Das Rückgrat des Balkens der Großen Magellanschen Wolke
Redaktion
/ Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam astronews.com
30. März 2022
Mithilfe von Daten des ESO-Teleskops VISTA konnte nun die
Existenz langgestreckter Bahnen von Sternen in der Großen Magellanschen Wolke
bestätigt werden. Diese Sterne bilden quasi das Rückgrat des
Balkenbildungsprozesses in der Satellitengalaxie. Möglich wurde die Entdeckung
durch präzise Geschwindigkeitsmessungen der Sterne in der Zentralregion der
Galaxie.
Die beobachteten Bahnen von Sternen im
Zentrum der Großen Magellanschen Wolke. Die
Sterne in der zentralen Region, entlang des
Balkens, folgen länglichen Bahnen, die von einer
Kreisform (gestrichelte Konturen) abweichen.
Bild: AIP / F. Niederhofer, VISTA VMC Survey [Großansicht] |
Die Große Magellansche Wolke ist von der südlichen Hemisphäre aus mit bloßem
Auge sichtbar, da sie die hellste und massereichste Satellitengalaxie der
Milchstraße ist. Das System ist reich an Sternen, die eine große Altersspanne
abdecken - von neu entstehenden Sternen bis zu Sternen, die fast so alt sind wie das
Universum. Die Große Magellansche Wolke wird als irreguläre Galaxie eingestuft,
weil sie durch einen einzelnen Spiralarm und einen vom Zentrum der Scheibe
abgesetzten Balken gekennzeichnet ist.
"Stellare Balkenstrukturen sind ein häufiges Merkmal von Spiralgalaxien. Man
nimmt an, dass sie durch kleine Störungen innerhalb der stellaren Scheibe
entstehen, die die Sterne aus ihrer Kreisbewegung herauslenken und sie auf
langgestreckte Bahnen zwingen", erklärt Dr. Florian Niederhofer vom
Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP). "Eine besondere Art dieser
Bahnen sind jene, die mit der Hauptachse des Balkens ausgerichtet sind. Diese
gelten als das 'Rückgrat' der Sternbalken und bilden die Hauptstütze der
Balkenstruktur."
Das VISTA-Teleskop, das Teil des Paranal-Observatoriums der europäischen
Südsternwarte ESO in Chile ist, wurde entwickelt, um den südlichen Himmel im
nahen Infrarot zu durchmustern und Quellen zu untersuchen, die aufgrund ihrer
Beschaffenheit oder der Anwesenheit von Staub bevorzugt in diesem
Spektralbereich emittieren. Anhand von Daten der "VISTA-Durchmusterung des
Magellanschen Wolkensystems" (VMC) hat das Team nun erstmals diese Bahnen
innerhalb des Balkens der Großen Magellansche Wolke nachgewiesen.
VMC ist ein öffentliches Durchmusterungsprojekt der ESO, das zwischen 2010
und 2018 durchgeführt wurde und darauf abzielt, den stellaren Inhalt und die
Dynamik unserer nächsten extragalaktischen Nachbarn zu untersuchen. Das Team
entwickelte eine ausgeklügelte Methode zur genauen Bestimmung der
Eigenbewegungen von Sternpopulationen innerhalb der Magellanschen Wolken. In
einer jetzt veröffentlichten Studie wendete es diese Methode auf zentrale Teile
der Großen Magellansche Wolke an.
Aus den gemessenen Werten berechneten die Autorinnen und Autoren die
tatsächlichen Sternbewegungen innerhalb der Großen Magellansche Wolke und
erstellten detaillierte Geschwindigkeitskarten der internen
Geschwindigkeitsstruktur der Galaxie. "Die erstaunliche Detailgenauigkeit der
Geschwindigkeitskarten zeigt, wie sehr sich unsere Methode im Vergleich zu
früheren Messungen vor einigen Jahren verbessert hat", sagt Thomas Schmidt,
Doktorand am AIP. Zum Erstaunen der Forschenden enthüllten ihre Karten
langgestreckte Sternbewegungen, die der Struktur und Ausrichtung des Balkens
folgen.
"Dank ihrer geringen Entfernung von etwa 163.000 Lichtjahren können wir mit
bodengebundenen Teleskopen wie VISTA einzelne Sterne innerhalb der Magellanschen
Wolken beobachten", erläutert Prof. Dr. Maria-Rosa Cioni, die Leiterin des
VMC-Projekts und der Abteilung "Zwerggalaxien und der galaktische Halo" am AIP.
"Damit bieten uns diese Galaxien ein einzigartiges Labor, in dem wir die
Prozesse, die Galaxien formen und bilden, im Detail untersuchen können."
Von großem Interesse ist die Dynamik der Sterne, da sie wertvolle
Informationen über die Entstehung und Entwicklung der Galaxien liefern. Lange
Zeit waren jedoch die eindimensionalen Geschwindigkeiten der Sterne entlang der
Sichtlinie die einzige Quelle für dynamische Informationen. Diese
Geschwindigkeiten können leicht durch spektroskopische Dopplerverschiebungen
gemessen werden, die auf dem Effekt beruhen, dass das beobachtete Licht eines
Sterns blauer oder röter erscheint, je nachdem, ob er sich uns nähert oder von
uns wegbewegt.
Um die vollständigen dreidimensionalen Geschwindigkeiten der Sterne zu
erhalten, muss man die Eigenbewegungen der Sterne kennen, d. h. die scheinbaren
zweidimensionalen Bewegungen der Sterne in der Himmelsebene. Diese Bewegungen
können durch mehrfache Beobachtung derselben Sterne über einen bestimmten
Zeitraum, in der Regel mehrere Jahre, ermittelt werden. Die Verschiebungen der
Sterne werden dann in Bezug auf nahe gelegene Referenzobjekte bestimmt. Bei
diesen Objekten kann es sich z. B. um sehr weit entfernte Hintergrundgalaxien
handeln, von denen man aufgrund ihrer großen Entfernung annehmen kann, dass sie
sich in Ruhe befinden, oder um Sterne mit bereits bekannten Eigenbewegungen.
Da die beobachteten Bewegungen der Sterne von der Erde aus gesehen winzig
sind, sind präzise Messungen immer noch eine Herausforderung. In der Entfernung
der Magellanschen Wolken liegen die beobachteten Bewegungen der Sterne in der
Größenordnung von Millibogensekunden pro Jahr – eine Millibogensekunde
entspricht etwa der Größe einer Astronautin auf dem Mond, von der Erde aus
gesehen. "Unsere Entdeckung ist ein wichtiger Beitrag zur Untersuchung der
dynamischen Eigenschaften von Balkengalaxien, da die Magellanschen Wolken
derzeit die einzigen Galaxien sind, in denen wir solche Bewegungen mithilfe der
stellaren Eigenbewegungen untersuchen können. Für weiter entfernte Galaxien
liegt dies noch jenseits unserer technischen Möglichkeiten", unterstreicht
Niederhofer.
Insgesamt wurden neun Jahre lang Beobachtungen durchgeführt, um genügend
Bilder zu sammeln, um diese winzigen Bewegungen messen zu können. "Diese
unerwartete Messung ergänzt eine ganze Reihe von bedeutenden Ergebnissen, die
das VMC-Team erzielt hat", so Maria-Rosa Cioni. Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society
erscheint.
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