Erdähnliche Planeten entstehen auch unter extremen Bedingungen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
4. Dezember 2023
Mit dem James Webb Space Telescope (JWST) konnte
nun erstmals der innere Bereich von protoplanetaren Scheiben in einem sehr
massereichen Sternentstehungsgebiet untersucht werden und damit die Region, in
der erdähnliche Planeten entstehen sollten. Das Ergebnis: Trotz der extremen
Bedingungen entstehen solche Planeten offenbar auch dort.
Künstlerische Darstellung des massereichen
Sternentstehungsgebiets mit der planetenbildenden Scheibe
XUE-1 im Vordergrund. Die Region ist in das UV-Licht
massereicher Sterne getaucht, von denen einer in der oberen
linken Ecke zu sehen ist. Die Struktur in der Nähe der Scheibe
stellt die Moleküle und den Staub dar, die von den Forschenden
in den jetzt veröffentlichten neuen Beobachtungen gefunden
wurden.
Bild:
Maria Cristina Fortuna (www.mariacristinafortuna.com) [Großansicht] |
Das jetzt vorgestellte Ergebnis von Beobachtungen mit dem James Webb
Space Telescope (JWST) ist eine gute Nachricht für erdähnliche Planeten und
für Leben im Universum: Solche Planeten können sich offenbar unter
vielfältigsten Bedingungen bilden. Astronominnen und Astronomen haben
Wasser- und kohlenstoffhaltige Moleküle in einer Gas- und Staubscheibe um einen
jungen sonnenähnlichen Stern gefunden, der sich in einer der unwirtlichsten
Regionen unserer Galaxis befindet.
Scheiben dieser Art um neu entstehende Sterne sind die Orte, an denen
Planeten entstehen. Sie heißen deswegen auch protoplanetare Scheiben. Ein Team
von Forschenden unter der Leitung von María C. Ramírez-Tannus vom
Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) hat mit dem
James-Webb-Weltraumteleskop einen Blick in den inneren Bereich einer solchen
Scheibe geworfen – denjenigen Teilbereich, in dem sich typischerweise
erdähnliche Planeten bilden: Planeten mit einer dünnen Atmosphäre rund um eine
Kugel aus Gestein. Die Scheibe, der das Team den Namen XUE-1 gegeben hat, ist
der intensiven UV-Strahlung der umliegenden heißen, massereichen Sterne in jener
Region ausgesetzt. Doch selbst in dieser rauen Umgebung wurden bei den
Beobachtungen sowohl Wasser als auch einfache organische Moleküle nachgewiesen.
Ramírez-Tannus sagt: "Dieses Ergebnis ist unerwartet und aufregend! Es zeigt,
dass selbst in den unwirtlichsten Umgebungen unserer Galaxie günstige
Bedingungen für die Entstehung erdähnlicher Planeten und der Zutaten für Leben
vorhanden sind."
Die neuen Beobachtungen sind die ersten ihrer Art. Bisherige
Detailbeobachtungen von protoplanetaren Scheiben waren auf uns vergleichsweise
nahe Sternentstehungsgebiete beschränkt, die allerdings keine massereichen
Sterne enthalten. Massereiche Sternentstehungsgebiete sind etwas ganz Anderes:
Dort bilden sich zahlreiche Sterne in etwa zeitgleich, darunter auch einige der
seltenen, aber extrem leuchtstarken, sehr massereichen Sterne. Während des
"goldenen Zeitalters" der Sternentstehung im Universum, vor rund zehn Milliarden
Jahren, fand die meiste Sternentstehung in solchen massereichen Haufen statt.
Insgesamt wurden mehr als die Hälfte aller Sterne in unserem Universum –
einschließlich unserer eigenen Sonne – in massereichen Sternentstehungsgebieten
geboren, zusammen mit ihren Planeten. Bisher war jedoch nichts über die
Auswirkungen solch unwirtlichen Umgebungen auf die inneren Regionen von Scheiben
bekannt, in denen sich vermutlich terrestrische Planeten bilden werden.
Massereiche Sterne sind zwangsläufig sehr hell und strahlen große Mengen
hochenergetischer UV-Strahlung ab. Es war eine offene Frage, ob diese intensive
Strahlung die Bildung von Planeten wie der Erde um sonnenähnliche Sterne stören
oder sogar weitgehend verhindern würde. Wäre dies der Fall, dann wäre es zwar
nicht unmöglich, aber sehr selten, dass in solchen massereichen Sternhaufen
erdähnliche Planeten entstehen würden. Eine Reihe von Überlegungen wiesen genau
in diese Richtung: Zum Beispiel treibt die UV-Strahlung der massereichen Sterne
das Gas in den äußeren Scheibenbereichen auseinander. Das wiederum hemmt das
Wachstum von Staubteilchen und ihren Weg in die inneren Scheibenbereiche. Solche
Staubteilchen sind nun aber wichtige Bausteine erdähnlicher Planeten (und auch
der Kerne von Riesenplaneten wie Jupiter oder Saturn). Auf diese Weise könnte
die UV-Strahlung die Chancen für die Entstehung erdähnlicher Planeten deutlich
vermindern.
