Das Geheimnis von Pulsar PSR J1023
von
Stefan Deiters astronews.com
30. August 2023
Durch Beobachtungen mit zwölf Teleskopen auf der Erde und im
All konnte jetzt das Geheimnis eines 4500 Lichtjahre entfernten Pulsars gelüftet
werden, dessen eigentümliches Verhalten bislang Rätsel aufgegeben hat.
Offenbar sorgen Materieauswürfe des Pulsars für den beobachteten
Helligkeitswechsel des schnell rotierenden Sternrests.
Künstlerische Darstellung des Pulsars PSR J1023+0038.
Bild: ESO / M. Kornmesser [Großansicht] |
"Wir sind Zeuge von ungewöhnlichen kosmischen Ereignissen geworden, bei
denen enorme Mengen an Materie innerhalb von nur einigen zehn Sekunden von
einem kleinen, dichten und sehr schnell rotierenden Himmelsobjekt ins Weltall
geschleudert werden - ähnlich wie kosmische Kanonenkugeln", berichtet Maria
Cristina Baglio von der New York University Abu Dhabi, die auch dem
italienischen Istituto Nazionale di Astrofisica INAF angehört.
Ein Pulsar ist ein schnell rotierender, magnetischer Neutronenstern, der
Überrest einer Supernova-Explosion. Von ihm geht ein enggebündelter Strahl
elektromagnetischer Strahlung aus. Während der Pulsar sich dreht, überstreicht
dieser Strahl das All, ganz ähnlich wie ein Lichtstrahl eines Leuchtturms. Wir können
einen Pulsar immer dann sehen, wenn sein Strahl die Sichtlinie zur Erde schneidet. Dadurch
scheint der Stern von uns aus gesehen in seiner Helligkeit zu pulsieren.
Der Pulsar PSR J1023+0038, oder kurz J1023, zeigt allerdings nicht das
typische Verhalten eines Pulsars: Der rotierende Stern befindet sich in etwa
4500 Lichtjahre Entfernung im Sternbild Sextant und kreist in nur geringem
Abstand um einen anderen Stern. Von diesem Begleiter hat der Pulsar in den
letzten Jahren Materie abgezogen, die sich dann in einer Scheibe um den Pulsar
angesammelt hat und von dort langsam auf ihn hinunterfällt.
Seit der Pulsar damit begonnen, Materie von seinem Begleiter
abzuziehen, ist der Strahl, der bislang das Pulsieren des Objektes ausgelöst
hat, praktisch verschwunden. Stattdessen wechselte PSR J1023 unaufhörlich
zwischen zwei Modi: Im "High"-Modus strahlt der Pulsar helles Röntgenlicht,
ultraviolettes und sichtbares Licht ab, während er im "Low"-Modus bei diesen
Frequenzen schwächer ist und mehr Radiowellen aussendet. Der Pulsar kann mehrere
Sekunden oder Minuten lang in jedem Modus bleiben und dann innerhalb weniger
Sekunden in den anderen Modus wechseln. Dieses "Umschalten" hat die Wissenschaft
bisher vor ein Rätsel gestellt.
"An unserer bislang einmaligen Beobachtungskampagne, die das Verhalten dieses
Pulsars aufklären sollte, waren ein Dutzend moderner erdgebundener und
weltraumgestützter Teleskope beteiligt", sagt Francesco Coti Zelati vom
Institut de Ciències de l'Espai im spanischen Barcelona. So wurden die
Beobachtungen beispielsweise vom Very Large Telescope und vom New Technology Telescope der europäischen Südsternwarte ESO unterstützt, sowie vom
Atacama
Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA). Auch der europäische
Röntgensatellit XMM-Newton und das Weltraumteleskop Hubble
waren beteiligt. Die Beobachtungen fanden während
zweier Nächte im Juni 2021 statt. Dabei schwankte der Pulsar mehr als 280 Mal
zwischen seinen beiden Modi.
"Wir haben festgestellt, dass der Moduswechsel auf ein kompliziertes
Wechselspiel zwischen dem Pulsarwind, einem Strom hochenergetischer Teilchen,
die vom Pulsar wegblasen werden, und der Materie, die auf den Pulsar zuströmt,
zurückzuführen ist", sagt Coti Zelati vom INAF ist.
Im "Low"-Modus wird die Materie, die auf den Pulsar zufließt, in einem
schmalen Jet senkrecht zur Scheibe ausgestoßen. Nach und nach sammelt sich
dieses Material immer mehr in der Nähe des Pulsars an und wird dabei vom Wind
getroffen, der vom Pulsar ins All geblasen wird. Dadurch wird die Materie
erhitzt und leuchtet hell im Röntgen-, Ultraviolett- und sichtbaren Licht. Das
System
befindet sich damit im "High"-Modus. Schließlich werden Teile dieser heißen
Materie über den Jet entfernt. Da nun weniger heiße Materie in der Scheibe
vorhanden ist, leuchtet das System weniger hell und schaltet praktisch zurück in
den "Low"-Modus.
Auch wenn das Rätsel um die eigentümlichen Schwankungen dieses Pulsars nun
gelöst scheint, bleibt J1023 ein spannender Forschungsgegenstand. So könnten
etwa Teleskope der kommenden Generation, wie das Extremely Large Telescope
(ELT), ganz neue Einblicke in das System erlauben: "Das ELT wird es uns
ermöglichen, wichtige Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie die Häufigkeit,
Verteilung, Dynamik und Energie der einströmenden Materie um den Pulsar durch
das Verhalten der Modenumschaltung beeinflusst wird", blickt Sergio Campana,
Forschungsdirektor am Osservatorio Astronomico di Brera in Mailand, in
die Zukunft.
Über die Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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