Radio-Blick ins All mit zehn Teleskopen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
20. September 2018
Die erste Bauphase des Radioteleskopverbunds NOEMA wurde
jetzt offiziell abgeschlossen. Damit ist ein entscheidender Schritt zum Ausbau
des NOEMA-Observatoriums in den französischen Alpen zum leistungsstärksten und
empfindlichsten Millimeter-Radioteleskop der nördlichen Hemisphäre getan. Erste
Ergebnisse gibt es auch schon.

Das NOEMA-Observatorium in den französischen
Hochalpen.
Foto: DiVertiCimes/IRAM [Großansicht] |
Mit einem offiziellen Festakt wurde am Mittwoch, dem 19. September, der
erfolgreiche Abschluss der ersten Phase des NOEMA-Projektes begangen. Die
Max-Planck-Gesellschaft und ihr Partnerinstitut IRAM feiern damit den ersten
entscheidenden Schritt hin zu einem der größten deutsch-französisch-spanischen
Vorhaben in der Astronomie: dem Ausbau des NOEMA-Observatoriums in den
französischen Alpen zum leistungsstärksten und empfindlichsten
Millimeter-Radioteleskop der nördlichen Hemisphäre. Vier Jahre nach der
Einweihung der ersten NOEMA-Antenne, zählt das Observatorium aktuell zehn
15-Meter große Parabolantennen und kann erste zukunftsweisende wissenschaftliche
Ergebnisse vorweisen.
NOEMA (NOrthern Extended Millimeter Array) gehört zu einer ganz neuen
Generation von Radioteleskopen: Ein Verbund von Teleskopen bestehend aus
mehreren, auf Schienen beweglichen Einzelantennen, ausgestattet mit hochmodernen
Empfängersystemen, die zusammen geschaltet agieren wie ein einziges
Riesenteleskop. Mit einer bis noch vor ein paar Jahren unerreichbaren Präzision
und räumlichen Auflösung ermöglicht NOEMA die Erforschung des kalten Universums
bei Temperaturen von nur einigen Grad über dem absoluten Nullpunkt von -273,15
Grad Celsius.
Dabei spürt es Objekte auf, die sich – weil von kosmischem Staub und
interstellaren Wolken umgeben – mit optischen Instrumenten nicht beobachten
lassen. Eine der wichtigsten Missionen des NOEMA-Projektes ist die Erforschung
von interstellaren Gaswolken und Sterngeburten in unserer eigenen Galaxie und in
Galaxien, die in ihrem Zustand kurz nach dem Urknall beobachtet werden.
Dabei hoffen Wissenschaftler Antworten auf die fundamentalen Fragen der
modernen Astronomie zu finden: Wie ist die erste Generation von Sternen direkt
nach dem Urknall entstanden? Wie haben sich die ersten großen Strukturen im
Universum entwickelt, um schließlich Galaxien zu formen wie unsere Milchstraße?
Wie genau funktioniert der kosmische Zyklus der interstellaren Materie, die von
Sternen am Ende ihrer Existenz ins All geschleudert wird und aus der wiederum
neue Sterne entstehen? Wie formen sich Planeten und Planetensysteme und wie
werden neu entstandene Planeten mit komplexen, pre-biotischen Molekülen
angereichert, die für die Entstehung von Leben maßgeblich sein könnten?
Insgesamt zwölf Antennen sollen zukünftig im Dienste der Wissenschaftler den
Himmel abtasten, zehn davon stehen mittlerweile schon auf dem Plateau de Bure in
den französischen Alpen. Der wissenschaftliche Betrieb läuft parallel zum Ausbau
des Observatoriums und so kann NOEMA bereits mit ersten Forschungsergebnissen
aufwarten: Neben der Entdeckung eines besonders spektakulären, weil aktiven und
mit pre-biotischen Molekülen übersäten Sternentstehungsgebietes in unserer
näheren kosmischen Nachbarschaft, hat NOEMA die Wissenschaft kürzlich auch mit
einem bisher unerreicht detailgetreuen Bild der Staubwolkenverteilung in der
großflächigen Spiralgalaxie IC 342 im Sternbild Giraffe beeindruckt.
