben werden kann. Sie verlieren ihre Eigenständigkeit und nehmen einen
makroskopischen Wellenzustand ein, der ähnliche Eigenschaften hat, wie die
Laserstrahlung im Falle elektromagnetischer Wellen. Bose-Einstein-Kondensate
zeigen eine Reihe ungewöhnlicher Eigenschaften wie Suprafluidität. Theoretisch
wurden sie bereits in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Nathan
Bose und Albert Einstein vorhergesagt, aber erst 1995 experimentell in kalten
Gasen realisiert.
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