100
Gamma-Quellen im Zentrum der Milchstraße
Redaktion
astronews.com
18. März 2004
Der
Zentralbereich der Milchstraße wirkte im niederenergetischen
Gammastrahlen-Bereich betrachtet bislang wie ein verschwommenes Band,
über dessen Ursprung lange Zeit gerätselt wurde. Nun entdeckten
Astronomen mit dem ESA-Teleskop INTEGRAL rund 100 Himmelsobjekte,
die für das Gamma-Licht verantwortlich sind. Die Hälfte davon gehört zu
einer bisher unbekannten Klasse von Gammastrahlen-Quellen.
Das Zentrum der Milchstraße im Gamma-Licht, aufgenommen von
INTEGRAL. Insgesamt 91 Punkte auf dem Bild wurden mit Sicherheit
als einzelne Gammastrahler klassifiziert, während die anderen
Punkte zu schwach für eine gesicherte Charakterisierung sind.
Bild: ESA/ F. Lebrun (CEA-Saclay) [Gesamtansicht] |
Bisher kannte man den Zentralbereich der Milchstraße im niederenergetischen
Gamma-Licht nur als ein verschwommenes Band. Jetzt haben europäische Forscher,
darunter auch vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching,
mit dem hochauflösenden Teleskop IBIS an Bord von INTEGRAL, dem International
Gamma Ray Astrophysics Laboratory, festgestellt, dass sich hinter diesem
diffusen Leuchten etwa 100 einzelne Himmelsobjekte verbergen. Diese sind die
hauptsächliche Quelle des Gamma-Leuchtens und - entgegen bisheriger Annahmen -
nur in geringem Maß die Strahlung aus dem interstellaren Raum. Wie die Forscher
in der heutigen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature berichten,
gehört knapp die Hälfte der entdeckten Objekte keiner der bisher bekannten
Klassen von Gammastrahlen-Quellen an, sondern repräsentiert möglicherweise eine
völlig neue Art von "Gamma-Strahlern" im Universum.
Dank der hohen Ortsauflösung und Empfindlichkeit von INTEGRAL ist es
damit erstmals gelungen, einzelne Gamma-Quellen im Zentralbereich der
Milchstraße zu identifizieren, wo bisherige Gamma-Teleskope nur ein
verschwommenes Bild liefern konnten. Dass diffuse niederenergetische
Gammastrahlung, vergleichbar der von medizinischen Röntgengeräten, aus dem
Zentrum der Milchstraße austritt, hatte man erst Mitte der 1970er Jahre bei
Ballon-Experimenten entdeckt. Seither spricht man vom so genannten galaktischen
Gamma-Hintergrund.
Ursprünglich glaubte man, diese Strahlung stamme aus dem Raum zwischen den
Sternen, dem interstellaren Medium, wo sie durch Wechselwirkungen der kosmischen
Teilchenstrahlung mit Gas-Atomen oder auch mit anderen Photonen entstehen
könnte. Eine solche Deutung konnte zwar den diffusen Charakter der
Gamma-Strahlung erklären, denn Gas ist überall im Universum verteilt, doch nicht
die beobachtete Stärke dieser Strahlung: Würde die Gammastrahlung tatsächlich
nur durch den vorgeschlagenen Mechanismus entstehen, müsste sie eigentlich
schwächer sein, als sie in Wirklichkeit zu beobachten ist. Dieses Rätsel, warum
also die Milchstraße im Gammalicht derart hell leuchtet, konnte seit Jahrzehnten
nicht gelöst werden.
Jetzt haben die Forscher mit dem hochauflösenden Teleskop IBIS (kurz für Imager
on Board the Integral Satellite, von INTEGRAL festgestellt, dass die
Gammastrahlung aus dem Zentralbereich der Milchstraße im wesentlichen von etwa
100 einzelnen Himmelsobjekten stammt, während die Strahlung aus dem
interstellaren Raum dabei nur eine geringe Rolle spielt. Frühere Gamma-Teleskope
hatten also nicht die erforderliche Ortsauflösung und Empfindlichkeit, um die
einzelnen Quellen aufzulösen, weshalb man nur ein diffuses Leuchten sehen
konnte.
