Der entfernteste je beobachtete Stern?
von
Stefan Deiters astronews.com
31. März 2022
Astronominnen und Astronomen glauben mithilfe des
Weltraumteleskops Hubble den bislang am weitesten entfernten Stern
entdeckt zu haben. Die von ihnen auf den Namen Earendel getaufte Sonne sehen wir
zu einer Zeit, in der das Universum noch nicht einmal eine Milliarde Jahre alt
war. Der Fund gelang nur dank eines massereichen Galaxienhaufens, der als
Gravitationslinse wirkte.

Blick auf den vermuteten Stern Earendel (Pfeil) in der durch
den Gravitationslinseneffekt zu einem länglichen Bogen
verzerrten Galaxie.
Bild: ESO / L. Calçada, ALMA (ESO/NAOJ/NRAO)
/ A. Pohl, van der Marel et al., Brunken et al. [Großansicht] |
Bestätigt sich die gestern vorgestellte Entdeckung, wäre dies ein gewaltiger
Sprung im Vergleich zum vorherigen Rekordhalter. Diesen 2018 entdeckten Stern
sehen wir nämlich zu einer Zeit, in der das Universum rund vier Milliarden Jahre
alt war, was etwa 30 Prozent des aktuellen Alters des Universums entspricht. Die
Rotverschiebung, ein Maß dafür, wie weit das Licht eines Objektes durch die
Expansion des Universums ins Rote verschoben wurde, lag für diesen Stern bei z =
1,5, wobei größere Zahlen hier eine größere Entfernung bzw. einen größeren Blick
in die Vergangenheit bedeuten.
Der jetzt entdeckte Stern befindet sich bei einer Rotverschiebung von z = 6,2
und das Licht benötigte 12,9 Milliarden Jahre, um die Erde zu erreichen. Damit
sehen wir das Objekt zu einer Zeit, in der noch nicht einmal eine Milliarde
Jahre seit dem Urknall vergangen waren. Bislang hatte man in dieser Entfernung
als kleinste Strukturen nur größere Objekte wie Sternhaufen identifizieren
können, die sich innerhalb von jungen Galaxien befanden.
"Wir hätten es zuerst fast nicht geglaubt, das Objekt war so viel weiter
entfernt als der zuvor am weitesten entfernte Stern mit hoher Rotverschiebung",
so Astronom Brian Welch von der Johns Hopkins University in Baltimore.
Die Entdeckung wurde in den Daten gemacht, die während des
Hubble-RELICS-Programms (RELICS steht für Reionization Lensing Cluster
Survey) gesammelt wurden. "Normalerweise sehen in diesen Entfernungen ganze
Galaxien wie kleine Flecken aus, das Licht von Millionen von Sternen verschmilzt
miteinander", erläutert Welch. "Die Galaxie, die diesen Stern beherbergt, wurde
durch den Gravitationslinseneffekt in eine lange Sichel vergrößert und verzerrt,
die wir 'Sunrise Arc' genannt haben."
Bei der detaillierten Untersuchung der Galaxie stieß Welch auch auf die
Struktur, bei der es sich um einen extrem vergrößerten Stern handeln könnte. Das
Team taufte das Objekt auf den Namen "Earendel", was auf Alt-Englisch
"Morgenstern" bedeutet. Handelt es sich bei dem Objekt tatsächlich um einen
Stern, dürfte sein Studium interessante Einblicke in die
Sternentstehungsprozesse in der Frühzeit des Universums liefern. "Earendel
existierte vor so langer Zeit, dass der Stern vielleicht nicht die gleiche
Zusammensetzung hat, wie die Sterne um uns herum", erklärt Welch. Das Objekt
könnte so für die Forschung zu einer Art Fenster in eine Ära des Universums
werden, über die die Astronomie noch kaum etwas weiß.
"Es gibt eine langjährige theoretische Vorhersage, dass Sterne, die sich
ausschließlich aus den Elementen bilden, die kurz nach dem Urknall vorhanden
waren - Wasserstoff, Helium und Spuren von Lithium - massereicher sein sollten
als die Sterne, die sich heute bilden", ergänzt Teammitglied Erik Zackrisson von
der Universität Uppsala in Schweden. "Diese Ursterne, bekannt als
Population-III-Sterne, ließen sich bislang nicht beobachten, könnten aber durch
starke Gravitationslinsen sichtbar werden, wie im Fall des Objekts Earendel."
Das Forschungsteam schätzt, dass Earendel mindestens 50-mal so groß wie
unsere Sonne und millionenfach so hell ist und mit den massereichsten heute
bekannten Sternen gut mithalten könnte. Sichtbar wurde der Stern für Hubble
allerdings nur aufgrund des Gravitationslinseneffekts: Massereiche Objekte im
Vordergrund können wie eine Linse wirken, die Objekte in noch größerer
Entfernung vergrößern. Im Falle von Earendel wirkte der gewaltige Galaxienhaufen
WHL0137-08 als eine solche Linse und ein besonderer Glücksfall - oder besser:
eine günstig positionierte Kräuselung der Raumzeit - führte dazu, dass die
Helligkeit des Sterns besonders verstärkt wurde.
Die genaue Natur des vermuteten Sterns ist noch unklar: So könnte es sich
beispielsweise um einen Doppelstern handeln. Um dies herauszufinden und auch um zu
bestätigen, dass es sich tatsächlich um ein stellares Objekt handelt, sind
weitere Beobachtungen nötig. So soll Earendel zu den ersten Objekten zählen, die
mit dem neuen Weltraumteleskop James Webb anvisiert werden. "Webbs
Bilder und Spektren werden es uns ermöglichen, zu bestätigen, dass Earendel
tatsächlich ein Stern ist, und sein Alter, seine Temperatur, Masse und seinen
Radius einzuschränken", blickt Teammitglied Jose Maria Diego vom spanischen
Instituto de Física de Cantabria voraus.
Über ihre Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature erschienen ist.
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