Bisherige Beobachtungen haben nicht ausgereicht, um diese Frage zu
beantworten. Im heutigen Universum sind massereiche Sternentstehungsgebiete
vergleichsweise selten, und selbst die uns nächstgelegenen sind weit von uns
entfernt. Bis vor kurzem gab es daher keine Möglichkeit, kleine Scheiben um
sonnenähnliche Sterne hinreichend genau zu beobachten. Die wenigen
protoplanetaren Scheiben, die nahe genug waren, dass sie im Detail beobachtet
werden konnten, befinden sich sämtlich in ruhigen Sternentstehungsgebieten. Dort
fehlt die intensive UV-Strahlung massereicher Sterne; entsprechend lässt sich
die Frage nach deren schädlichem Einfluss durch die Beobachtung solcher ruhigen
Gebiete gar nicht beantworten.
Die Inbetriebnahme des JWST änderte die Situation grundlegend. Sobald das
Teleskop für wissenschaftliche Beobachtungen verfügbar wurde, bewarben sich
Ramírez-Tannus und die XUE-Kollaboration (XUE steht für "eXtreme UV environments",
deutsch sinngemäß "Regionen mit extremem Einfluss von UV-Strahlung") erfolgreich
für die Beobachtung des Sternentstehungsgebiets NGC 6357. Mit einer Entfernung
von 5500 Lichtjahren von der Erde ist dies eines der nächstgelegenen
massereichen Sternentstehungsgebiete. Es ist auch das vielversprechendste
Beobachtungsziel für die Beantwortung der Frage nach dem möglichen Einfluss von
UV-Strahlung auf die inneren Gebiete der Scheibe: NGC 6357 enthält rund ein
Dutzend leuchtkräftiger, massereicher Sterne, die dafür sorgen, dass einige der
in der Region sichtbaren planetenbildenden Scheiben während des größten Teils
ihrer Existenz intensiver UV-Strahlung ausgesetzt waren. Auch die Vielfalt ist
ein wichtiger Faktor: Die Region enthält eine Vielzahl von Scheiben, von denen
einige mehr, andere weniger Strahlung ausgesetzt waren und sind.
"Wenn intensive Strahlung die Bedingungen für die Planetenbildung in den
inneren Regionen protoplanetarer Scheiben erschwert, dann ist NGC 6357 der Ort,
an dem wir diesen Effekt sehen sollten", sagt Arjan Bik von der Universität
Stockholm. Die Beobachtungsdaten, die in diesem Falle aufgenommen werden, sind
sogenannte Spektren, also regenbogenartige Zerlegungen des Lichts, die
Schätzungen über das Vorhandensein bestimmter Moleküle in der beobachteten
Region ermöglichen. Zu ihrer Überraschung stellten Ramírez-Tannus und ihre
Kollegen fest, dass sich zumindest eine der Scheiben in NGC 6357, eben XUE-1, in
Bezug auf das Vorhandensein (und die Eigenschaften) von Schlüsselmolekülen in
den inneren Scheibenregionen nicht grundlegend von ihren Gegenstücken in
massearmen Sternentstehungsgebieten unterscheidet.
"Wir haben in den innersten Regionen von XUE-1 eine Fülle von Wasser,
Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Cyanwasserstoff und Acetylen gefunden", sagt
Ramírez-Tannus. "Dies liefert wertvolle Hinweise darauf, wie die ursprünglichen
Atmosphären der entstehenden erdähnlichen Planeten zusammengesetzt sein
dürften." Die Forscher fanden auch Silikatstaub in ähnlichen Mengen wie in
massearmen Sternentstehungsgebieten. Dies ist das erste Mal, dass solche
Moleküle unter solchen extremen Bedingungen nachgewiesen wurden.
Diese Beobachtungen sind eine gute Nachricht für erdähnliche Planeten und für
das Leben im Universum allgemein: Offenbar können sich in den inneren Regionen
protoplanetarer Scheiben um sonnenähnliche Sterne selbst in den unwirtlichsten
Sternentstehungsgebieten in ähnlicher Weise erdähnliche Gesteinsplaneten bilden
wie in den ruhigeren, masseärmeren Gebieten. Die entsprechenden Scheibenregionen
sind sogar reich an Wasser, einer notwendigen Zutat für Leben, wie wir es
kennen. Ob dies insgesamt zu einer großen Anzahl von erdähnlichen Planeten
führt, die in solchen Umgebungen entstehen, können die Forscher nicht anhand
einer einzigen Scheibe feststellen. Die XUE-Kollaboration geht mit ihren
Beobachtungen daher jetzt noch einen Schritt weiter: mit einer
JWST-Durchmusterung von 14 weiteren Scheiben in verschiedenen Teilen von NGC
6357, mit der die Forschenden der Klärung der Frage nach der Gesamtanzahl
erdähnlicher Planeten einen großen Schritt näher kommen dürften.
Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Astrophysical Journal
Letters veröffentlicht.
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