Junge Lavaströme an Venusvulkan?
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
19. Oktober 2016
Durch die Kombination von Daten der europäischen Venussonde
Venus Express und der amerikanischen Sonde Magellan ist es
Wissenschaftlern gelungen, Regionen auf der Oberfläche unseres Nachbarplaneten
zu identifizieren, bei denen es sich vermutlich um noch relativ junge Lavaströme
handelt. Sie befinden sich am Hang des Vulkans Idunn Mons.

Der Venusvulkan Idunn Mons. In diesem Bild
wurden auf die topographische Darstellung von
Idunn Mons die Werte der mit dem
Venus-Express-Experiment VIRTIS gemessenen
Abweichungen der Wärmeabstrahlung vom bestehenden
Modell projiziert. In rot die Gebiete, die von
Lavaströmen herrühren könnten, die sich in
geologisch junger Vergangenheit über die
Ostflanke des Vulkans ergossen haben. Bild:
NASA / JPL-Caltech / ESA [Großansicht] |
Die europäische Orbitermission Venus Express lieferte über acht Jahre -
zwischen 2006 und 2014 - eine enorme Fülle an Messdaten und Aufnahmen von der
Atmosphäre und Oberfläche des Schwesterplaneten der Erde. Anhand von
spektroskopischen Messungen in Wellenlängen des nahen Infrarot haben
Wissenschaftler im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) an den
Flanken von Idunn Mons, einem Vulkan auf der Südhalbkugel der Venus mit 200
Kilometern Basisdurchmesser, Anomalien in den Messungen identifiziert, die auf
Spuren von jungem Vulkanismus auf der Venus hindeuten.
"Es ist uns gelungen, einzelne Lavaströme zu identifizieren und ihre Ausdehnung
zu kartieren, die an der Caldera am Gipfel des Vulkans ihren Ausgang nehmen und
sich über die Ostflanke erstrecken" sagt Piero d’Incecco vom DLR-Institut für
Planetenforschung, der seine Forschungsergebnisse auf der gemeinsamen Konferenz
der Division for Planetary Sciences der American Astronomical
Society und des European Planetary Science Congress im
kalifornischen Pasadena vorstellte. "Die Daten deuten stark darauf hin, dass der
Vulkan in geologisch jüngerer Zeit aktiv war".
D’Incecco und seine Kollegen wendeten dabei einen technischen Kniff an: "Wir
kombinierten die Infrarotmessungen von Venus Express mit den räumlich
viel höher aufgelösten topographischen Radardaten der NASA-Mission Magellan,
die den Planeten zwischen 1990 und 1992 aus einer Umlaufbahn kartierte. Durch
die Kombination der Datensätze zweier unterschiedlicher Missionen ist es zum
ersten Mal die Kartierung einer noch vor kurzem aktiven vulkanischen Struktur
auf einem anderen Himmelskörper als der Erde gelungen", so der Wissenschaftler.
Dabei gestatte der Orbit von Venus Express es, insbesondere die
Südhalbkugel der Venus in Wellenlängen des nahen Infrarot gut zu beobachten:
Dazu wurde das Experiment VIRTIS (Visible and InfraRed Thermal Imaging
Spectrometer) eingesetzt, das in bestimmten Wellenlängen die von der
Venusoberfläche abgegebene und durch die Venusatmosphäre dringende
Wärmestrahlung aufzeichnete.
Allerdings begrenzt die den ganzen Planeten permanent einhüllende Wolkendecke
die räumliche Auflösung der VIRTIS-Beobachtungen, ähnlich einer Fotografie im
Nebel. Mit einer numerischen Modellierung der Daten konnte nun die Auflösung
dieser Messungen erhöht werden. Die DLR-Planetenforscher analysierten die
Aufzeichnungen der Spitze und der Ostflanke des Vulkans Idunn Mons und stießen
auf ungewöhnlich hohe Temperaturwerte für die Oberfläche. Die erhöhten
Temperaturen deuten darauf hin, dass dieser Vulkan in geologisch relativ junger
Vergangenheit aktiv gewesen sein könnte.
Die Lavadecke auf dem Gipfelplateau des Idunn Mons hat dabei einen Durchmesser
von stellenweise mehr als 100 Kilometern, auch die Lavaströme an den Flanken von
Idunn Mons sind zwischen 50 und 150 Kilometer lang, was auf eine dünnflüssige
Lava basaltischer Zusammensetzung hindeutet. Basalte sind vulkanische Gesteine
reich an Eisen und Magnesium und die häufigsten im Sonnensystem vorkommende
Vulkanite: So bestehen die dunklen Gebiete auf dem Mond aus Basalt, oder auch
die Ozeanböden der Erde, die Hawaii-Vulkane, der Ätna oder die Eifel.