NOEMA wird außerdem ein wichtiger Teil eines noch größeren, globalen
Teleskopverbundes werden. Als leistungsstärkstes Radioteleskop der nördlichen
Hemisphäre wird NOEMA im weltweiten Teleskopverbund Event Horizon Telescope
eine Schlüsselrolle bei der Erforschung ultramassereicher Schwarzer Löcher
spielen. Das Projekt, das mehrere Radioteleskope auf vier Kontinenten zu einem
virtuellen, weltumspannenden Riesenteleskop verbindet, zielt auch darauf ab, das
allererste Bild vom Schwarzen Loch im Zentrum unserer Galaxie zu erhaschen.
IRAM-Direktor Karl-Friedrich Schuster gibt sich erfreut: "IRAM und seine
Partner haben mit NOEMA bahnbrechende und wegweisende technologische
Entwicklungen angestoßen, die in den nächsten Jahren ganz neue Arten von
Beobachtungsprogrammen ermöglichen werden". Entscheidend für diese Erfolge und
den erfolgreichen Abschluss der ersten Phase des Projektes ist auch die
Ausstattung aller zehn Antennen mit komplett neuartigen, Empfängersystemen, die
an der Grenze der höchstmöglichen Empfindlichkeit arbeiten und gleichzeitig
einen wesentlich breiteren Bereich an Wellenlängen analysieren.
Bei Beobachtungen agieren die zehn NOEMA-Antennen wie ein einziges Teleskop,
eine Technik, die sich Interferometrie nennt. Die räumliche Auflösung eines
solchen Teleskopverbunds entspricht der eines Einzelteleskops mit einem
Durchmesser gleich dem maximalen Abstand zwischen den Antennen. Bei NOEMA
entspricht das aktuell einem Teleskop von bis zu 760 Metern Durchmesser und
einer räumlichen Auflösung von weniger als einer Bogensekunde. Anders gesagt,
könnten die NOEMA-Antennen ein Smartphone in mehr als 500 Kilometern Entfernung
ausmachen.
Um mit so vielen Antennen gleichzeitig beobachten zu können, war es ebenfalls
nötig, einen Superrechner, von den Wissenschaftlern Korrelator genannt, zu
entwickeln, der bei einer Rechenleistung von 20.000.000.000.000.000 Operationen
pro Sekunde eine Vielzahl von simultan eingehenden Signalen analysiert. Sieben
Jahre lang haben IRAM-Ingenieure an der Fertigstellung dieses innovativen
Korrelators gearbeitet, ein mit elektronischer Spitzentechnologie ausgestattetes
Rechenwunder, etwa fünf Millionen mal schneller als herkömmliche Computer.
"Mit NOEMA sind wir schon jetzt Teil einer neuen Ära der Radioastronomie",
sagt Roberto Neri, IRAM-Forscher und wissenschaftlicher Leiter des Projektes.
"Zusammen mit den fortschreitenden technologischen Entwicklungen eröffnet uns
dieses Teleskop vollkommen neue Möglichkeiten, die faszinierendsten Fragen
moderner Astronomie zu erforschen."
Auch die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR)
sind begeistert. Der erweiterte Empfangsbereich wird weltweit einzigartige,
hochauflösende Beobachtungen von Molekülen mit schwerem Wasserstoff ermöglichen,
mit denen Wolken in den frühesten, kältesten Phasen der Sternentstehung
untersucht werden können. Bei der Suche nach den ersten Galaxien im Universum
bedeutet NOEMA einen großen Schritt nach vorne, da zum Beispiel die Bestimmung
von Rotverschiebungen ferner Galaxien bedeutend schneller erfolgen kann als je
zuvor.
Phase zwei des Projektes erstreckt sich bis 2021 und sieht neben den Antennen
11 und 12 auch die Verlängerung des Schienensystems vor, auf dem die Antennen
zukünftig mit einem Abstand von bis zu 1,7 Kilometern voneinander entfernt
positioniert werden können. NOEMA wird so den Himmel zehnmal empfindlicher
vermessen können als das bisher möglich war.
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