Das Geheimnis der dunklen Plasmastrukturen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung astronews.com
5. Dezember 2014
Wissenschaftlern ist es gelungen, die häufig rätselhaften
fingerartigen Plasmastrukturen zu erklären, die sich in der heißen Korona
unserer Sonne beobachten lassen. Im Mittelpunkt ihrer Theorie steht dabei ein
lange bekanntes Naturphänomen, das sich sowohl im fernen Kosmos als auch in der
heimischen Teetasse findet.
Hexenkessel in der Sonnenatmosphäre: Das Bild
stammt vom AIA-Instrument des Solar Dynamics
Observatory.
Bild: NASA / SDO / MPS [Großansicht] |
In der Korona unserer Sonne läuft die Energieumwandlung auf Hochtouren. Dabei
verwandeln sich magnetische und elektrische Energie in enorme Hitze, und die
Temperaturen schnellen bis auf zehn Millionen Grad Celsius. In der Nähe von
Sonnenflecken kann es dabei zu sogenannten eruptiven Flares kommen: Gasmassen
lösen sich von der Sonnenoberfläche und werden hoch in die Korona geschleudert.
Dabei bilden sich seltsame langgestreckte Plasmastrukturen, die meist nur für
einige Minuten im oberen Teil der Flares sichtbar sind.
Seit ihrer Entdeckung vor rund 15 Jahren rätseln die Sonnenforscher, was
hinter diesen dunklen Strukturen steckt; sie bilden einen deutlichen Kontrast zu
dem hellen, im ultravioletten Licht leuchtenden Plasma, in das sie eingebettet
sind. Wegen ihrer Gestalt und der schlängelnden Bewegungen werden diese dunklen
Strukturen im Forscherjargon manchmal "Kaulquappen" genannt.
"Wir tappten bisher bei deren Deutung buchstäblich im Dunkeln, denn alle
Erklärungsversuche konnten die Beobachtungen nicht befriedigend erklären",
erläutert Davina Innes vom Göttinger Max-Planck-Institut für
Sonnensystemforschung. Zusammen mit Kollegen hat sie Flare-Fotos des Solar
Dynamics Observatory (SDO) der US-Raumfahrtbehörde NASA und der ebenfalls
amerikanischen Mission Solar TErrestrial RElations Observatory (STEREO)
ausgewertet.
Beide Sonden ermöglichen die Beobachtung der Sonne in mehreren Wellenlängen
des ultravioletten Lichtes. Die hochauflösenden Bilder stammen von Flare-Ausbrüchen
in den Jahren 2011 und 2012 und bilden noch kleine Details mit weniger als 800
Kilometern Größe ab. Insbesondere die SDO-Bilder zeigen das solare Geschehen
mehrmals pro Minute. Sie sind also gut geeignet, die meist kurzlebigen,
rätselhaften koronalen "Kaulquappen" zu untersuchen. "Es zeigte sich, dass diese
Strukturen Instabilitäten sind, die beim Aufeinandertreffen verschieden dichter
Plasmen entstehen", sagt Innes.
In der zweiten Studie, die Max-Planck-Forscherin Lijia Guo leitete, wurden
mit Computermodellen dieselben Prozesse simuliert. Diese dreidimensionalen
MHD-Rechnungen - MHD steht für Magnetohydrodynamik - folgen einer Theorie, mit
der Physiker elektrisch geladene Flüssigkeiten beschreiben; näherungsweise lässt
sich auch das Sonnenplasma damit berechnen.
Die Ergebnisse der aufwendigen Rechnungen zeigen eine markante
Übereinstimmung mit den Beobachtungen. Überraschend ist, dass die Strukturen,
die den Sonnenphysikern jahrelang Kopfzerbrechen bereiteten, auf Basis der
aktuellen Modellrechnungen mit einer alten Bekannten erklärt werden: "Wir
konnten belegen, dass die Prozesse auf die Rayleigh-Taylor-Instabilität
zurückgehen, einem fundamentalen Prozess der Strömungsphysik", erklärt Guo.
Diese Instabilität tritt etwa zwischen zwei unterschiedlich dichten
Flüssigkeiten auf, wenn diese gegeneinander beschleunigt werden. Sogar in einer
Teetasse, in die etwas Milch gegeben wird, kann es zu der Instabilität kommen.
Denn die im Vergleich zum Tee schwerere Milch ist der irdischen
Schwerebeschleunigung unterworfen. Die kurz sichtbaren, pilzförmigen
Ausstülpungen an der Tee-Milch-Grenzfläche sind ein typisches Zeichen für die
Instabilität. Diese tritt auch in strömenden Gasen auf. "In der Hülle
explodierender Sterne zeigt sich die Rayleigh-Taylor-Instabilität ebenfalls. Die
fingerartigen Strukturen in den Gasmassen des Krebsnebels, der bei einer
Supernova-Explosion entstand, lassen sich so erklären", weiß Guo.
Die beiden Studien der Max-Planck-Forscherinnen führen nun auch zu einem
vertieften Verständnis der Vorgänge in der Korona. Neben der
Rayleigh-Taylor-Instabilität geht es um einen energiereichen Prozess, bei dem
das Magnetfeld in eine andere Konfiguration schnellt, die Rekonnexion. Ähnlich
wie bei einem zu stark verdrillten Gummiband, das reißt, entlädt sich während
der Flares schlagartig die im Magnetfeld gespeicherte Energie. Die Rolle des
Gummibandes spielen in der Korona die magnetischen Feldlinien. Beim abrupten
Umgruppieren der Feldlinien entsteht ein Strahl aus dünnem Plasma: ein Jet.
Dieser wird vom Ort der Rekonnexion zur Sonnenoberfläche hin beschleunigt.
Weiter unten stößt der Jet auf dichteres Plasma. Am Kopf des Jets treffen
also dichtes und dünnes Plasma aufeinander - die Rayleigh-Taylor-Instabilität
nimmt ihren Lauf. "Unsere Beobachtungen ergeben zum ersten Mal klare Belege für
solche Rekonnexions-Jets, über die bisher nur theoretisiert wurde", freut sich
Innes. Die Resultate der beiden Forscherinnen dürften auch außerhalb der Gruppe
der Sonnenphysiker auf Interesse stoßen: "Rekonnexion,
Rayleigh-Taylor-Instabilität, Jets - mit unseren Studien sind wir auf einige
Phänomene gestoßen, von denen auch andere Felder der Physik profitieren können",
so Guo.
Die Ergebnisse sind in zwei Fachartikeln veröffentlicht, die in den
Zeitschriften The Astrophysical Journal und The Astrophysical
Journal Letters erschienen sind.
|