Mondatmosphäre entsteht durch Mini-Meteorite
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
6. August 2024
Die ausgesprochen dünne Atmosphäre, die den Mond umgibt, entsteht in erster
Linie durch das ständige Bombardement der Mondoberfläche durch staubgroße
Mini-Meteoriten. Andere Prozesse, etwa die Wechselwirkung mit Teilchen und
Strahlung von der Sonne, spielen eine untergeordnete Rolle. Dies ergab jetzt die
neue Untersuchung von Bodenproben und Computersimulationen.
Anders als die Erde besitzt der Mond nur
eine sehr, sehr dünne Atmosphäre.
Bild: NASA / JPL / USGS [Großansicht] |
Eigentlich hat der Mond gar keine Atmosphäre – zumindest nicht nach irdischen
Maßstäben. Die nicht einmal zehn Tonnen Material, die seine Gashülle bilden,
erzeugen einen Atmosphärendruck von etwa einem Billiardenstel des Luftdrucks,
der auf der Erde herrscht. Das bezeichnet man typischerweise als
Ultrahochvakuum. Im Fall des Mondes spricht man von Exosphäre. Sie besteht in
erster Linie aus Argon, Helium und Neon. Dazu gesellen sich neben einigen
anderen Spurenelementen kleinste Anteile der Alkalimetalle Natrium, Kalium und
Rubidium. Unklar war bisher, welche Prozesse die Exosphäre mit Material
versorgen. Da ständig einige Teilchen ins Weltall entweichen, müssen sie ebenso
kontinuierlich von der Oberfläche "nachgefüllt" werden.
In einer jetzt vorgestellten Studie kommen die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass hauptsächlich die Einschläge sogenannter
Mikrometeoriten, kleinster Staubteilchen aus dem Weltall, den nötigen
"Nachschub" liefern. Sie treffen permanent auf die Mondoberfläche, erwärmen sie
lokal und setzen so Atome frei. Einen deutlich geringeren Einfluss hat die
Sonne: Auch Teilchen des Sonnenwindes und Sonnenlicht können einzelne Atome aus
dem Mondboden lösen.
In der Vergangenheit hat sich die Wissenschaft bemüht, diese Prozesse
möglichst direkt zu verfolgen, etwa mithilfe der NASA-Raumsonde Lunar
Atmosphere and Dust Environment Explorer (LADEE), die den Mond von Oktober
2013 bis April 2014 umkreiste und ihr Augenmerk besonders auf die Natrium- und
Kaliumatome der Exosphäre richtete. Die neue Studie verfolgt nun einen gänzlich
anderen Ansatz: Um mehr über die Exosphäre zu erfahren, schauen die
Forscherinnen und Forscher nicht auf die Exosphäre selbst, sondern untersuchen
den Mondboden.
"Das Regolith, das den Mond überzieht, steht seit Milliarden von Jahren in
direktem Austausch mit seiner Exosphäre", erklärt Dr. Timo Hopp vom
Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen die Grundidee
der Studie. "Das hat Spuren hinterlassen, die sich im Labor messen lassen", fügt
er hinzu. Entscheidend ist dabei, dass einige der Prozesse, die sich im
Wechselspiel zwischen Oberfläche und Exosphäre abspielen, leichtere Isotope
bevorzugen. Isotope sind Spielarten eines Elements, die sich allein durch die
Anzahl ihrer Neutronen im Kern und somit durch ihr Gewicht unterscheiden. So
setzen etwa die Einschläge von Mini-Meteoriten eher leichte als schwere Isotope
frei. Zwar fallen einige der herausgeschlagenen Teilchen mit der Zeit zurück auf
die Oberfläche und werden so wieder Teil der Mondoberfläche. Andere entweichen
jedoch ins All – und verändern so die Isotopenverhältnisse im Boden dauerhaft.
Über Milliarden von Jahren ist die Mondoberfläche somit eine Art Gedächtnis
dieser Vorgänge.
In ihrer aktuellen Studie hat das Team die Verhältnisse, in der Kalium- und
Rubidiumisotope in zehn Proben vom Mond vorliegen, mit bisher unerreichter
Genauigkeit bestimmt. Die Proben hatten NASA-Astronauten im Rahmen der
Apollo-Missionen bereits vor Jahrzehnten von fünf verschiedenen Landestellen auf
dem Mond zurück zur Erde gebracht. Während ein Teil des mitgebrachten
Mondmaterials damals sofort untersucht wurde, hob die NASA einen beträchtlichen
Teil für Untersuchungen auf, die erst in Zukunft möglich sein würden.
Zudem modellierten die Forschenden am Computer, wie sich die
Wechselwirkungsprozesse zwischen Oberfläche und Exosphäre auf die
Isotopenzusammensetzung des Mondbodens auswirken. "Am Computer können wir die
Beiträge einzelner Prozesse problemlos variieren. Wir können berechnen, in
welchem Verhältnis Kalium- und Rubidiumisotope vorliegen müssten, wenn
beispielsweise die Wechselwirkung mit Sonnenwindteilchen überwiegt oder wenn die
Mikrometeoriten den größten Einfluss haben", erklärt Hopp. Der Vergleich mit den
tatsächlich gemessen Werten erlaubt dann Einblicke in die Vorgänge, die
Mondoberfläche und Exosphäre geformt haben.
"Unsere Studie gibt als klare Antwort, dass Verdampfung durch
Meteoriteneinschlägen der dominierende Prozess ist, der die Mondatmosphäre
erzeugt", so Prof. Dr. Nicole Nie, Assistenzprofessorin am Massachusetts
Institute of Technology. Dieser Prozess hat mehr als 65 Prozent des Kaliums
in der Mond-Exosphäre erzeugt. Der Rest geht auf Wechselwirkungen der
Mondoberfläche mit Teilchen und Strahlung von der Sonne zurück. "Der Mond ist
fast 4,5 Milliarden Jahre alt und während dieser Zeit wurde die Oberfläche
ständig von Meteoriten bombardiert. Wir zeigen, dass eine dünne Atmosphäre
schließlich einen stabilen Zustand erreicht, weil sie durch kleine Einschläge
überall auf dem Mond ständig aufgefüllt wird", so Nie weiter. Die neuen
Ergebnisse helfen zudem zu verstehen, wie dünne Exosphären entstehen und über
Milliarden von Jahren aufrechterhalten werden. Neben dem Mond umgibt
beispielsweise auch den Merkur eine solch dünne Gashülle.
Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.
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