Kontrollierte Rückkehr aus dem All
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
19. August 2010
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) macht bei seinem Vorhaben,
neue Wiedereintrittstechnologien für die Raumfahrt möglichst kostengünstig im
Flugexperiment zu testen, weitere Fortschritte. So wurde jetzt ein neues Modul
entwickelt, das eine aktive Steuerung des Raumfahrzeugs SHEFEX II bei
der Rückkehr zur Erde erlaubt.
Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre in
einer Höhe zwischen 100 und 20 Kilometern
entstehen an der Spitze von SHEFEX II durch
Geschwindigkeiten von fast drei Kilometern pro
Sekunde sehr hohe Temperaturen. Diesen muss das
von DLR-Wissenschaftlern entwickelte
Ruderkontrollsystem standhalten und die Nutzlast
kontrolliert zurück zur Erde bringen. Die
künstlerische Darstellung zeigt den
Wiedereintritt. Das Canard-Modul für das
neuartige Ruderstellsystem befindet sich im
vorderen Teil der Forschungsrakete unmittelbar
unterhalb der Canard-Ruder.
Bild:
DLR |
Ein neues Modul macht es möglich: Im Gegensatz zu seinem Vorgänger
wird das experimentelle scharfkantige Raumfahrzeug SHEFEX II (SHarp
Edge Flight Experiment) bei seinem Wiedereintritt in die Atmosphäre
aktiv gesteuert. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
entwickelte für SHEFEX II ein maßgeschneidertes aerodynamisches
Flugsteuerungssystem, mit dem der Körper kontrolliert zur Erde
zurückkehren soll.
Kern des von Wissenschaftlern des DLR-Instituts für Flugsystemtechnik in
Braunschweig entwickelten so genannten Canard Control Systems sind im
vorderen Bereich der Forschungsrakete angeordnete Ruderflächen, die so genannten
Canards, mit denen das Raumfahrzeug aktiv gesteuert werden kann. Erste
Bodentests liefen erfolgreich - nun ist das Teilmodul reif für die Integration
und weitere Tests an SHEFEX II.
"Elektromechanische Ruderstellsysteme weisen ein großes Potenzial für
künftige wieder eintretende Raumfahrzeuge auf", erklärt DLR-Flugsystemtechniker
Andreas Koch den Hintergrund des Experiments. "Der vom DLR entwickelte Prototyp
ist sehr kompakt und leicht. Und er ist ein Schritt in Richtung einer
günstigeren und leistungsfähigeren Flugsteuerung für Wiedereintrittsfahrzeuge",
sagt der Wissenschaftler.
Das Canard Control System soll die Lage- und Anströmbedingungen des
Wiedereintrittsvehikels automatisch einstellen - ähnlich den Rudern eines
Flugzeuges, die dessen Lage durch gezielte Ausschläge verändern können.
Allerdings sind die Bedingungen in 100 bis 20 Kilometer Höhe - hier ist das
Ruderstellsystem aktiv - gänzlich andere. "Wir bewegen uns hier in
Grenzbereichen des technisch Machbaren", verdeutlicht Koch und ergänzt: "Wir
fliegen und messen in Thermosphäre, Mesosphäre und Stratosphäre. Oberhalb von
100 Kilometern herrscht zwar kein absolutes Vakuum, aber die Luft ist dann so
dünn, dass aerodynamische Kräfte die Lage des Raumfahrzeugs nicht mehr
beeinflussen können." Das neue Ruderstellsystem ist also extremen
aerodynamischen und thermischen Lasten ausgesetzt. Die Bauteile müssen der
Hitze, den hohen Beschleunigungen und Luftkräften trotzen. Gewöhnliche Bauteile
brechen dabei auseinander und verglühen.
Wiedereintrittssysteme gehören zu den Hochtechnologien. Sie müssen
zuverlässig in einer sehr ungünstigen Umgebung funktionieren. SHEFEX II
ist beim Wiedereintritt mit einer Geschwindigkeit von fast drei Kilometern pro
Sekunde unterwegs - mit diesem Tempo wäre man in 80 Sekunden von Braunschweig
aus in Berlin. Das Canardmodul - sprich die Hardware - muss einerseits also
robust genug sein, um diesen extremen Bedingungen standzuhalten. Gleichzeitig
bedarf es einer Software an Bord, die während der anspruchsvollen
Experimentmission zuverlässig arbeitet und das Fluggerät kontrolliert wieder zur
Erde bringt.
Die Hard- und Software für das automatische Stellsystem entwickelten die
Braunschweiger DLR-Forscher in Kooperation mit weiteren DLR-Instituten und
industriellen Partnern. Das Team entwarf und realisierte das Systemdesign, es
baute das mathematische Wiedereintrittsmodell auf und entwickelte den
Flugregelungsalgorithmus. Zum Canardmodul gehören folgende Komponenten: Onboard-Computer,
Aktuatoren, Abdichtung, Stromversorgung, Verkabelung, Struktur und Software.
Diese Einzelteile mussten zahlreiche Berechnungen und Tests über sich ergehen
lassen, zum Beispiel Vakuumtests, Vibrationstests, Funktions- und Leistungstests
sowie mechanische Tests. Auch die Software wurde in einer sehr hardwarenahen
Simulation am Boden gestestet.
Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass das Ruderstellsystem die geforderte
Reife für die weiteren Gesamtsystemtests erreicht hat. Der letzte Schritt, die
Gesamtsystemtests, finden am DLR-Standort Oberpfaffenhofen statt. SHEFEX II
soll 2011 vom australischen Woomera aus in eine Höhe von über 200 Kilometer
gebracht werden. Für die Braunschweiger DLR-Forscher beginnt dann die Auswertung
des intensiven Flugversuchsteils. Dann werden sie auch praktisch erfahren, ob
alle Berechnungen und Tests stimmten und das Gesamtsystem unter den harschen
Bedingungen beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre fehlerfrei funktioniert.
Das gesamte SHEFEX-II-Experiment soll etwa zehn Minuten dauern, die
Zeitspanne für das Experiment der DLR-Flugsystemtechniker beträgt dabei weniger
als 60 Sekunden. Hinter dem SHEFEX-Programm steckt die Idee, neue
Wiedereintrittstechnologien für die Raumfahrt möglichst kostengünstig im
Flugexperiment zu testen. SHEFEX II ist ein rein national finanziertes und
realisiertes Projekt.
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