Bose-Einstein-Kondensat in Schwerelosigkeit
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
23. Januar 2017
Im Rahmen des Experiments MAIUS 1 ist es Wissenschaftlern
erstmals gelungen, ein Bose-Einstein-Kondensat in einer Forschungsrakete zu
erzeugen und für Experimente zu nutzen. Es handelt sich um eines der
komplexesten Experimente, das je an Bord einer Forschungsrakete geflogen ist.
Ziel des Projekts ist unter anderem die Überprüfung des Äquivalenzprinzips.

Start von MAIUS 1: Am 23. Januar 2017 ist
eine Forschungsrakete mit dem Experiment MAIUS 1
an Bord um 3.30 Uhr MEZ vom Raumfahrtzentrum
Esrange bei Kiruna in Nordschweden ins All
gestartet.
Foto: SSC [Großansicht] |
Eines der komplexesten Experimente, das je auf einer Forschungsrakete
geflogen wurde: So könnte man das Experiment MAIUS 1
(Materiewellen-Interferometrie unter Schwerelosigkeit) beschreiben, das am 23.
Januar 2017 um 3.30 Uhr MEZ mit einer Forschungsrakete vom Raumfahrtzentrum
Esrange bei Kiruna in Nordschweden ins Weltall gestartet ist. Während der etwa
sechsminütigen Phase, in der während des Fluges Schwerelosigkeit herrscht, ist
es deutschen Wissenschaftlern erstmalig gelungen, ein Bose-Einstein-Kondensat
(BEK) im Weltraum zu erzeugen und für Interferometrie-Experimente zu nutzen.
"Bose-Einstein-Kondensate entstehen, wenn ein Gas bis fast auf den absoluten
Nullpunkt heruntergekühlt wird", sagt Rainer Forke vom Raumfahrtmanagement des
Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). "Nun sind wir glücklich, dass
wir nachweisen konnten, dass die MAIUS-1-Anlage im Weltraum einwandfrei
arbeitet. Während der Schwerelosigkeitsphase konnten rund 100 Einzelexperimente
zu verschiedenen Aspekten der Materiewelleninterferometrie durchgeführt werden."
Wissenschaftler von elf deutschen Forschungseinrichtungen haben innerhalb
weniger Jahre die Technologie zur Erzeugung von Bose-Einstein-Kondensaten so
miniaturisiert, dass die Experimentanlage in das Nutzlastmodul einer
Forschungsrakete von rund zweieinhalb Metern Höhe und 50 Zentimetern Durchmesser
passt. "Normalerweise füllt eine solche Apparatur einen ganzen Laborraum", sagt
Dr. Stephan Seidel, wissenschaftlicher Projektleiter MAIUS 1 von der Universität
Hannover. "Die Anlage so kompakt und robust zu konzipieren, dass sie auf einer
Forschungsrakete fliegen kann, war eine große Herausforderung für
Wissenschaftler und Ingenieure."
Will man ein Bose-Einstein-Kondensat erzeugen, so muss eine Wolke von Atomen
- in diesem Fall verwenden die Forscher Rubidium-Atome - auf nahezu Minus 273
Grad Celsius abgekühlt werden. Hierfür reichen konventionelle Kühlungsmethoden
nicht aus. In einem zweistufigen Verfahren wird daher die Bewegung der Atome
zunächst mit Hilfe von Lasern abgebremst - denn je schneller sich ein Atom
bewegt, desto höher ist seine Temperatur.
In der MAIUS-Apparatur sind dafür winzige Laser eingebaut, deren Strahlen die
Rubidium-Atome abbremsen. Die Teilchen werden auf diese Weise in eine Atom-Falle
überführt, aus der sie nicht entweichen können. Diese Falle wird kreiert mit
Hilfe eines Atomchips, auf dem Magnetfelder erzeugt werden. Den magnetischen
Einschluss kann man sich als die "Wände" der Falle vorstellen.
Nach der Laserkühlung beginnt in der Magnetfalle die zweite Phase der
Temperaturreduktion. Dabei wird das magnetische Feld reduziert, so dass sich die
Höhe der "Wände" verringert. Damit bleiben nunmehr nur die kältesten und damit
unbeweglichsten Teilchen in der Falle, während die beweglicheren Atome die
niedrigere Barriere überwinden können. Die so erzeugten ultrakalten Atome werden
in MAIUS zur Materiewelleninterferometrie genutzt.
