Verzweigte Moleküle im interstellaren Raum
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
26. September 2014
Zum ersten Mal ist es gelungen, ein kohlenstoffhaltiges
Molekül mit einer verzweigten Struktur im interstellaren Raum nachzuweisen.
Astronomen entdeckten das Molekül in einer Sternentstehungsregion in
unmittelbarer Nähe des Zentrums unserer Milchstraße. Den Fund werten sie als Indiz
dafür, dass sich auch Aminosäuren im interstellaren Medium finden lassen
sollten.

Staub und
Moleküle in der Zentralregion unserer
Milchstraße. Hier entdeckte ALMA ein Molekül mit
einem verzweigten Kohlenstoffgerüst.
Bild: MPIfR/A.
Weiß (Hintergrundbild), Universität zu Köln/M.
Koerber (Molekülmodelle), MPIfR/A. Belloche
(Montage) [Großansicht] |
Im Weltraum wurden bereits eine ganze Reihe von unterschiedlichen Molekülen
entdeckt. Dabei treten wasserstoffreiche und kohlenstoffhaltige (organische)
Moleküle, wie sie für die Existenz von Leben auf der Erde unverzichtbar sind,
bevorzugt in Gaswolken auf, in denen neue Sterne entstehen. "Es ist sehr wichtig
für uns, zu verstehen, wie organische Moleküle sich bereits in frühen Phasen der
Sternentstehung in diesen Gaswolken bilden", sagt Arnaud Belloche vom
Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR). "Damit sind wir in der Lage,
die einzelnen Phasen von der Entstehung von einfachen Molekülen zu
möglicherweise Leben tragender Chemie zusammenzufügen."
Die Suche nach Molekülen im interstellaren Raum hat bereits in den 1960er
Jahren begonnen und bisher wurden rund 180 unterschiedliche Moleküle gefunden.
Jedes Molekül sendet Strahlung bei ganz bestimmten unterschiedlichen
Wellenlängen und hat damit ein jeweils charakteristisches Muster oder Spektrum.
Dieses Spektrum stellt somit eine Art Fingerabdruck dar, über den das Molekül
durch Beobachtungen mit Radioteleskopen im Weltall identifiziert werden kann.
Bis jetzt hatten alle organischen Moleküle, die in Sternentstehungsregionen
entdeckt werden konnten, etwas gemeinsam: sie setzen sich jeweils aus einem
"Rückgrat" von Kohlenstoffatomen zusammen, die entlang einer mehr oder weniger
geraden Kette angeordnet sind. Das neu gefundene Molekül iso-Propylcyanid ist
insofern einzigartig, als das die Anordnung seiner Kohlenstoffatome eine
Verzweigung mit einem zusätzlichen Ast aufweist.
"Es ist das erste Mal überhaupt, dass solch ein Molekül mit verzweigtem
Rückgrat aus Kohlenstoff im interstellaren Raum gefunden werden konnte", sagt
Holger Müller, ein Spektroskopiker an der Universität zu Köln, der den
spektralen Fingerabdruck des Moleküls im Labor vermessen hat, mit dessen Hilfe
es dann auch im Weltraum nachgewiesen werden konnte.
Nicht nur die neuartige Struktur des Moleküls kommt überraschend. Es tritt
auch beinahe halb so häufig auf wie sein unverzweigtes Schwestermolekül, normal-Propylcyanid
(n-C3H7CN), das von diesem Forschungsteam bereits einige
Jahre vorher mit dem 30-Meter-Radioteleskop des Institut de Radioastronomie
Millimétrique (IRAM) entdeckt wurde. "Die enorme Häufigkeit von
iso-Propylcyanid lässt vermuten, dass verzweigte Moleküle in der Tat die Regel
und nicht etwa die Ausnahme bei Molekülen im interstellaren Raum darstellen
könnten", sagt Robin Garrod, ein Astrochemiker an der Cornell University.
Das Forscherteam nutzte das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array
(ALMA) in Chile, um den molekularen Gehalt der Sternentstehungsregion
Sagittarius B2 (Sgr B2) zu untersuchen. Sie liegt in unmittelbarer Nähe zum
Zentrum unserer Milchstraße in rund 27.000 Lichtjahren Entfernung von der Sonne
und stellt eine einzigartig reichhaltige Fundgrube bei der Suche nach komplexen
interstellaren Molekülen dar.
"Durch die Leistungsfähigkeit von ALMA waren wir in der Lage, eine komplette
spektrale Durchmusterung in Richtung von Sagittarius B2 im Wellenlängenbereich
zwischen 2,7 und 3,6 mm durchzuführen", erklärt Belloche. "Dabei waren
Empfindlichkeit und räumliche Auflösung 10-mal besser als in unseren
vorhergehenden Durchmusterungen. Und wir haben nur ein Zehntel der Zeit dafür
gebraucht."
Die Wissenschaftler haben in den Daten systematisch nach den Fingerabdrücken
von neuen interstellaren Molekülen gesucht. "Auf dem Hintergrund von Vorhersagen
aus unserer Kölner Datenbank für Molekülspektroskopie waren wir in der Lage,
Spektrallinien von beiden Unterarten des Propylcyanids zu identifizieren", so
Müller. Insgesamt 50 Spektrallinien im ALMA-Spektrum von Sgr B2 konnten
eindeutig dem Molekül i-Propylcyanid zugeordnet werden und sogar 120 dem Molekül
n-Propylcyanid.
Beide Moleküle, aus jeweils 12 Einzelatomen bestehend, sind die größten
Moleküle überhaupt, die bis jetzt in Sternentstehungsregionen gefunden werden
konnten. Die Forschergruppe hat mit Computermodellen die chemischen Vorgänge bei
der Entstehung der in Sgr B2 gefundenen Moleküle simuliert. Ähnlich wie eine
ganze Reihe weiterer komplexer organischer Moleküle bilden sich beide Arten von
Propylcyanid sehr effektiv auf den Oberflächen von interstellaren Staubkörnern.
"Aber", so Garrod, "die Modelle zeigen uns, dass bei Molekülen, die groß
genug dazu sind, verzweigte Strukturen zu bilden, dies sogar die vorherrschenden
Formen sein könnten. Der Nachweis des nächsten Mitglieds der Alkylcyanid-Serie,
n-Butylcyanid (n-C4H9CN),
mit sogar drei unterschiedlich verzweigten Isomeren, würde es uns möglich
machen, diese Annahme zu testen."
"Die in Meteoriten gefundenen Aminosäuren haben eine Zusammensetzung, die
darauf schließen lässt, dass sie im interstellaren Medium entstanden sind", fügt
Belloche hinzu. "Obwohl noch keine Aminosäure direkt im interstellaren Raum
nachgewiesen werden konnte, dürfte die interstellare Chemie zur Erzeugung einer
großen Zahl von komplexen Molekülen beigetragen haben, die schließlich ihren Weg
auf die Oberfläche von Planeten gefunden haben."
"Die Entdeckung von iso-Propylcyanid zeigt uns, dass Aminosäuren tatsächlich
im interstellaren Medium vorkommen dürften, da die verzweigte Struktur ein
Schlüsselmerkmal für diese Art von Molekülen darstellt", unterstreicht Karl
Menten, Direktor und Leiter der Forschungsabteilung Millimeter- und
Submillimeterastronomie am MPIfR in Bonn, die Bedeutung des Fundes. "Aminosäuren
wurden bereits in Meteoriten gefunden und wir hoffen, dass wir sie bald auch im
interstellaren Medium nachweisen können."
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