Der europäisch-japanische Umweltsatellit EarthCARE wird
Deutschland in Kürze Richtung Startplatz in Kalifornien verlassen. EarthCARE
soll wichtige Daten über die Wechselwirkungen von Aerosolen und Wolken in der
Erdatmosphäre liefern und damit entscheidende Informationen zur Dynamik des
Klimas. Dabei spielt auch das deutsche Forschungsflugzeug HALO eine
wichtige Rolle.
Ob Dürre und Hitze in Südeuropa oder extreme Starkregenereignisse in
Deutschland – die Sonneneinstrahlung ist die maßgebliche Größe für das
Klimageschehen und die Wetterdynamik auf unserer Erde, denn sie treibt die
Zirkulation in der Atmosphäre an. Diese Strahlung ist in der Lufthülle
allerdings sehr unterschiedlich verteilt und tritt dort zudem noch in
Wechselwirkung mit Wolken, Spurengasen und Aerosolen – Schwebeteilchen aus
kleinsten festen und flüssigen Partikeln. Um in naher Zukunft noch genauere
Vorhersagen machen zu können, muss die Forschung die bisher noch nicht so
gut bestimmbaren Parameter zu Aerosolen und Wolken global besser kennen und
deren Wechselwirkungen in der Erdatmosphäre entschlüsseln. Dadurch und mit
der Messung der Strahlungsdichte kennt man dann den Strahlungshaushalt
unseres Heimatplaneten wesentlich genauer, als man es heute tut.
Die europäische Weltraumorganisation ESA will daher gemeinsam mit der
japanischen Raumfahrtagentur JAXA voraussichtlich im Mai 2024 ihre bislang
größte und komplexeste Earth-Explorer-Erdbeobachtungsmission starten. Die
Deutsche Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
ist wesentlich in diese EarthCARE-Mission (Earth Cloud Aerosol and Radiation
Explorer) eingebunden – einer Mission im Rahmen des
ESA-Erdbeobachtungsprogramms FutureEO, in dem Deutschland von Beginn an
Programmführer ist und sich bis heute mit mehreren hundert Millionen Euro
beteiligt. Zusätzlich werden mehrere Millionen Euro aus dem Nationalen
Raumfahrtprogramm bereitgestellt, um die Nutzung der EarthCARE-Daten während
des Betriebs durch deutsche Forscherinnen und Forscher und ein Projektbüro
vorzubereiten und den Betrieb durch deutsche Forschungseinrichtungen und
Universitäten zu unterstützen. Letztere leisten einen der wesentlichsten
Beiträge in Europa zur Validierung und werden durch eine Flugkampagne, mit
dem deutschen Forschungsflugzeug HALO (High Altitude and Long Range Research
Aircraft) substantiell unterstützt. Diese Kampagne wird vom DLR-Institut für
Physik der Atmosphäre und dem Max-Planck-Institut für Meteorologie
koordiniert.
"Die europäisch-japanische Erdbeobachtungsmission EarthCARE wird unser
Verständnis zu Klima- und Wetterphänomenen maßgeblich vorantreiben. Dass
dieser größte und komplexeste Earth-Explorer-Satellit im
Erdbeobachtungsprogramm der ESA in Deutschland gebaut wurde und deutsche
Firmen und Wissenschaftseinrichtungen zudem weitere wichtige Bestandteile
dieser Mission beisteuern können, zeigt die Spitzenposition, die Deutschland
in der internationalen Erdbeobachtung inne hat", betont Dr. Walther Pelzer,
DLR-Vorstand und Generaldirektor der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR, am
1. Februar 2024 anlässlich des Verabschiedungsevents beim deutschen
Hauptauftragnehmer Airbus in Friedrichshafen. Der 17,2 Meter lange (inklusiveelf
Meter Solarpanele), 2,5 Meter breite, 3,5 Meter hohe und rund 2200 Kilogramm
schwere EarthCARE-Satellit geht nun via Flugzeug auf die Reise nach
Vandenberg im US-amerikanischen Kalifornien, wo er an Bord einer
Falcon-9-Rakete des US-Raumfahrtkonzerns SpaceX in seinen Zielorbit in 393
Kilometer Höhe gebracht werden soll.
