Sonnenflecken-Detektive werten historische Sonnenbeobachtungen aus
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
6. März 2024
Um Abertausende von Sonnenflecken in historischen Zeichnungen der Sonne zu
zählen, sucht ein Forschungsprojekt die Unterstützung von Freiwilligen: Deren
Aufgabe ist es, die fast täglichen Beobachtungen der Sonne zu sichten, die der
Astronom Angelo Secchi und seine Mitarbeiter zwischen 1853 und 1878 in
detaillierten Zeichnungen festgehalten haben.
Angelo Secchi und seine Mitarbeiter brachten
die Sonnenflecke, die sie beobachteten, in sehr
unterschiedlichen Stilen zu Papier. Zudem finden sich auf
vielen Seiten Verfärbungen, die sich zum Teil nur schwer von
Sonnenflecken unterscheiden lassen.
Bild: INAF [Ansicht
mit weiteren Beispielen] |
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand in Rom eine einzigartige
Sammlung von Beobachtungsdaten der Sonne. Vom neu errichteten Observatorium der
Jesuitenschule Collegio Romano auf dem Dach der Kirche Sant‘Ignazio schauten der
Jesuitenpater und Astronom Angelo Secchi, seine Mitarbeiter und Assistenten mehr
als drei Jahrzehnte lang regelmäßig auf unser Zentralgestirn und übertrugen ihre
Beobachtungen in beinahe tägliche Bleistiftzeichnungen. Mit feinen Strichen
markierten sie darin unter anderem Größe, Form und Lage aller dunklen Flecke,
die sie mithilfe ihrer Teleskope erkennen konnten.
Seit vergangenem Jahr sind die mehr als 5400 Zeichnungen, die dem
italienischen Nationalen Institut für Astrophysik (INAF) gehören und im
Astronomischen Observatorium Rom aufbewahrt werden, vollständig digitalisiert
und damit für die Forschung nutzbar. Das riesige Konvolut auszuwerten ist eine
gewaltige Aufgabe. Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für
Sonnensystemforschung (MPS) und des INAF setzen
deshalb auf die Citizen-Science-Plattform Zooniverse.
"Wenn wir heute auf die Sonne schauen, sehen wir nur eine Momentaufnahme, einen
winzigen Ausschnitt in ihrem schon 4,6 Milliarden Jahre währenden Leben",
erklärt Dr. Theodosios Chatzistergos vom MPS, der das Zooniverse-Projekt
"Sonnenfleck-Detektive" ins Leben gerufen hat. "Erst ein Blick zurück in die
Geschichte der Sonne hilft uns einzuschätzen, zu welchem Verhalten unser Stern
prinzipiell fähig ist – und was in Zukunft möglicherweise von ihm zu erwarten
ist", fügt er hinzu.
Bekannt ist, dass die Sonne Phasen schwächerer und
stärkerer Aktivität durchläuft. Einem grob elfjährigen Aktivitätszyklus sind
dabei deutlich längere Schwankungen überlagert. In aktive Phasen ist die Sonne
ein Feuerwerk: Häufig kommt es zu Teilchen- und Strahlungsausbrüchen; der
Sonnenwind, der stetige Strom geladener Teilchen von der Sonne, "weht" besonders
stark; die Gesamtstrahlungsintensität der Sonne nimmt zu; und viele dunkle
Sonnenflecke – häufig in Gruppen angeordnet – überziehen ihre Oberfläche. In
ruhigen Phasen zeigen sich solch dunkle Gebiete nur selten oder bleiben ganz
aus.
In der "solaren Geschichtsforschung" kommt den Sonnenflecken deshalb
eine zentrale Rolle zu. Da sie sich schon mit einfachen Hilfsmitteln beobachten
lassen, verfolgt die Astronomie ihre Anzahl und Entwicklung seit mehr als vier
Jahrhunderten. "Die Anzahl der Sonnenflecken ist die wichtigste historische
Messgröße zur Sonnenaktivität der Neuzeit. Sie ist das einzige direkte Maß für
die Aktivität unseres Sterns über die vergangenen vier Jahrhunderte", so Chatzistergos.
"Die Sonnenfleckenzahl erlaubt es uns, das Verhalten der Sonne
über mehrere hundert Jahre zurückzuverfolgen und mit dem heutigen Zustand der
Sonne zu vergleichen", fügt er hinzu.
