Erster privater Raumfrachter vor dem Start
von Stefan Deiters astronews.com
18. Mai 2012 / Update 19. und 20. Mai 2012
Am Samstagvormittag könnte eine neue Ära in der Geschichte
der Raumfahrt beginnen: Mit Dragon soll erstmals ein privates
Versorgungsraumschiff zur Internationalen Raumstation ISS starten. Zwar befinden
sich größere Mengen an Versorgungsgütern an Bord der Kapsel, doch dient der Flug
hauptsächlich dem Test verschiedener Systeme. (Update am Endes des Textes)
Die Dragon-Kapsel bei den Startvorbereitungen in
einer Halle der Cape Canaveral Air Force Station
in Florida.
Foto: NASA / Jim Grossmann |
Seit Außerdienststellung der Shuttle-Flotte befindet sich die amerikanische
Raumfahrtbehörde NASA in einer recht unbequemen Position: Die Nation, die einst
den ersten Menschen zum Mond brachte, ist gegenwärtig auf die Hilfe von Russen,
Japanern und Europäern angewiesen, um Besatzungsmitglieder zur Internationalen
Raumstation ISS zu bringen und diese mit Nahrungsmitteln und anderen
Verbrauchsmaterialien zu versorgen.
Doch diese Zeit könnte an diesem Wochenende beendet sein: Mit der Raumkapsel
Dragon der kalifornischen Firma SpaceX soll erstmals ein privater
Raumfrachter zur ISS starten. Verläuft die Mission erfolgreich, dürfte es bald
regelmäßige Flüge eines Dragon-Raumfrachters zur ISS geben. SpaceX
arbeitet zudem an einer Variante der Dragon-Kapsel, mit der auch
Personen zur ISS gebracht werden können.
An Bord des Raumfrachters befinden sich etwas 520 Kilogramm an
Versorgungsgütern, darunter Nahrungsmittel, Studentenexperimente sowie
Erinnerungsplaketten und -anstecker. Da es sich um einen Testflug handelt,
werden mit der Dragon-Kapsel allerdings keine Materialien zur ISS
gebracht, die als missionskritisch eingestuft werden. Allein rund 300 Kilogramm
machen Nahrung, Kleidungsstücke und beispielsweise Batterien aus. Außerdem
befinden sich zwei Experimentiereinheiten an Bord des Raumschiffs, mit deren
Hilfe Studenten in der Schwerelosigkeit forschen können.
Das etwa 4,4 Meter lange Raumschiff soll nach einem erfolgreichen Start und
einer intensiven Überprüfung von Sensoren und Navigationssystemen am dritten Tag
der Mission zunächst in einem Abstand von über zwei Kilometern an der ISS
vorüberfliegen. Dabei werden zahlreiche für die Annäherung und das Andocken
nötigen Systeme getestet, beispielsweise auch die Kommunikation zwischen der
Dragon-Kapsel und der ISS.
Verläuft alles nach Plan, soll sich Dragon am vierten Missionstag
langsam der ISS annähern. Zunächst wird der Raumfrachter die Station in einem
Mindestabstand von rund zehn Kilometern umfliegen und dann in einem Abstand von
mindestens 2,5 Kilometern unter der ISS hindurchfliegen. Anschließend ist eine
langsame Annäherung an die Raumstation geplant, bei der mehrere Pausen für eine
Überprüfung aller System vorgesehen sind. Die ISS-Besatzung soll dabei auch
kurze Zeit das Kommando über die Dragon-Kapsel übernehmen, um zu
überprüfen, ob sich der Raumfrachter auch wieder von der ISS entfernen kann.
Sobald die Kapsel dann nur noch etwas mehr als 200 Meter von der Raumstation
entfernt ist, wird die Entscheidung fallen, ob alle Systeme für ein
tatsächliches Rendezvous-Manöver bereit sind.
Gibt die NASA das "Go" für ein solches Manöver wird der Raumfrachter seinen
Abstand zur ISS erneut verringern. Ein weiterer Halt ist dann bei einem Abstand
von rund 30 Metern, ein letzter in einem Abstand von etwa 10 Metern geplant.
Hier kann die Kapsel mit dem Roboterarm der ISS erreicht werden. ISS-Astronaut
Don Petit soll Dragon damit einfangen und zum Modul Harmony
bugsieren, wo die Kapsel an die ISS andocken wird.
In den folgenden zwei Wochen wird die ISS-Besatzung dann den Raumfrachter
entladen und mit nicht mehr benötigten wissenschaftlichen Experimenten und
anderen Ausrüstungsgegenständen beladen. Dragon wird dann wieder von
der ISS abgekoppelt, um zur Erde zurückzukehren. Anders als bei den russischen
Progress-Raumschiffen und den europäischen und japanischen
Raumfrachtern wird die Dragon-Kapsel nicht in der Erdatmosphäre
verglühen, sondern an Fallschirmen zur Erde zurückkehren und im Wasser landen,
so dass die Wissenschaftler ihre Experimente zurückerhalten können.
Der Start von Dragon wird mit einer Trägerrakete vom Typ Falcon 9
erfolgen, die auch von SpaceX entwickelt wurde. Die Testmission war in
den vergangenen Monaten mehrfach verschoben worden und ist gegenwärtig für den
19. Mai um 10.55 Uhr MESZ geplant. Die Falcon 9 wird von der Cape
Canaveral Air Force Station in Florida abheben.
Update 19. Mai 2012: Der Start der Trägerrakete
Falcon 9 mit dem Raumfrachter Dragon an Bord wurde heute in
letzter Sekunde abgebrochen. Beim Start der ersten Raketenstufe hatte der
Computer offenbar einen ungewöhnlichen Wert für den Druck in einer Brennkammer
festgestellt und den weiteren Zündvorgang gestoppt. Der frühstmögliche nächste
Starttermin ist nun der kommende Dienstag um 9.44 Uhr MESZ. Zunächst muss
allerdings der genaue Grund für den Abbruch geklärt sein.
Update 20. Mai 2012: Die Techniker von SpaceX
haben die Ursache für den Startabbruch gefunden: ein fehlerhaftes Ventil, das
nun umgehend ausgetauscht werden soll. Der Starttermin am Dienstag wurde
bestätigt.
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