Die Heimat von `Oumuamua
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
25. September 2018
Mithilfe aktueller Daten des europäischen
Astrometriesatelliten Gaia haben Astronomen nach dem Heimatstern des
interstellaren Objekts `Oumuamua gesucht, das im Herbst des vergangenen Jahres
entdeckt worden war und gegenwärtig wieder auf dem Weg aus unserem Sonnensystem
ist. Sie identifizierten vier plausible Kandidaten.

Künstlerische Darstellung des
interstellaren Objekts ‘Oumuamua . Das Objekt
sieht entweder so langgestreckt aus wie in
diesem Bild oder aber ist eine Art flacher
Pfannkuchen.
Bild: ESO / M. Kornmesser [Großansicht] |
Ein Team von Astronomen unter der Leitung von Coryn Bailer-Jones vom
Max-Planck-Institut für Astronomie hat die Bahn des interstellaren Objekts `Oumuamua
zu mehreren möglichen Heimatsternen zurückverfolgt. Das Objekt wurde Ende 2017
entdeckt – erstmals konnten Astronomen damals ein Himmelsobjekt aus einem
anderen Sternensystem beobachten, das unser eigenes Sonnensystem besuchte. Bailer-Jones und seine Kollegen nutzten Daten des ESA-Astrometriesatelliten
Gaia, um vier plausible Kandidaten für jenen Stern zu finden, wo die lange Reise
von ‘Oumuamua vor mehr als einer Million Jahre begann.
Die Entdeckung des interstellaren Objekts, das heute als `Oumuamua bekannt
ist, im Oktober 2017 war eine Premiere: Zum ersten Mal konnten Astronomen ein
interstellares Objekt beobachten, das unser Sonnensystem besucht. Leider wurde
der außergewöhnliche Besucher erst entdeckt, als das Objekt sich anschickte,
unsere Sonnensystem wieder zu verlassen, aber die Astronomen konnten immerhin
noch bodengebundene und Weltraumteleskope verwenden, um die Bewegung des Objekts
zu vermessen.
Jetzt ist es einer Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Coryn Bailer-Jones
vom Max-Planck-Institut für Astronomie gelungen, die Bahn von `Oumuamua über
Millionen Jahre zurückzuverfolgen und vier Kandidaten für das Ursprungs-System
des Objekts zu identifizieren. Frühere Studien hatten sich an ähnlichen
Rekonstruktionen der Herkunft von `Oumuamua versucht, aber keine plausiblen
Kandidaten gefunden.
Den früheren Studien fehlte insbesondere eine entscheidende Information: Im
Juni 2018 hatte eine Gruppe unter der Leitung des ESA-Astronomen Marco Micheli
gezeigt, dass die Umlaufbahn von `Oumuamua im Sonnensystem nicht die eines
Objekts im freien Fall ist, also eines Objekts, das sich ausschließlich unter
dem Einfluss der Schwerkraft bewegt. Stattdessen trat eine zusätzliche
Beschleunigung auf, während sich das Objekt in der Nähe der Sonne befand.
`Oumuamua dürfte in entscheidender Hinsicht einem Kometen ähneln: das Objekt
besteht zum Teil aus Eis, das bei ausreichender Erwärmung durch Sonnenlicht Gas
produziert. Das ausströmende Gas wiederum erteilt `Oumuamua eine kleine
Beschleunigung, ähnlich wie ein (sehr schwacher) Raketenantrieb. Erst wenn man
diesen Effekt angemessen berücksichtigt, kann man die Bahn des Objekts
zuverlässig zurückverfolgen. Als ersten Schritt kann man dann rekonstruieren,
aus welcher Richtung und mit welcher Geschwindigkeit das Objekt überhaupt in
unser Sonnensystem eingetreten ist. Solch eine realistische Rekonstruktion ist
Ausgangspunkt der neuen Studie von Bailer-Jones und seinen Kollegen.
Um die Bahn von `Oumuamua zurückzuverfolgen, sind noch weitere Informationen
nötig: Was ist mit den Sternen, denen es auf dem Weg begegnet ist, und ihrer
kombinierten Schwerkraft, die die Flugbahn des Objekts beeinflusst haben wird?
Für diesen Teil ihrer Rekonstruktion nutzte Bailer-Jones die Daten, welche die
ESA-Mission Gaia im April dieses Jahres veröffentlicht hatte. Mit
diesen Daten ist Bailer-Jones sehr vertraut: Er leitet eine jener Gruppen, die
sich um die Aufbereitung der Gaia-Daten für die wissenschaftliche
Gemeinschaft kümmern.