Auf EarthCARE sind vier sich gegenseitig ergänzende Instrumente
untergebracht. Durch die Aussendung von Lichtimpulsen eines Lasers und die
Analyse der reflektierten Signale wird mit dem Atmosphären-Lidar ATLID, an
dem auch das deutsche Unternehmen Tesat aus Backnang beteiligt ist, ein
vertikales Profil in der Erdatmosphäre von Aerosolen und Wolken
einschließlich ihrer Eigenschaften wie Höhe, Dichte und Aerosoltyp erstellt.
Die bisher nie erreichte Genauigkeit dieser Information wird entscheidend
die Verbesserung der Vorhersagen aus Klimamodellen voranbringen und das
Verständnis der Rolle von Aerosolen und Wolken in der Energiebilanz unserer
Erde vertiefen.
Mit dem von der JAXA bereitgestellten Wolkenprofilradar CPR (Cloud
Profiling Radar) kann EarthCARE das "Innenleben" von Wolken beobachten und
detaillierte Einblicke in deren vertikale Struktur und Geschwindigkeit,
Partikelgrößenverteilung und Wassergehalt liefern, um zum Beispiel der
Bildung und Auflösung von Wolken auf die Spur zu kommen. Während das
Atmosphären-Lidar und das Wolkenradar Profile der Atmosphäre in einem eher
dünnen "Vorhang" direkt unter dem Satelliten erstellen, misst der
Multi-Spektral-Imager MSI von EarthCARE in einem viel größeren Sichtfeld.
Das Instrument nimmt hochauflösende Bilder in mehreren Spektralbändern des
sichtbaren und infraroten Lichtspektrums auf. So können Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler zwischen verschiedenen Arten von Wolken, Aerosolen und
der Erdoberfläche unterscheiden und zudem zusätzliche Informationen über die
optischen Eigenschaften von Wolken und Aerosolen erhalten, um mehr über ihre
Zusammensetzung und Verteilung zu erfahren. Durch die Zusammenführung der
Lidar-, Radar- und Multispektraldaten werden dreidimensionale Informationen
über Wolken und Aerosole verfügbar sein.
Das vierte Instrument an Bord ist das Breitbandradiometer BBR (Broad-Band
Radiometer), das die reflektierte Strahlung in der Atmosphäre aus drei
Richtungen vermisst. "So kann die Menge der reflektierten Sonnenstrahlung
und der von der Erde ausgehenden Wärmestrahlung bestimmt werden. Diese
Messungen werden mit der aus den kombinierten Beobachtungen der anderen
Instrumente berechneten Strahlung kombiniert und damit unser derzeitiges
Verständnis der Wechselwirkung zwischen Aerosolen, Wolken und Energiebilanz
unseres Planeten entscheidend verbessern", erklärt Dr. Albrecht von Bargen,
der die EarthCARE-Mission bei der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR betreut.
Zusammen bieten diese vier leistungsstarken Instrumente einen noch nie
dagewesenen Einblick in das "Innenleben" unserer Erdatmosphäre. "Doch
EarthCARE ist nur dann leistungsstark, wenn die Instrumente richtig
eingestellt sind. Dafür müssen die Messergebnisse im Weltraum immer wieder
mit weiteren Messdaten aus der Luft und vom Boden verglichen werden. Das
machen wir unter anderem in einer dreigeteilten Validierungskampagne, für
die wir das Forschungsflugzeug HALO mit vier Instrumenten bestückt haben,
die mit denen von EarthCARE vergleichbar sind", erklärt Dr. Silke Groß, die
im DLR-Institut für Physik in der Atmosphäre diese Kampagnen leitet.
