Weltraummüll im Visier
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Fraunhofer-Gesellschaft astronews.com
6. April 2011
Das Bedrohungspotenzial im All durch Weltraummüll ist groß. Aktive
Satelliten und Raumfahrzeuge können beschädigt oder zerstört werden. Ein
neues, europäisches Weltraumüberwachungssystem soll künftig vor Gefahren
im Orbit schützen. Am Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und
Radartechnik ist man an der Entwicklung eines entsprechenden
Radar-Demonstrators beteiligt.
Die Trümmer von explodierten Raketenstufen
können aktive Satelliten beschädigen und sogar
völlig zerstören.
Bild: ESA |
Im All herrscht dichter Verkehr: Unzählige Satelliten umschwirren die
Erde und hinzu kommen Weltraumtrümmer wie ausgebrannte Raketenstufen und
Bruchstücke von explodierten Raumfahrtobjekten, die den Orbit in einen
regelrechten Schrottplatz verwandeln. Man schätzt, dass sich derzeit
etwa 20.000 Objekte mit einer Mindestgröße von zehn Zentimetern in der
Erdumlaufbahn befinden, davon 15.000 im erdnahen Orbit in einer Höhe von
200 bis 2.000 Kilometern.
Mit bis zu rund 28.000 Kilometern pro Stunde rast der Müll um die Erde,
selbst nur zentimetergroße Teilchen können durch ihre enorme
Geschwindigkeit aktive Satelliten beschädigen oder sogar völlig
zerstören. Erst vor knapp zwei Jahren - im Februar 2009 - kollidierte
ein ausgedienter Satellit mit einem Iridium-Kommunikationssatelliten.
Die internationale Raumstation ISS muss jährlich vier bis fünf
Ausweichmanöver starten.
Angesichts dieser Bedrohung sieht die Europäische Weltraumbehörde ESA
dringenden Handlungsbedarf: Im Programm Space Situational Awareness
(SSA) sollen von 2009 bis Ende 2011 die Grundlagen für ein neues,
europäisches Weltraumlagesystem geschaffen werden. Die hierfür
erforderlichen leistungsfähigen Radaranlagen zum vollständigen und
regelmäßigen Erfassen der kleinen Schrottobjekte besitzt Europa derzeit
nicht, die Experten müssen auf die Daten des amerikanischen Space
Surveillance Network zurückgreifen.
Von 2012 bis 2019 soll das neue System, dessen Standort noch nicht
festgelegt ist, aufgebaut werden. Die ESA hat die spanische Firma
Indra Espacio beauftragt, hierfür einen Radar-Demonstrator zu
designen und zu entwickeln. Das Unternehmen baut den Demonstrator
allerdings nicht allein: Für ein Auftragsvolumen von 1,4 Millionen
Euro hat Indra das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik
und Radartechnik FHR in Wachtberg ins Boot geholt. Die Spanier
entwickeln das Sendearray, die Wissenschaftler am FHR das
Empfangssystem.
Die FHR-Forscher sind erfahren im Aufbau von Radaranlagen: Mit TIRA
(Tracking and Imaging Radar) betreiben sie bereits ein System, um
Objekte im All aufzuklären. "TIRA ist ein mechanisch schwenkbares
System, mit dem man einzelne Objekte hochaufgelöst darstellen kann. Bei
dem neuen Überwachungssystem hingegen handelt es sich um eine
elektronisch schwenkbare Antenne, die sich trägheitslos und schnell
schwenken lässt. Anders als TIRA kann sie sehr viele Objekte
gleichzeitig beobachten. Sie spürt diese mit höchster Genauigkeit und
Empfindlichkeit auf", sagt Dr. Andreas Brenner, Abteilungsleiter am FHR.
Dies ist auch unabdingbar, Zielvorgabe ist schließlich, 15.000 bis
20.000 Objekte einmal pro Tag für mindestens zehn Sekunden auf dem Radar
zu haben. "Unser Empfangssystem - mit einer Phased-Array-Antenne als
Sensor - kann die von Satelliten und Weltraumtrümmern reflektierten
Radarstrahlen aus bis zu acht Himmelsrichtungen zeitgleich empfangen",
erläutert Brenner. Das endgültige Überwachungsradar kann auch den
geostationären Orbit in einer Höhe von rund 36.000 Kilometern über der
Erde erreichen, seine Stärke wird es jedoch im Low Earth Orbit
zwischen 200 und 2.000 Kilometern ausspielen. Hier lassen sich damit
selbst zentimetergroße Teilchen aufspüren.
Das Interesse an den empfangenen Daten dürfte groß sein: Neben
europäischen Regierungen und Weltraumorganisationen profitieren auch
Satellitenbetreiber, Versicherungsgesellschaften, Energieversorger und
Telekommunikationsunternehmen davon. Ende dieses Jahres soll der
Demonstrator an die ESA übergeben werden. Im Anschluss folgt ein
einjähriger Testbetrieb. Wer den Zuschlag für den Bau des finalen
Systems erhält, bleibt abzuwarten. "Ich hoffe, dass die ESA auf die
Expertise meiner Abteilung zurückgreift und unser Know-how auch in die
endgültige Anlage einfließen wird", sagt Brenner. Vielseitig sei ihr
Empfangssystem allemal. Kernkomponenten ließen sich auch in anderen
Bereichen einsetzen, etwa zur Luftraumüberwachung an Flughäfen.
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