Ist Dunkle Energie überhaupt erlaubt?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Technischen Universität Wien astronews.com
22. Oktober 2018
Wie passen Gravitation und Quantentheorie zusammen? Eine
Antwort auf diese Frage könnte die Stringtheorie liefern. Im Sommer sorgte daher
eine These für Aufregung, nach der ausgerechnet diese Theorie keine Dunkle
Energie erlaubt, die für die beschleunigte Ausdehnung des Universums
verantwortlich gemacht wird. Doch es gibt Widerspruch.

Dunkle Energie sorgt für die beschleunigte
Ausdehnung des Universums. Doch ist diese Energie
nach der Stringtheorie überhaupt erlaubt?
Bild: NASA, ESA, H. Teplitz und M. Rafelski
(IPAC/Caltech), A. Koekemoer (STScI), R.
Windhorst (Arizona State University) und Z. Levay
(STScI) [Großansicht] |
In die Stringtheorie werden große Hoffnungen gesetzt: Sie soll erklären, wie
Gravitation mit Quantenphysik zusammenhängt, und wie die Naturgesetze zu
verstehen sind, mit denen man die gesamte physikalische Welt beschreiben kann,
von den kleinsten Teilchen bis zur größten Struktur des Kosmos. Oft wird des
Stringtheorie vorgeworfen, bloß mathematisch-abstrakte Ergebnisse zu liefern und
zu wenige Vorhersagen zu treffen, die sich im Experiment tatsächlich untersuchen
lassen.
Nun allerdings diskutiert die Stringtheorie-Community auf der ganzen Welt
eine heiße Frage, die mit kosmischen Experimenten eng zusammenhängt: Es geht
dabei um nichts Geringeres als die Expansion des Universums. 2011 wurde der
Physik-Nobelpreis für die Entdeckung vergeben, dass das Universum nicht nur
ständig größer wird, sondern dass sich diese Expansion auch noch ständig
beschleunigt. Dieses Phänomen lässt sich nur erklären, wenn man eine
zusätzliche, bisher unbekannte Dunkle Energie annimmt.
Diese Idee stammt ursprünglich von Albert Einstein, der sie in seiner
Allgemeinen Relativitätstheorie als "kosmologische Konstante" zu seinen
Gleichungen hinzufügte. Einstein wollte damit eigentlich ein nichtexpandierendes
Universum konstruieren. Als Hubble 1929 dann feststellte, dass sich das
Universum ausdehnt, bezeichnete Einstein diese Modifikation seiner Gleichungen
als "größte Eselei" seines Lebens. Doch mit der Entdeckung, dass sich die
Expansion beschleunigt, wurde die kosmologische Konstante als Dunkle Energie
wieder in das gegenwärtige Standardmodell der Kosmologie aufgenommen.
"Man dachte lange, dass sich eine solche Dunkle Energie gut in das Konzept
der Stringtheorie einbauen lässt", sagt Timm Wrase vom Institut für Theoretische
Physik der TU Wien. Die Stringtheorie geht davon aus, dass es zusätzliche,
bisher unbekannte Teilchensorten gibt, die sich in Form von Feldern beschreiben
lassen. Diese Felder haben einen Zustand minimaler Energie – ähnlich wie ein
Apfel, der in einer Schüssel liegt. Er wird immer ganz unten, am tiefsten Punkt
der Schüssel liegen. Überall sonst wäre seine Energie höher, man muss Energie
aufwenden, um ihn vom tiefsten Punkt zu entfernen.
Das heißt aber nicht, dass der Apfel am tiefsten Punkt gar keine Energie hat:
Man kann die Schüssel mit dem Apfel auf den Boden stellen, oder oben auf den
Tisch – dort hat der Apfel zwar mehr Energie, kann sich aber trotzdem nicht
bewegen, weil er sich in seiner Schüssel immer noch lokal im Zustand minimaler
Energie befindet. "So ähnlich lassen sich in der Stringtheorie auch Felder
beschreiben, mit denen sich die dunkle Energie erklären ließe – sie befinden
sich in einem lokalen Energie-Minimum, aber die Energie hat trotzdem einen Wert,
der größer als null ist", erklärt Wrase. "So würden diese Felder die sogenannte
Dunkle Energie liefern, mit der man die beschleunigte Expansion des Universums
erklären kann."
Doch Cumrun Vafa von der Harvard University, einer der
renommiertesten Stringtheoretiker der Welt, veröffentlichte am 25. Juni einen
Artikel mit großer Sprengkraft: Er stellte darin die Vermutung auf, dass solche
"schüsselförmigen" Felder mit positiver Energie in der Stringtheorie gar nicht
möglich sind. Wrase erkannte rasch die Tragweite dieser Behauptung: "Wenn das
stimmt, kann es die beschleunigte Expansion, wie wir sie uns bisher vorgestellt
haben nicht geben", sagt er. "Es müsste dann ein Feld mit ganz anderen
Eigenschaften geben, vergleichbar mit einer leicht abschüssigen Ebene, auf der
eine Kugel nach unten rollt und dabei potenzielle Energie verliert."
Dann würde sich der Betrag der Dunklen Energie im Lauf der Zeit ändern und
die beschleunigte Expansion des Universums käme möglicherweise eines Tages zum
Stillstand. Die Gravitation könnte dann die gesamte Materie wieder
zusammenziehen und an einem Punkt versammeln, ähnlich wie zum Zeitpunkt des
Urknalls. Doch Wrase, der sich schon in seiner Doktorarbeit mit ähnlichen Fragen
beschäftigt hatte, stellte fest, dass dieser Einwand auch nicht der Weisheit
letzter Schluss sein kann. "Die Vermutung von Cumrun Vafa, die bestimmte Arten
von Feldern verbietet, würde nämlich auch Dinge verbieten, von denen wir wissen,
dass es sie gibt", erklärt er.
Wrase konnte zeigen, dass auch das Higgs-Feld Eigenschaften hat, die durch
Vafas Vermutung eigentlich verboten sein sollten – und das Higgs-Feld gilt als
experimentell gesicherte Tatsache, für seinen Nachweis wurde 2013 der
Physik-Nobelpreis vergeben. Wrase stellte seine Ergebnisse auf einer
Online-Plattform zur Verfügung, seither wird in der Stringtheorie-Community
heftig darüber diskutiert.
Nun wurde die Arbeit geprüft und im renommierten Journal Physical Review
publiziert. "Diese Kontroverse ist eine gute Sache für die Stringtheorie", ist
Wrase überzeugt. "Plötzlich haben viele Leute ganz neue Ideen, über die bisher
einfach noch niemand nachgedacht hatte."
Wrase untersucht nun mit seinem Team, welche Felder die Stringtheorie zulässt
und an welchen Punkten sie gegen Vafas Vermutung verstoßen. "Vielleicht führt
uns das zu spannenden neuen Erkenntnissen über die Natur der Dunklen Energie –
das wäre ein großer Erfolg", hofft Wrase. Die Hypothesen, die dabei entstehen
werden sich -zumindest teilweise - schon bald experimentell überprüfen
lassen: Die beschleunigte Expansion des Universums wird in den nächsten Jahren
nämlich genauer untersucht als je zuvor.
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