Neues über den Sonnensturm im Februar 1872
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
8. Dezember 2023
Vor 151 Jahren traf ein gewaltiger Sonnensturm auf die Erde: Am 4. Februar 1872
meldeten Telegrafenämter in vielen Teilen der Welt stundenlange Störungen und
Ausfälle; Polarlichter waren selbst in Indien, Sudan und in der Karibik zu
sehen. Nun hat ein Forschungsteam eine umfangreiche Studie dieses Ereignisses
vorgelegt, basierend auf
historischen Aufzeichnungen, Messungen und Dokumenten.
Handzeichnung der Sonne von Angelo Secchi,
Leiter der Vatikansternwarte, vom 3. Februar 1872. Die
Sonnenfleckengruppe 29 wurde jetzt als Ausgangspunkt des
heftigen Sonnensturms vom Folgetag identifiziert.
Bild: INAF OAR [Großansicht] |
In heftigen Eruptionen schleudert die Sonne immer wieder Strahlung und
hochenergetische, geladene Teilchen ins All. Breiten sich diese in Richtung der
Erde aus und treffen auf das irdische Magnetfeld, spricht man von einem
Sonnensturm. Kleinere Stürme machen sich durch bunt leuchtende Polarlichter in
hohen Breiten bemerkbar; stärkere Exemplare können in der Atmosphäre und zum
Teil sogar in Bodennähe so starke elektrische Ströme induzieren, dass
Funkübertragungen beeinträchtigt und Transformatoren zerstört werden.
Berühmtestes Beispiel ist das so genannte Carrington-Ereignis von 1859. Als
Folge des stärksten bisher bekannten Sonnensturms brach in weiten Teilen
Nordeuropas und Nordamerikas das Telegrafennetzwerk zusammen; Polarlichter waren
sogar in Rom, Mexiko und Kuba zu sehen.
Forschende gehen davon aus, dass ein ähnlich starker Sonnensturm heutzutage
deutlich weitreichendere Konsequenzen hätte – nicht zuletzt, weil die heutige
Infrastruktur empfindlich von Satelliten abhängt, die ebenfalls in
Mitleidenschaft gezogen werden können. Umso drängender ist das Anliegen, heftige
Ereignisse dieser Art vorhersagen zu können. "Extrem starke Sonnenstürme treten
nur sehr, sehr selten auf“, erklärt Dr. Theodosios Chatzistgeros vom
Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen. "Grundsätzlich
ist das natürlich gut, es erschwert aber die Erforschung dieser Ereignisse."
Um Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, bleibt Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern deshalb nur der Blick in die Vergangenheit. Etwa auf den
Sonnensturm vom 4. Februar 1872. Ähnlich wie beim Carrington-Ereignis waren auch
13 Jahre später Polarlichter in ungewöhnlich niedrigen Breiten zu sehen: Ein
rotes, blaues oder violettes Leuchten, gleißend helle Streifen und weitere
Lichterscheinungen zeigten sich Aufzeichnungen zur Folge etwa am Himmel über dem
heutigen Mumbai (Indien), über Khartum (Sudan) und über der Karibik. Auch von
weitreichenden Störungen des Telegraphenbetriebs wird berichtet. In einer jetzt
veröffentlichten Studie tragen Forscherinnen und Forscher bereits bekannte sowie
neu entdeckte Quellen zusammen und werten sie aus. Dabei blicken sie nicht nur
auf die außergewöhnlichen Vorgänge, die sich am 4. Februar 1872 auf der Erde
entfalteten, sondern schauen auch auf die Vorgänge auf der Sonne in den Tagen
davor.
An mehreren Observatorien wie etwa in den italienischen Städten Rom,
Palermo und Moncalieri gehörten im späten 19. Jahrhundert regelmäßige
Sonnenbeobachtungen zum wissenschaftlichen Alltag. Die Astronomen waren vertraut
mit dem etwa elfjährigen Sonnenfleckenzyklus, zeichneten Anzahl, Größe, Form und
Anordnung der dunklen Gebiete auf der Sonnenoberfläche sorgsam auf und konnten
zum Teil auch Eruptionen beobachten. Ihre Skizzen und Einträge lieferten den
Autorinnen und Autoren der aktuellen Studie entscheidende Informationen. So
fertigte etwa der Jesuitenpater Angelo Secchi, Leiter der Vatikansternwarte, in
den Tagen vor dem Sonnensturm detaillierte Handzeichnungen der Sonnenflecke an.