Erste Hinweise darauf, dass der galaktische Hintergrund im Zentrum der
Milchstraße durch eine größere Zahl einzelner Quellen verursacht wird, wurden
bereits im Sommer vergangenen Jahres mit Hilfe von INTEGRAL gefunden. In
Nature berichtet das Forscherteam unter Leitung von Francois Lebrun aus
dem französischen Saclay jetzt vom Nachweis von 91 Gamma-Quellen in der
Zentralregion der Milchstraße. Zur großen Überraschung der Wissenschaftler
gehört etwa die Hälfte dieser Objekte keiner bisher bekannten Klasse von
Gamma-Quellen an, sondern könnte eine ganz neue Art von Gammastrahlern
repräsentieren.
Erste Hinweise auf die mögliche Existenz einer unbekannten Klasse von kosmischen
Gammastrahlen-Quellen gab es schon im Oktober 2003, als INTEGRAL ein
merkwürdiges Objekt mit dem Namen IGRJ 16318-4848 entdeckt hatte (astronews.com
berichtete). Aus den Daten von INTEGRAL sowie vom
ESA-Röntgenobservatorium XMM-Newton konnte man schließen, dass man es
hierbei wahrscheinlich mit einem Doppelstern-System zu tun hatte, wobei es sich
bei einem der Sterne um einen Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch handelt,
dass in eine dicke Hülle aus kaltem Gas und Staub eingebettet ist. Wenn in
diesem Doppelsternsystem Gas von dem anderen Stern auf das Schwarze Loch bzw.
den Neutronenstern fällt, wird Energie in allen Wellenlängen abgestrahlt -
hauptsächlich jedoch im Gamma-Bereich.
Projektleiter Francois Lebrun ist jedoch vorsichtig genug, um daraus voreilige
Schlüsse über die jetzt gefundenen Quellen in der Zentralregion der Milchstraße
zu ziehen. Denn es kommen auch andere Erklärungen in Frage, die nichts mit
Schwarzen Löchern zu tun haben. So kann es sich zum Beispiel auch um die
kompakten Überreste von explodierten Sternen handeln, die ihre Energie von sich
schnell rotierenden "Sternenkraftwerken", so genannten Pulsaren, beziehen.
Was auch immer die genaue Natur der Quellen ist, INTEGRAL hat jetzt
überzeugend gezeigt, dass die Strahlungsenergie der neuen Objekte nahezu 90
Prozent des gesamten niederenergetischen diffusen Gammahintergrunds aus der
Zentralregion der Milchstraße erklärt. Die Strahlung aus dem interstellaren Raum
spielt hingegen nur eine geringe Rolle - eine völlig neue Erkenntnis, denn damit
stellt sich die Frage, ob solche Objekte überall in der Milchstraße zu finden
sind und nicht nur in der Zentralregion. Lebrun meint dazu: "Es ist zwar nahe
liegend, unsere bisherigen Ergebnisse auf die gesamte Milchstraße zu
extrapolieren. Tatsächlich haben wir aber bisher nur die Zentralregion studiert
und das ist ein ganz besonderer Ort in der Milchstraße im Vergleich zu ihrem
Rest."
Was ist als nächstes zu tun? Volker Schönfelder, Leiter der Gamma-Gruppe im
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching, erklärt, es sei
sehr wichtig, die bisherigen Untersuchungen bei höheren Gamma-Energien
durchzuführen. Hochenergetische Messungen sind wichtig, um die Natur der Quellen
besser zu verstehen. In diesem Mess-Bereich ist das zweite Gamma-Teleskop auf
INTEGRAL, das Spectrometer on INTEGRAL (SPI), empfindlicher und
effektiver. Inzwischen sind diese Untersuchungen bereits im Gang, so dass man
bald die Ergebnisse von IBIS und SPI vergleichen und zusammenfassen kann.
INTEGRAL ist das erste Weltraumobservatorium, das Sternenobjekte gleichzeitig im
Gamma-, Röntgen- und optischen Licht beobachten kann. INTEGRAL wurde mit einer
russischen Proton-Rakete am 17. Oktober 2002 in eine stark elliptische
Umlaufbahn um die Erde gebracht (astronews.com berichtet). Zu seinen wichtigsten
Beobachtungszielen gehören jene Regionen unserer Milchstraße, in denen chemische
Elemente produziert werden, sowie kompakte Objekte, wie Schwarze Löcher.
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