"Der Reiz, die Interferometrie mit Materiewellen auf möglichst lange Zeiten
auszudehnen, hat auch einen wichtigen Anwendungsaspekt", so Prof. Ernst Rasel,
wissenschaftlicher Leiter des Projekts an der Universität Hannover. "Die
Empfindlichkeit eines Atominterferometers wächst nämlich quadratisch mit der
freien Fallzeit von BEKs in einem solchen Messgerät. So ist es nicht
verwunderlich, dass bereits über lang andauernde Missionen von
Weltraumsatelliten nachgedacht wird. Auch der Einsatz von Quantensensoren in
Satelliten für eine präzisere Geodäsie und Navigation wird schon diskutiert."
"Wir sind sehr am deutschen Know-How für unser Cold Atom Laboratory
(CAL), einer Apparatur zur Erforschung ultrakalter Quantengase, interessiert",
sagt Mark Lee von der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA. "CAL soll bereits im
Juni 2017 zur Internationalen Raumstation ISS starten."
Bereits im Jahr 2007 war es Wissenschaftlern im Rahmen von QUANTUS
(Quantengase unter Schwerelosigkeit) - des Vorläuferprojekts von MAIUS 1 -
erstmalig gelungen, ein Bose-Einstein-Kondensat in Schwerelosigkeit zu erzeugen.
Dazu wurde die QUANTUS-Anlage in eine Kapsel integriert, mit der im Zentrum für
angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) in Bremen
Fallturmexperimente durchgeführt wurden. Die weltweit beachtete Forschung mit
QUANTUS leistete entscheidende Pionierarbeit für MAIUS und bleibt auch für die
Vorbereitung weiterer Missionen eine wichtige Forschungsplattform.
Mit dem erfolgreichen Start von MAIUS 1 wurde bewiesen, dass die Technologie
unter Weltraumbedingungen störungsfrei funktioniert. Mit MAIUS 2 und 3 sollen in
den Jahren 2018 und 2019 zwei weitere Missionen folgen. Auf MAIUS 2 werden neben
ultrakalten Rubidium-Atomen erstmalig auch ultrakalte Kalium-Atome auf einer
Forschungsrakete eingesetzt. Bei MAIUS 3 soll dann die Fallgeschwindigkeit von
Bose-Einstein-Kondensaten aus beiden Atomarten via Interferometrie verglichen
werden. Damit soll der Teil der Einsteinschen Relativitätstheorie überprüft
werden, der besagt, dass im Vakuum alle Massen gleich schnell fallen - das so
genannte Äquivalenzprinzip. Würde diese Annahme widerlegt werden, wäre die
Relativitätstheorie nicht mehr uneingeschränkt gültig.
Doch auch diese Experimente sind nur ein weiterer Schritt auf dem Weg hin zu
einer Langzeitmission im Weltraum. Ziel ist es, die Technologie auch auf
Satelliten oder der Internationalen Raumstation ISS einsetzen zu können. Denn
dort könnten die Experimente wochen- oder sogar monatelang in Schwerelosigkeit
durchgeführt werden, während dies im Fallturm nur für etwa neun Sekunden und
beim Raketenflug für rund sechs Minuten möglich ist.
Das Projekt MAIUS 1 steht unter wissenschaftlicher Leitung der Leibniz
Universität Hannover im Verbund mit der Humboldt-Universität und dem
Ferdinand-Braun-Institut in Berlin, dem ZARM der Universität Bremen, der
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der Universität Hamburg, der Universität
Ulm und der Technischen Universität Darmstadt. Dem Forschungsverbund gehören
außerdem das DLR Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen, die DLR-Einrichtung
für Simulations- und Softwaretechnik in Braunschweig und die Mobile Raketenbasis
des DLR (MORABA) an, welche auch die Startkampagne durchführt. Koordiniert und
unterstützt wird das Projekt vom DLR Raumfahrtmanagement mit Mitteln des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi).
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