Sich auflösende Scheibe statt Planet?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Ludwig-Maximilians-Universität München astronews.com
16. September 2016
Entsteht um den jungen Stern TW Hydrae in nur 176
Lichtjahren Entfernung gerade ein erdähnlicher Planet? Darauf deuteten
Beobachtungen mit dem Radioteleskopverbund ALMA hin. Nun haben Theoretiker die
Daten mit Simulationen verglichen und kommen zu einem anderen Schluss: Die
Scheibe um TW Hydrae könnte sich gerade auflösen.
Das ALMA-Bild der Staubscheibe um den jungen
Stern TW Hydrae.
Bild: S. Andrews (Harvard-Smithsonian CfA);
B. Saxton (NRAO/AUI/NSF); ALMA (ESO/NAOJ/NRAO) [Großansicht] |
Als die Bilder Ende März dieses Jahres um die Welt gingen, versetzten sie die
Fachwelt in Aufregung. Sie zeigten eine Scheibe, fast wie eine Schallplatte, nur
leicht psychedelisch angehaucht in fettem Rot und Orange (astronews.com
berichtete). Eine solche sogenannte protoplanetare Scheibe aus Gas und Staub
rund um einen vergleichsweise jungen Stern - das ist der Ort, an dem Planeten
entstehen.
Mehr noch: In den neuen besonders detailgenauen Aufnahmen zeigen sich
ringförmige Lücken rund um den Stern, der den Namen TW Hydrae trägt. Die könnten
in der Tat junge Planeten in die Staubwolke gepflügt haben, mutmaßten Experten.
Die Innere dieser Lücken entsprach zudem einer Umlaufbahn um den Stern in einer
Entfernung, die dem Abstand zwischen unserer Erde und der Sonne entspricht – ein
Indiz dafür, dass ein Exoplanet an dieser Stelle womöglich erdähnlich sein
könnte.
Ein internationales Team um Professor Barbara Ercolano von der
Universitätssternwarte der Ludwig-Maximilians-Universität München hat die
Beobachtung nun mit der Theorie abgeglichen. Ihr Fazit: Die prominente innere
Lücke ist danach nicht durch die Flugbahn eines Planeten entstanden, sondern
durch einen Vorgang, den Fachleute Photoevaporation nennen: Die starke
Röntgenstrahlung, die der Stern aussendet, lässt die Materieteilchen der Wolke
regelrecht verdampfen und sorgt am Ende für die Auflösung der Scheibe. Für die
Wissenschaftler ist dies ähnlich faszinierend, wie die mögliche Existenz eines
Planeten an dieser Stelle: Erstmals biete sich so die Gelegenheit, den Zerfall
der protoplanetaren Scheibe im Detail zu untersuchen.
Die protoplanetare Scheibe um den Stern TW Hydrae ist seit Langem ein beliebtes
Studienobjekt: Sie ist nur 176 Lichtjahre von der Erde entfernt, der Stern ist
relativ jung. Und die Spezialteleskope von der Erde aus zeigen eine gute
Draufsicht auf die Scheibe. Die neuen spektakulären Aufnahmen stammten vom
Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA), einem Radioteleskop
der Superlative in der Wüste Nordchiles.
Die Photoevaporation ist ein zentrales Phänomen in der Planetenküche. Denn sie
leitet nicht nur den Zerfall einer protoplanetaren Scheibe ein, die Berechnungen
zufolge eine Lebensdauer von etwa zehn Millionen Jahren hat. Sie sorgt auch
dafür, dass noch junge Planeten überleben und nicht von der Muttersonne
unweigerlich angezogen und gefressen werden – was nicht selten passiert.
Die Lücken, die die Photoevaporation in die Scheibe schlägt, schaffen eine Art
Schutzraum. Ursprünglich kleinste und kleine Materieklumpen können so zu
Planeten heranwachsen und ihre Bahnen um den Stern ziehen. Ercolano allerdings
glaubt, dass die in den ALMA-Aufnahmen beobachtete innere Lücke eben nicht auf
die Entstehung eines Planeten hindeutet, sondern auf Zerfall, weil eine ganze
Reihe von Charakteristika der TW-Hydrae-Scheibe mit Ercolanos
Photoevaporationsmodell übereinstimmen, etwa der Abstand der Lücke zur
Muttersonne, die sogenannte Massen-Akkretionsrate sowie die Größen- und
Dichteverteilung der Partikel.
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in einem Artikel, der in der
Fachzeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society Letters erschienen ist.
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