Im August 2024 beginnen die Messflüge, koordiniert vom DLR-Institut für
Physik der Atmosphäre und dem Max-Plack-Institut für Meteorologie zusammen
mit dem Leipziger Institut für Meteorologie sowie den Universitäten Hamburg,
Köln und München von den Kapverden aus. Dort wird die Validierung durch
Bodenmessungen des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS)
unterstützt. Im September geht es für HALO weiter nach Barbados, wo das
Max-Planck-Institut für Meteorologie die Messflügen durch Bodenmessungen
begleitet. Anschließend kehrt HALO zum DLR nach Oberpfaffenhofen zurück, wo
im Herbst nochmal umfangreiche Flüge über Europa, dem extratropischem
Nordatlantik und über die Alpen bis zum Mittelmeer unternommen werden
sollen.
Mit den drei Flugzielen verfolgen die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler unterschiedliche Ziele: "Über den Kapverden haben wir eine
komplexe Situation unterschiedlicher Aerosole und Wolken, von flacher zu
hochreichender Bewölkung, und können besonders gut die Wechselwirkung dieser
Schwebeteilchen untersuchen. Bei den Flügen rund um Barbados erwarten wir
eine geänderte Wolken- und Aerosolstruktur. Und mit den Flügen von
Oberpfaffenhofen aus, untersuchen wir bei Flügen aus den Extratropen, über
die Alpen bis in den Mittelmeerraum Aerosole und Wolken, die sich noch
einmal deutlich von denen der anderen Flugziele unterscheiden. Dadurch haben
wir ein möglichst großes Spektrum abgedeckt", erklärt Groß. Bei vielen
dieser Flüge wird HALO genau unter dem EarthCARE-Satelliten fliegen, so dass
die Messungen vom Satelliten, vom Forschungsflugzeug und von den
Bodenstationen exakt vergleichbar sind.
Die vier Instrumente liefern gemeinsam Informationen für insgesamt 40
verschiedene Datenprodukte – zum Beispiel zur Wolkenbildung und
-klassifizierung, zur Zusammensetzung der Aerosolschicht, zum
Strahlungshaushalt der Atmosphäre aber auch zu Regen- und
Schneeeigenschaften wie der genauen Tropfen- und Flockengröße. Rund die
Hälfte der geophysikalischen Parameter aus den Datenprodukten werden direkt
aus den Messungen eines einzelnen der vier Instrumente abgeleitet. Bei der
anderen Hälfte werden diese Datenprodukte in weiterführenden Algorithmen
genutzt, um synergetische geophysikalische Größen abzuleiten. Die
Entwicklung dieser Rechenprozesse wurde von der ESA unter anderem mit
maßgeblichen Anteilen an das TROPOS und die FU Berlin vergeben und findet
damit auch in Deutschland statt.
"Die Algorithmenentwicklung ist aus der Erdbeobachtung schon seit Jahren
nicht wegzudenken. Sie erlaubt es aus Rohdaten kalibrierte Information
bereitzustellen und daraus wiederum geophysikalische Größen mithilfe von
Rechenvorschriften anhand von physikalischen Zusammenhängen abzuleiten. Ohne
Algorithmen ist auch die EarthCARE-Mission nicht vorstellbar. Sie helfen den
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dabei, das Optimum an Information
aus den eigentlichen Messungen herauszuholen wie zum Beispiel die von TROPOS
zur Verfügung gestellte Algorithmen zur Berechnung der Wolkenobergrenze und
Aerosolparametern aus ATLID-Messdaten. Künftig werden wir wie bei anderen
Erdbeobachtungsmissionen auch erwarten können, dass KI-basierte Ansätze –
natürlich streng anhand der Geophysik evaluiert – verfolgt werden, um
vertiefte weiterführende Auswertungen durchzuführen“, erklärt von Bargen.
Um diesen Datenschatz und deren Nutzung allen interessierten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und einem erweiterten Kreis in
Deutschland weitergehend zu erläutern und zugängig zu machen, wurde bei der
Ludwigs-Maximilians-Universität in München ein Projektbüro eingerichtet,
dass die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR mit Mitteln aus dem Nationalen
Raumfahrtprogramm fördert.