Detektorbau im Mittelmeer
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Erlangen-Nürnberg astronews.com
9. Dezember 2015
Auf dem Boden des Mittelmeers, zwischen Italien und
Frankreich, hat in der letzten Woche der Bau des größten Neutrino-Detektors auf
der Nordhalbkugel begonnen. Die erste in einer Tiefe von 3.500 Metern
installierte Detektoreinheit liefert bereits Daten und zeigt damit, dass das
neuartige Messkonzept funktioniert. Hunderte weiterer Einheiten sollen nun
folgen.

Ein Block des KM3NeT-Detektors enthält 115
Strings. Der erste String wurde jetzt
installiert.
Bild: KM3NeT Collaboration [Großansicht] |
Am frühen Morgen des 3. Dezember 2015 haben Wissenschaftler und Ingenieure
aus neun europäischen Ländern mit dem Aufbau von KM3NeT begonnen, dem zukünftig
größten Neutrino-Detektor auf der nördlichen Erdhalbkugel. Das Teleskop vor den
Küsten Italiens und Frankreichs im Mittelmeer soll fundamentale Eigenschaften
der Neutrinos untersuchen und eine Himmelskarte der Herkunftsrichtungen
hochenergetischer kosmischer Neutrinos erstellen, die bei den gewaltigsten
astrophysikalischen Prozessen im Universum entstehen.
An dem Projekt beteiligt sind auch das Team um Prof. Dr. Gisela Anton und
Prof. Dr. Uli Katz vom Erlangen Center for Astroparticle Physics (ECAP) der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Sie liefern
Simulations- und Physikstudien und sind auch an der Produktion von
Sensor-Modulen beteiligt. Außerdem sind die Erlanger verantwortlich für die
Software-Entwicklung.
Neutrinos sind die flüchtigsten Elementarteilchen
und ihr Nachweis erfordert die Instrumentierung enormer Nachweisvolumen: Das
KM3NeT-Neutrinoteleskop wird mehr als einen Kubikkilometer Meereswasser
umfassen. Es besteht aus einem Netzwerk von mehreren hundert vertikalen
Detektor-Einheiten, sog. Strings. Jeder String wird am Meeresboden verankert,
durch eine Unterwasserboje an seinem oberen Ende straff gehalten und trägt 18
Lichtsensor-Module, die gleichmäßig über seine Länge von 700 Metern verteilt
sind. In der absoluten Dunkelheit der Tiefsee werden damit die schwachen
Lichtblitze nachgewiesen, die Reaktionen von Neutrinos mit den Atomkernen des
Meereswassers anzeigen.
Der erste KM3NeT-String erreichte den
italienischen KM3NeT-Standort südöstlich von Sizilien an Bord des
Installationsschiffes Ambrosius Tide. Der String – auf einem
kugelförmigen Rahmen aufgewickelt, ähnlich einem Wollknäuel – wurde in 3.500
Meter Tiefe zum Meeresboden herabgelassen und mittels eines ferngesteuerten
Tiefsee-Tauchboots an das Verbindungsmodul angeschlossen, von der das 100
Kilometer lange Hauptkabel zur Küstenstation in Portopalo di Capo Passero führt.
"Die große Meerestiefe schirmt das Teleskop nicht nur völlig gegen
Tageslicht ab, sondern auch weitgehend gegen Teilchen, die durch die kosmische
Strahlung in der Atmosphäre erzeugt werden", erklärt Marco Circella, technischer
Direktor von KM3NeT. "Der Aufbau einer solch riesigen Forschungsinfrastruktur in
mehreren Kilometern Wassertiefe ist eine enorme technische Herausforderung. So
sind zum Beispiel für die Unterwasser-Kabelverbindungen speziell angefertigte
Steckverbinder notwendig, die Glasfaserverbindungen mit Mikrometer-Genauigkeit
herstellen können. Die Besatzung der Ambrosius Tide ist spezialisiert
auf solche schwierigen Tiefsee-Einsätze."
Nach Überprüfung der
elektrischen und der Glasfaser-Verbindung zur Küstenstation wurde das Entrollen
des Strings eingeleitet. Ausgelöst durch ein akustisches Signal wurde der
Installationsrahmen vom Anker gelöst und stieg langsam zur Oberfläche auf. Dabei
rotierte er um eine horizontale Achse und gab Stück für Stück den String in
seiner ganzen Länge frei. Der String wurde dann von der Küstenstation aus
angeschaltet und lieferte die ersten Daten zur Küste.
"Es ist ein
überwältigender Erfolg, dass der erste String voll funktionsfähig ist und seit
dem Einschalten hochwertige Daten liefert", freut sich Katz, Physik- und
Software-Direktor von KM3NeT. "Innerhalb weniger Stunden konnten bereits die
ersten Teilchen von Reaktionen kosmischer Strahlung in der Atmosphäre
rekonstruiert werden. Mit großer Vorfreude erwarten wir die Daten des wachsenden
KM3NeT-Detektors."
"Ein elektro-optisches Netzwerk von Kabeln verteilt die Hochspannung von der
Küste an die Lichtsensor-Module in der Tiefsee. Die gemessenen Lichtsignale
werden in den Modulen digitalisiert und über Glasfaserverbindungen zur
Küstenstation übertragen", erklärt Rosanna Cocimano, die für die Stromversorgung
von KM3NeT verantwortlich ist.
Die erste erfolgreiche Datenentnahme aus
der Tiefsee mit der bahnbrechenden, von der KM3NeT-Kollaboration entwickelten
Technologie ist ein entscheidender Meilenstein für das Projekt und stellt den
vorläufigen Höhepunkt eines Jahrzehnts intensiver Forschung und Entwicklung in
den vielen beteiligten Forschungsinstituten dar.
"Dieser wichtige
Schritt bestätigt Design und Technologie des KM3NeT-Detektors. Die Kollaboration
wird nun mit großer Zuversicht mit der Massenproduktion von Detektor-Strings und
ihrer Installation an den KM3NeT-Standorten in Italien und vor der französischen
Mittelmeerküste bei Toulon beginnen. Ein neues Zeitalter der Neutrinoastronomie
hat angefangen", so Maarten de Jong, Sprecher und Direktor von KM3NeT.
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