Blick ins Innere eines Kohlenstoff-Atoms
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bonn astronews.com
22. August 2023
Einem Forschungsteam ist es gelungen, sämtliche bekannten
Energiezustände des Kohlenstoff-Kerns zu simulieren, darunter auch den
rätselhaften Hoyle-Zustand. Gäbe es ihn nicht, würden Kohlenstoff und Sauerstoff
im Weltall nur in winzigen Spuren vorkommen. Somit verdanken wir diesem Zustand
auch unsere eigene Existenz.
Die Neutronen und Protonen liegen im
Kohlenstoffkern als drei Vierercluster vor. Diese können je
nach Energiezustand des Kerns zu einem gleichseitigen Dreieck
(links) oder wie ein leicht gebeugter Arm (rechts) angeordnet
sein. Bild:
Prof. Serdar Elhatisari / Universität Bonn [Großansicht] |
Der Kern eines Kohlenstoff-Atoms besteht normalerweise aus sechs Protonen und
sechs Neutronen. Doch wie sind diese genau angeordnet? Und wie ändert sich ihre
Konfiguration, wenn man den Kern mit energiereicher Strahlung beschießt? Seit
Jahrzehnten sucht die Wissenschaft nach Antworten auf diese Fragen. Denn sie
könnten nicht zuletzt den Schlüssel zu einem Rätsel liefern, das Physikerinnen
und Physiker schon lange umtreibt: Warum findet sich im All überhaupt eine
nennenswerte Menge Kohlenstoff - also eines Atoms, ohne das es auf der Erde kein
Leben geben würde?
Kurz nach dem Urknall gab es nämlich nur Wasserstoff und Helium. Der
Wasserstoff-Kern besteht aus einem einzigen Proton, der von Helium aus zwei
Protonen und zwei Neutronen. Alle schwereren Elemente wurden erst viele
Milliarden Jahre später von alternden Sternen erbrütet. Bei immensem Druck und
extrem hohen Temperaturen verschmolzen in ihnen Helium- zu Kohlenstoff-Kernen.
Dazu müssen drei Helium-Kerne miteinander fusionieren. "Doch dass das passiert,
ist eigentlich sehr unwahrscheinlich", erklärt Prof. Dr. Ulf Meißner vom
Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn und vom
Institute for Advanced Simulation des Forschungszentrums Jülich. Der Grund:
Die Helium-Kerne haben zusammengenommen eine viel höhere Energie als ein
Kohlenstoff-Kern. Das sorgt aber nicht etwa dafür, dass sie besonders
bereitwillig fusionieren - im Gegenteil: Es ist, als wollten drei Personen auf
ein Karussell aufspringen. Da sie aber viel schneller laufen, als sich das
Karussell dreht, gelingt ihnen das nicht.
Schon in den 1950er Jahren postulierte der britische Astronom Fred Hoyle
daher, dass sich die drei Helium-Kerne zunächst zu einer Art Übergangs-Zustand
zusammenfinden. Dieser "Hoyle-Zustand" hat eine ganz ähnliche Energie wie die
Helium-Kerne. Um im Bild zu bleiben: Es ist eine schneller drehende Variante des
Karussells, auf die die drei Passagiere daher problemlos aufspringen können.
Wenn das geschehen ist, bremst das Karussell auf seine normale Geschwindigkeit
ab. "Nur auf dem Umweg über den Hoyle-Zustand können Sterne überhaupt in
nennenswerter Menge Kohlenstoff erbrüten", sagt Meißner, der auch Mitglied in
den Transdisziplinären Forschungsbereichen "Modelling" und "Matter" der
Universität Bonn ist.
Vor gut zehn Jahren ist es ihm zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus den
USA, vom Forschungszentrum Jülich und von der Ruhr-Universität Bochum zum ersten
Mal gelungen, diesen Hoyle-Zustand zu simulieren. "Wir hatten damals bereits
eine Vorstellung davon, wie die Protonen und Neutronen des Kohlenstoff-Kerns in
diesem Zustand angeordnet sind", erklärt er. "Wir konnten aber nicht sicher
nachweisen, dass diese Vorstellung auch zutrifft." Mithilfe einer
weiterentwickelten Methode ist das den Forschenden nun gelungen. Diese basiert
im Grunde auf einer Freiheitsberaubung: In der Realität können sich die Protonen
und Neutronen - die Nukleonen - nämlich an beliebigen Stellen im Raum aufhalten.
Für ihre Berechnungen schränkte das Team diese Freiheit jedoch ein: "Wir
ordneten unsere Kernteilchen auf den Knotenpunkten eines dreidimensionalen
Gitters an", erläutert Meißner. "Wir erlaubten ihnen also nur bestimmte, streng
definierte Positionen."
Dank dieser Einschränkung war es möglich, die Bewegung der Nukleonen zu
berechnen. Da die Kernteilchen sich je nach Abstand zueinander gegenseitig
unterschiedlich stark beeinflussen, ist diese Aufgabe sehr komplex. Die
Forschenden ließen ihre Simulation zudem mehrere Millionen Mal mit leicht
veränderten Startbedingungen laufen. Sie konnten so sehen, wo sich die Protonen
und Neutronen mit der größten Wahrscheinlichkeit aufhielten. "Diese
Kalkulationen haben wir für sämtliche bekannten Energiezustände des
Kohlenstoff-Kerns durchgeführt", sagt Meißner.
Die Berechnungen erfolgten am Supercomputer JEWELS des Forschungszentrums
Jülich. Insgesamt erforderten sie rund fünf Millionen Prozessor-Stunden, wobei
viele Tausend Prozessoren gleichzeitig arbeiteten. Die Ergebnisse liefern
gewissermaßen Bilder aus dem Kohlenstoff-Kern. Sie belegen unter anderem, dass
die Kernteilchen nicht unabhängig voneinander vorliegen. "Stattdessen sind sie
zu Gruppen aus je zwei Neutronen und zwei Protonen geclustert", erklärt der
Physiker. Im Grunde sind die drei Helium-Kerne also noch nach ihrer
Verschmelzung zum Kohlenstoff-Kern nachweisbar. Je nach Energiezustand liegen
sie in unterschiedlichen räumlichen Formationen vor - entweder angeordnet zu
einem gleichschenkligen Dreieck oder wie ein leicht gebeugter Arm, bei dem
Schulter, Ellbogengelenk und Handgelenk jeweils von einem Cluster besetzt sind.
Die Studie erlaubt es Forschenden nicht nur, die Physik des Kohlenstoff-Kerns
besser zu verstehen. "Die von uns entwickelten Methoden lassen sich auch
problemlos zur Simulation anderer Kerne nutzen und werden sicher zu ganz neuen
Einblicken führen", so Meißner.
Über die Ergebnisse berichtete das Team in der Zeitschrift Nature
Communications.
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