Umso
wichtiger ist es, dass Forschenden möglichst präzise Beobachtungsdaten zur
Sonnenfleckenzahl vorliegen. Die bisher nicht systematisch ausgewerteten
Aufzeichnungen, die von 1853 bis 1886 am Collegio Romano entstanden, versprechen
besonders aussagekräftig zu sein. Die meisten anderen Beobachtungsreihen aus
demselben Jahrhundert, die etwa in Dessau, Palermo, Potsdam oder Surrey
entstanden, umfassen kürzere Zeiträume, sind weniger detailreich gezeichnet oder
enthalten nur tabellarisch die Anzahl der Flecken.
"Die Aufzeichnungen von Secchi und seinen Mitarbeitern sind die detailliertesten Daten über
Sonnenflecken und andere ruhige und magnetische Regionen, die in diesem Zeitraum
von der Sonnenoberfläche entstanden sind", sagt Dr. Illaria Ermolli vom INAF.
"Zusätzlich zu den Informationen über die Position und die Fläche der
Sonnenflecken enthalten viele Zeichnungen auch Daten über Sonnenfackeln, Spikulen und Protuberanzen sowie darüber, wie sich diese Regionen entwickelt
haben. Zudem weisen Anmerkungen auf historische und natürliche Ereignisse hin,
wie beispielsweise Feindseligkeiten in der Stadt und die Beobachtung
spektakulärer Polarlichter", ergänzt Ermolli. Als Sonnenfackeln bezeichnet man besonders helle Gebiete auf der Sonnenoberfläche, die
oftmals mit Sonnenflecken einhergehen; Spikulen und Protuberanzen sind
Strukturen, die sich am Sonnenrand zeigen.
Den Datenschatz Secchis wissenschaftlich
auszuwerten, ist ein gewaltiges Unterfangen – und das nicht nur wegen des
riesigen Umfangs des Konvoluts, das mehrere tausend Ansichten der gesamten
Sonnenscheibe umfasst. Die Skizzen, die Secchi und seine Mitstreiter sorgfältig
auf Papier anfertigten, zeigen deutlich Spuren ihres Alters: Auf vielen Seiten
finden sich dunkle Verfärbungen, die oft nur schwer von den gemalten
Sonnenflecken zu unterscheiden sind. Zudem haben die verschiedenen Beobachter –
neben Secchi lassen sich mindestens fünf weitere identifizieren – die
Sonnenflecken sehr unterschiedlich zu Papier gebracht. Während Secchi selbst die
Sonnenflecke eher in groben Umrissen andeutete, waren einige seiner Mitstreiter
mit mehr Liebe zum Detail (und möglicherweise zeichnerischem Talent) bei der
Sache. Mit feinen Bleistiftstrichen hielten sie detailreich die Feinstruktur
jedes einzelnen Flecks fest. "Um alle Sonnenflecken zu identifizieren, braucht
es einen sorgfältigen und vor allem menschlichen Blick auf jede Zeichnung", so Chatzistergos.
Versuche, diese Aufgabe in einem automatisierten Prozess zu erleichtern,
lieferten keine befriedigende Ergebnisse.
Seit gestern stehen auf der Plattform Zooniverse mehr als 15.000 Bilder bereit, die
Ausschnitte der historischen Zeichnungen zeigen. Die Ausschnitte enthalten
jeweils Gruppen eng benachbarter und zum Teil recht kleiner Sonnenflecke. Die
Forschenden hoffen nun auf viele "Sonnenfleck-Detektive". Um verlässliche Zahlen
zu bekommen, müssen möglichst viele Laienforscher jeden Bildausschnitt
bearbeiten. Ein Jahr lang sind die Bilder zugänglich.
Das Webportal Zooniverse
bietet eine Plattform für Forschungsprojekte, die auf die Mithilfe von Laien
setzen, sogenannte Citizen-Science-Projekte. Die mehr als 90
Forschungsprojekte auf Zooniverse sind äußerst vielfältig und stammen aus
Bereichen wie Astronomie, Biologie, Medizin, Geschichte und Linguistik.
Projekte aus dem Bereich der Astronomie und Weltraumforschung zählten zu den
ersten Citizen-Science-Projekten und sind auch bei Zooniverse stark vertreten.
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