Der Datensatz Gaia Data Release 2 (DR2) enthält präzise Informationen über
Positionen, Bewegungen am Himmel und Entfernungen für 1,3 Milliarden Sterne. Für
sieben Millionen der Sterne stellt DR2 zusätzlich Informationen über die
Radialgeschwindigkeit des Sterns zur Verfügung, also über denjenigen Anteil
seiner Bewegung, die den Stern direkt auf uns zu beziehungsweise von uns weg
führt. Mithilfe der astronomischen Datenbank Simbad nahmen die Astronomen noch
weitere 220.000 Sterne in ihre Studie auf, deren Radialgeschwindigkeit in jener
Datenbank enthalten ist.
Als Nächstes betrachteten die Astronomen ein vereinfachtes Szenario, das
davon ausgeht, dass sich sowohl `Oumuamua als auch alle Sterne in den letzten
Millionen Jahren entlang gerader Linien und mit konstanter Geschwindigkeit
bewegt haben. Aus diesem Szenario wählten sie rund 4500 Sterne aus, die
vielversprechende Kandidaten für eine engere Begegnung mit `Oumuamua waren. Für
diese Sterne wurde dann eine genauere Rechnung durchgeführt und zurückverfolgt,
wie sich `Oumuamua und die betreffenden Sterne im Gravitationspotenzial unserer
Milchstraßengalaxie bewegt haben.
Verschiedene Studien hatten bereits gezeigt, dass `Oumuamua vermutlich
während der Phase der Planetenentstehung aus dem System seines Heimatsterns
ausgestoßen wurde. Zu jener Zeit gab es zahlreiche, den Stern umkreisende kleine
Objekte, sogenannte Planetesimale, von denen eines durch die Schwerkraft eines
der Riesenplanten des Systems herausgeschleudert worden sein dürfte, um
anschließend solo durch das Weltall zu treiben.
Der Heimatstern des Objekts sollte sich anhand von zwei Eigenschaften
identifizieren lassen. Zum einen sollte uns die Rückverfolgung der Umlaufbahn
von `Oumuamua direkt zurück zum Heimatstern führen, oder zumindest sehr nahe an
ihm vorbei. Darüber hinaus sollte die Relativgeschwindigkeit von `Oumuamua und
seinem Heimatstern zu diesem Zeitpunkt vergleichsweise gering sein; Objekte
werden typischerweise nicht mit hoher Geschwindigkeit aus einem Planetensystem
herauskatapultiert.
Bailer-Jones und seine Kollegen fanden vier Sterne, welche diese Kriterien
näherungsweise erfüllen. Bei allen vieren handelt es sich um Zwergsterne.
Derjenige, der Oumuamua vor etwas mehr als einer Million Jahren am nächsten kam,
ist der rötliche Zwergstern HIP 3757. `Oumuamuas Bahn verläuft innerhalb von
knapp 2 Lichtjahren an diesem Stern vorbei – angesichts der Unsicherheiten der
Bahnbestimmung durchaus damit vereinbar, dass Oumuamua aus dem betreffenden
Planetensystem stammt (falls jener Stern denn eines besitzt). Die
vergleichsweise große Relativgeschwindigkeit (rund 25 km/s) macht es jedoch
unwahrscheinlich, dass dies die Heimat von Oumuamua ist.
An dem nächsten Kandidaten, HD 292249, einem der Sonne ähnlichen Stern, wäre
`Oumuamua vor 3,8 Millionen Jahren etwas weniger dicht vorbeigeflogen,
allerdings mit geringerer Relativgeschwindigkeit (10 km/s). Die beiden weiteren
Kandidaten liegen dort, wo sich `Oumuamua der Bahnrekonstruktion nach vor 1,1
bzw. 6,3 Millionen Jahren befunden hätte – mit ähnlichen
Relativgeschwindigkeiten und Minimal-Distanzen. Diese letzten beiden Sterne
finden sich zwar in einigen Durchmusterungen, aber es ist bislang wenig über sie
bekannt.
Damit sind vier plausible Kandidaten gefunden. Der endgültige Nachweis, wo `Oumuamua
herkommt, steht aber noch aus. Um `Oumuamua mit der beobachteten Geschwindigkeit
auszustoßen, müsste das betreffende Planetensystem einen Riesenplaneten
enthalten, der `Oumuamua in die Tiefen des Weltraums schleudern konnte.
Allerdings sind die betreffenden Sterne noch nicht hinreichend erforscht, als
das man wüsste, welche Planeten sie umkreisen.
Das könnte sich in Zukunft durchaus ändern. Die Studie ist auch durch die
Anzahl von Sternen mit Radialgeschwindigkeiten in der Gaia-Datenveröffentlichung
2 begrenzt. Gaias dritte Datenveröffentlichung DR3, die für 2021
geplant ist, soll Radialgeschwindigkeiten für zehn Mal mehr Sterne enthalten.
Das könnte zur Identifizierung weiterer Kandidaten führen. Die Suche nach
Oumuamuas Zuhause wird daher noch weitergehen. Ganz bis nach Hause haben die
Astronomen unseren interstellaren Besucher noch nicht verfolgen können.
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel, der
in der Zeitschrift Astrophysical Journal erscheinen wird.
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