"Heute wissen wir, dass Sonnenflecken mit starken Magnetfeldern an der
sichtbaren Oberfläche der Sonne einhergehen. Oftmals sind sie Ausgangspunkt von
Sonneneruptionen", erklärt Chatzistergos. Die Zeichnungen Secchis und weiterer
Zeitgenossen aus den letzten Januar- und ersten Februartagen 1872 zeigen einen
sprunghaften Anstieg der Anzahl der Sonnenflecken. Die Autorinnen und Autoren
der aktuellen Studie konnten eine Gruppe von Sonnenflecken identifizieren, die
den Sonnensturm ausgelöst haben müssen. Zeit und Ort ihres Auftretens passen
genau. Dabei mutet die Ansammlung dunkler Flecken zunächst eher unspektakulär
an: Weder ihre Gesamtgröße noch die Abmessungen der einzelnen Flecken ist
außergewöhnlich. Allerdings folgt die Anordnung der Flecken innerhalb der Gruppe
nicht den typischen Gesetzmäßigkeiten. Die Magnetfeldarchitektur, auf die diese
Anordnung hinweise, habe das Potential eine große Menge an Energie freizusetzen,
so Chatzistergos.
Die Folgen des Ausbruchs zeigten sich auf der Erde schon bald. Am 4. Februar
1872 verkündeten Routinemessungen des Erdmagnetfeldes unter anderem aus
Greenwich (England), Tiflis (Georgien) und Mumbai (Indien) das Einsetzen des
Sturms. Die Daten erlauben es den Forschern einzugrenzen, wie stark der Sturm
das Erdmagnetfeld abgeschwächt haben muss. Beinah noch eindrucksvoller sind die
zahlreichen Sichtungen von Polarlichtern. Das Forschungsteam wertete Berichte in
Zeitungen, Chroniken und wissenschaftlichen Zeitschriften aus, sowie
Zeichnungen, Tage- und Schiffslogbucheinträge aus Asien, Europa, Afrika,
Australien und Amerika. Einige dieser Quellen waren zuvor nicht bekannt gewesen.
Die äquatornächsten Polarlichtsichtungen stammen demnach aus dem karibischen
Tobago, nur elf Breitengrade nördlich des Äquators. Insgesamt entsteht so ein
umfassendes Bild des Extrem-Sonnensturms: Neben dem Carrington-Ereignis von 1859
und einem weiteren Sturm von 1921 zählt der Sonnensturm von 1872 demnach zu den
drei heftigsten bisher bekannten Ereignissen. Seit Beginn des Weltraumzeitalters
ist kein so starker Sturm mehr aufgetreten.
Aktuell durchläuft die Sonne ihren sogenannten 25. Sonnenzyklus und nähert
sich ihrem nächsten Maximum an, das sie in etwa im Laufe des nächsten Jahres
erreichen dürfte. Die damit verbundenen häufigeren und stärkeren Sonnenstürme
haben sich in den vergangenen Wochen auch in Deutschland und sogar in Teilen
Südeuropas bemerkbar gemacht: Die kürzlich aufgetretenen Polarlichter waren
sogar in Teilen von Griechenland und Italien zu sehen. Dennoch sind extreme
Sonnenstürme wie das Carrington-Ereignis und der Sturm von 1872 eher seltene
Phänomene – selbst in Zeiten zunehmender Sonnenaktivität. Weitere Forschung zu
vergangenen Sonnenstürmen ist notwendig, um solche Ereignisse in Zukunft besser
zu verstehen.
Die Ergebnisse des Teams wurden in der Fachzeitschrift The Astrophysical
Journal veröffentlicht.
|