Indirekter Blick ins Innere massereicher Sterne
Redaktion / MPG astronews.com
27. Juni 2007
Mit dem europäischen Gammasatelliten Integral haben Wissenschaftler radioaktives Eisen in der Milchstraße entdeckt. Obwohl
sie die Eisenatome im interstellaren Gas - also zwischen den Sternen - fanden,
erlaubt der Fund einen indirekten Blick ins Innere jener massereichen Sonnen,
die unsere Galaxie und ihre Spiralarme prägen. Der Nachweis gelang einem Team
vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in München.
Der ESA-Gammastrahlensatellit Integral.
Bild: ESA / D. Ducros |
Schon seit Langem fahnden Astronomen nach radioaktivem Eisen im interstellaren Raum. Vor fast 30 Jahren wurde dort bereits radioaktives Aluminium gefunden, und 1999 hat eine Gruppe der Technischen Universität München in einer Probe aus der südpazifischen Ozeankruste Spuren von
Eisen-60 entdeckt. Dieses Eisenisotop sollte auch im interstellaren Gas vorkommen. Tatsächlich gab es in den vergangenen Jahren vielversprechende Hinweise, die allerdings interpretationsabhängig waren und kontrovers bewertet wurden.
Für ihre aktuelle Suche nutzten die Astrophysiker ein Gammaspektrometer auf
Integral, einem ESA-Satelliten, der seit Oktober 2002 den Himmel im Licht energiereicher Gammastrahlen
vermisst. Jetzt spürten die Wissenschaftler um Roland Diehl vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
so die "Fingerabdrücke" des begehrten Stoffs auf: Signale bei den beiden für den
radioaktiven Zerfall von Eisen-60 charakteristischen Energien 1.173 und 1.333
Kiloelektronenvolt.
Die beobachteten Gammalinien entstehen, wenn Eisen-60 mit einer Halbwertszeit von 1,5 Millionen Jahren zuerst zu kurzlebigen Cobalt-60 und dann
mit einer Halbwertszeit von 5,3 Jahre zu stabilem Nickel-60 zerfällt.
Roland Diehl glaubt, dass damit ein wichtiger Schritt zum Verständnis der Elemententstehung in massereichen Sternen gelungen ist:
"Wir haben in letzter Zeit einige Berichte zum vermeintlichen Fund von Eisen-60 diskutiert. Aber das Spektrometer an Bord von
Integral ist mittlerweile das einzige Instrument, das diese Messung genau genug
durchführen kann. Jetzt sind wir uns sicher, dass radioaktives Eisen-60 in
unserer Galaxis weiträumig existiert, noch heute produziert wird und zerfällt."
Dieser definitive Nachweis eröffnet ein Fenster ins Innerste der massereichsten Sterne der Milchstraße. Diese Gaskugeln vereinen mehr als die zehnfache Sonnenmasse in sich und leben kurz aber intensiv: Von der Geburt bis zu ihrem Ende in einer gewaltigen Supernova-Explosion vergehen gerade einmal 100 Millionen Jahre. Im Vergleich dazu ist unsere fast fünf Milliarden Jahre alte Sonne ein stellarer Methusalem.
Die massereichen Sterne sind die Brutstätten der meisten chemischen Elemente im Universum.
Während der Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren im Wesentlichen Wasserstoff und Helium erzeugte, hat sich das interstellare Gas erst im Lauf der Zeit mit den schwereren Elementen angereichert, die in der jeweiligen Sterngeneration durch Kernreaktionen neu entstanden sind. Wenn massereiche Sterne späterer Generationen dann schon geringe Mengen Eisen enthalten, können dort Neutronen-Einfang-Reaktionen ablaufen, die aus den stabilen Eisenisotopen das schwerere Fe-60 machen.
Bisher konnten sich die Astrophysiker bei kernphysikalischen Studien der Entstehung neuer Elemente im heutigen Universum nur auf ein einziges Element stützen: das im Jahr 1978 von einem amerikanischen Satelliten erstmals aufgespürte Aluminium-26-Isotop. Es zerfällt mit einer Halbwertszeit von 740.000 Jahren und ist mittlerweile von mehreren Teleskopen auf verschiedene Weise vermessen worden. "Studien zu radioaktivem Aluminium-26 haben sich zu einem eigenständigen astronomischen Bereich entwickelt",
erläutert Roland Diehl.
Eisen-60-Radioaktivität gibt den Astrophysikern nun neue Möglichkeiten, da es in denselben Sterntypen produziert wird wie Aluminium-26, allerdings in anderen Regionen und zu anderen Entwicklungsphasen - nämlich später und weiter innen. Massereiche Sterne durchlaufen nacheinander Phasen der Kernfusion von zunächst leichten zu zunehmend schwereren Elementen,
die Astronomen "Metalle" nennen, und entwickeln so ihren charakteristischen zwiebelschalenähnlichen inneren Aufbau.
Eisen-60 entsteht in den durch Konvektion gut durchmischten Zonen, in denen Helium- und Kohlenstoff-Fusionsreaktionen ablaufen. Das geschieht allerdings so spät im Entwicklungszyklus des Sterns, dass die radioaktive Asche dieser Zonen erst durch die Supernova am Ende des Sternlebens in den freien Weltraum geschleudert wird. Bei radioaktivem Aluminium-26 nimmt man an, dass bereits die intensiven Sternwinde der sogenannten Wolf-Rayet-Phase die Produkte von frühen, auch Aluminium-26 erzeugenden Fusionsphasen enthalten.
"Eisen-60 ist unser Eingangstor zu den Studien, die Neutronen-Einfang-Reaktionen in aktuellen Sterngenerationen untersuchen",
verdeutlicht Diehl die Bedeutung des Fundes. "Etliche Kernphysik-Laboratorien haben Messungen neu aufgelegt, um den radioaktiven Zerfall verschiedener Eisenisotope zu untersuchen und nachzumessen, wie leicht oder schwer Neutronen von diesen Isotopen eingefangen werden können."
Mit Integral sind in den vergangenen Jahren neue und detailreiche Messungen zu Aluminium-26 gelungen. Daher können die Astrophysiker nun das Verhältnis der Gammastrahlung von Eisen-60 zu Aluminium-26 genau bestimmen - und damit die Modellvorstellungen zur Elemententstehung in diesen Sternen testen.
Studien haben im vergangenen Jahrzehnt für das Isotopverhältnis Werte zwischen 10 und 100 vorhergesagt, wobei die neuesten Vorhersagen erfreulicherweise mit den
Integral-Messungen in Einklang stehen. Das könnte aber eher glückliche Fügung sein. Die Ergebnisse zu Eisen-60 haben Theoretiker und Kernphysiker stimuliert, diesen Test jetzt noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Obgleich Integral die Gammastrahlung des interstellaren Eisen-60 klar sieht, ist die Intensität noch zu gering, um ein
Intensitätskarte des Himmels zu erstellen. Es wäre interessant, die hellen und dunklen Stellen der Milchstraßenebene im Gammalicht von Eisen-60 mit der von Aluminium-26 zu vergleichen. Die Max-Planck Forscher wollen die nächsten
Integral-Betriebsjahre nutzen, um erste Vorstellungen davon zu erhalten.
"Die Kartografie der Verteilung von Eisen-60 in unserer Galaxis ist ein Projekt für eine zukünftige Generation von Gammateleskopen", so Diehl.
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