Hauptaufgabe der Venus Express-Mission war die Untersuchung der Dynamik
und Zusammensetzung der Venusatmosphäre, aber auch der Oberfläche des Planeten.
Die Venus ist nur geringfügig kleiner als die Erde, ihre Entwicklung hat aber
eine ganz andere Richtung genommen: Der Planet ist permanent von einer dichten
Wolkenhülle umgeben, die Atmosphäre hat etwa 90-mal so viel Masse wie die Erde
und besteht hauptsächlich aus Kohlendioxid, das für einen enormen
Treibhauseffekt mit Temperaturen an der Oberfläche von 440 bis zu fast 500 Grad
Celsius sorgt. Der Gasdruck beträgt dort über 90 bar, was dem Druck in 900 Meter
Meerestiefe entspricht.
Bisher sind die Wissenschaftler davon ausgegangen, dass die Venus zwar vor etwa
500 bis 600 Millionen Jahren global von Vulkanausbrüchen verändert wurde, es
aber in der jüngeren geologischen Vergangenheit eher keinen aktiven Vulkanismus
gab. Weder Magellan noch Venus Express zeigten zunächst
Anzeichen hierfür.
VIRTIS war eines von sieben Experimenten an Bord von Venus Express. Mit dem in
Italien, Frankreich und im DLR entwickelten Instrument wurden die untere
Atmosphäre der Venus und die Temperaturen auf der Oberfläche in Wellenlängen der
UV-Strahlung, des sichtbaren Lichts und des nahen Infrarots untersucht.
Die Ostflanke des Vulkans Idunn Mons fiel bereits im Jahre 2010 in VIRTIS-Daten
durch eine ungewöhnliche hohe thermale Abstrahlung bei einer Wellenlänge von
einem Mikrometer auf. Aus diesem Grund unterzogen die DLR-Planetenforscher
diesem einzigen, markanten Vulkan in der Region Imdr einer genaueren
Untersuchung und wendeten erstmals die Kombination der Venus Express-
und Magellan-Datensätze an. Dabei entdeckten sie am Gipfel und an der
Ostflanke von Idunn Mons erneut Abweichungen der thermalen Abstrahlung – nun
aber in höherer Auflösung.
Hierbei wurde eine neue Auswertemethode eingesetzt, die in der DLR-Gruppe für
Planetenspektroskopische Labore entwickelt wurde. Ziel der Studie war es, die
Position und die Ausdehnung der Anomalien genauer eingrenzen zu können. Dies ist
mit der Identifikation der jüngsten Lavaströme an Idunn Mons auf Anhieb
gelungen.
Dabei wurden alle Lavaströme in ihrer Ausdehnung auf Basis der Radardaten
kartiert. Dann wurden verschiedene Varianten für Intensität der Wärmeabstrahlung
(Emissivität) bei einer Wellenlänge von einem Mikrometer für jeden einzelnen
Lavastrom auf die kartierten Lava-Einheiten projiziert. Jede simulierte Szene
wurde mit den Daten verglichen, die mit VIRTIS gemessen wurden. Für jede
Simulation wurde die absolute Abweichung von den gemessenen Werten auf der Basis
eines Quadratwurzel-Fehlers berechnet. Aus der Konfiguration, in der diese
beiden Datensätze am besten zueinander passten, kann dann auf die Emissivität
jedes einzelnen Lavastroms bei einer Wellenlänge von einem Mikrometer
geschlossen werden.
Die Lavaströme an der Idunn Mons-Ostflanke sind danach mit hoher
Wahrscheinlichkeit Quelle der hohen Abstrahlungswerte in den VIRTIS Daten. Hohe
Emissivitätswerte sind ein Anzeichen für geringe Verwitterung und damit auch
geringes Alter der Lavaströme. Die Stratigraphie der Region und die daraus
abgeleitete zeitliche Reihenfolge der Vulkanausbrüche bestätigt dieses Ergebnis
unabhängig von der Modellierung. Die Werte der durchschnittlichen Mikrowellen-Emissivität
entsprechen dem globalen Durchschnitt auf der Venusoberfläche. Sie stimmen mit
den Labormesswerten für trockene Basalte überein.
Die Studie der DLR-Planetenforscher wird zukünftige Projekte bei der Erforschung
der Venus positiv beeinflussen, wie zum Beispiel die vorgeschlagene
Discovery-Mission VERITAS der NASA oder der Vorschlag für eine Mission der
europäischen Weltraumagentur ESA mit Namen EnVision. Die Kombination
von hochaufgelösten Radardaten mit der flächenhaften Kartierung der
Zusammensetzung der Venus-Oberfläche im nahen Infrarot dürfte bedeutende
wissenschaftliche Fortschritte bei der Erforschung der Geologie der Venus
ermöglichen.
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