Masseärmster Neutronenstern oder exotischer Quarkstern?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Tübingen astronews.com
27. Oktober 2022
Der leichteste bisher bekannte Neutronenstern könnte sich im
Zentrum des Supernova-Überrests HESS J1731-347 befinden. Neue Berechnungen
ergaben, dass das Objekt nur etwa die Hälfte der Masse eines typischen
Neutronensterns aufweist. Allerdings ist noch unklar, ob es sich bei dem Stern
tatsächlich um einen Neutronenstern handelt oder nicht sogar um einen noch
exotischeren Quarkstern.
Neutronensterne entstehen, wenn normale Sterne mit großer Masse ihr stellares
Leben in einer Supernova-Explosion beenden. Es handelt sich um extreme Objekte,
die sozusagen als Himmelslabore für Studien der physikalischen
Grundlagenforschung genutzt werden können. "Neutronensterne weisen noch
unbekannte Eigenschaften von Materie auf, sie haben eine viel höhere Dichte als
Atomkerne", unterstreicht Dr. Victor Doroshenko von der Abteilung
Hochenergieastrophysik am Institut für Astronomie und Astrophysik der
Universität Tübingen, der Hauptautor einer jetzt vorgestellten Studie. Solche
Bedingungen könnten in irdischen Laboren nicht nachgebildet werden.
"Beobachtungen von Neutronensternen im All mit Röntgen- oder anderen Teleskopen
werden uns erlauben, die Rätsel der superdichten Materie zu lösen – zumindest,
wenn wir Herausforderungen wie die bei der Beobachtung entstehende Unschärfe bei
den Entfernungsmessungen in den Griff bekommen. Genau das ist uns nun gelungen."
Der Neutronenstern im Zentrum des Supernova-Überrests HESS J1731-347 war
einer von einer Handvoll von Objekten, die bei Messungen der Gammastrahlung mit
den H.E.S.S.-Teleskopen in Namibia entdeckt und anschließend durch
Röntgenteleskope aus dem All untersucht wurden. "Erst dadurch wurde der sich
abkühlende Neutronenstern sichtbar", ergänzt Dr. Gerd Pühlhofer, ebenfalls von
der Universität Tübingen. Die Besonderheit dieses Objekts ist, wie das gleiche
Forschungsteam bereits früher festgestellt hatte, dass es mit einem weiteren
Stern physikalisch verbunden ist. Er beleuchtet die Staubhülle um den
Neutronenstern und taucht sie in infrarotes Licht.
Der Begleitstern wurde kürzlich durch das Gaia-Weltraumteleskop der
europäischen Weltraumorganisation ESA, was dem Forschungsteam eine akkurate
Entfernungsmessung zu beiden Objekten lieferte. Bei der Gaia-Mission wird der
Himmel hochgenau dreidimensional optisch durchmustert. "Dadurch konnten wir
vorherige Ungenauigkeiten beheben und unsere Modelle verbessern. Masse und
Radius des Neutronensterns ließen sich viel genauer bestimmen, als es bisher
möglich war", erklärt Dr. Valery Suleimanov aus der Theoretischen Astrophysik in
Tübingen. Nach Berechnungen des Forschungsteams besitzt er nur etwa die Hälfte
der Masse eines typischen Neutronensterns.
Noch sei nicht klar, wie sich das ungewöhnliche Objekt gebildet hat. Auch
würde es Zweifel geben, ob es sich tatsächlich um einen Neutronenstern handelt
oder ob das Objekt Kandidat für ein noch viel exotischeres Objekt ist, das aus
seltsamer Quark-Materie besteht, so Professor Andrea Santangelo, ebenfalls aus
Tübungen: "Das ist aktuell der vielversprechendste Quarkstern-Kandidat, den wir
bisher kennen, auch wenn seine Eigenschaften mit denen eines 'normalen'
Neutronensterns übereinstimmen."
Doch selbst in dem Fall, dass es sich bei dem Objekt im Zentrum von HESS
J1731-347 um einen Neutronenstern handele, bleibe es ein besonders interessantes
Objekt. "Es erlaubt uns, den noch unerforschten Teil des Parameterraums in der
Masse-Radius-Ebene von Neutronensternen zu untersuchen. So erhalten wir
wertvolle Hinweise auf die Zustandsgleichung der dichten Materie, mit der sich
ihre Eigenschaften beschreiben lassen", betont Santangelo.
Die Studie wurde nun in der Zeitschrift Nature Astronomy
veröffentlicht.
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